El Conde
Im Pelz fühlt sich Pinochet (Jaime Vadell) fast so wohl wie in Uniform.
AP/Netflix/Pablo Larraín

Falls sich schon mal jemand gefragt hat, wie sich Untote eigentlich jung halten, dann findet man in Pablo Larraíns blutdürstiger Politsatire El Conde Antworten. Nicht den schnöden Lebenssaft brauchen die vampirischen Sauger, sondern das Herz: Kleingehäckselt im Smoothie-Mixer regt es die Zellverjüngung an.

Doch der Vampir Pinoche, der später unter dem Namen Augusto Pinochet politisch sein Unwesen trieb, hat sich entschieden zu sterben. Nicht dass er als Mörder bezeichnet wird, sondern die Beschuldigung, ein Dieb zu sein, raubt ihm die Lebenslust. Ebenso wie die Angst vor der Schmach einer Verurteilung. Unterdessen geht aber ein anderer Vampir in Pinochets Uniform auf Herz-Jagd, was die Kinder des chilenischen Ex-Diktators auf den Plan ruft. Sie dürstet es nach dem Erbe, das auf unzähligen Konten weltweit verteilt ist.

Die heilige Johanna

Die Übersetzung via Arche zum Hause der Eltern gleicht dem Eintritt ins Totenreich. Larraíns Bildsprache in graustichigem Schwarz-Weiß referenziert ganz bewusst Stummfilmtraditionen des Vampirgenres. Friedrich Wilhelm Murnaus Inszenierungsstil meint man ebenso zu erkennen wie den Carl Theodor Dreyers. Dessen Passion der Jungfrau von Orléans (1928) findet gar ihre Reinkarnation in der Gestalt einer weißgewandeten, kurzhaarigen Nonne mit expressivem Gesicht, die bestellt wurde, um dem Vampir den Teufel auszutreiben und nebenbei noch die Bücher in Ordnung zu bringen.

El Conde
Paula Luchsinger als Carmencita möchte dem Diktator den Teufel austreiben und erinnert dabei an Johanna von Orléans.
AP/Pablo Larraín

Die heilige Johanna ist indes nicht die einzige historische Gestalt, die in El Conde kräftig aufmischt. Auch Pinochets Ehefrau Doña Lucía übernimmt ihre Partie im Kabinett der Grausamkeiten, und sein treuer Butler Fyodor trägt Züge des wegen Folter, Entführung und Mordes verurteilten Geheimdienstchefs Manuel Contreras, Pinochets rechter Hand.

Wer ist Pinochets Mutter?

Am skurrilsten aber ist die finale Pointe des Films. Die Mutter des Vampirs tritt auf den Plan, um die unheilige Allianz zwischen ihrem Sohn Pinoche(t) und der Nonne Carmen (ausdrucksstark: Paula Luchsinger) zu zerstören. Mama Pinochet spielte selbst eine zentrale Rolle im politischen Weltgeschehen und stellte sich als Vampirin jahrhundertelang in den Dienst konservativer Allianzen. Ihr so typisches Idiom geleitet denn auch als Erzählstimme durch El Conde.

El Conde | Official Trailer | Netflix
Netflix

Auf dem diesjährigen Filmfestival in Venedig gewann Regisseur Larraín und Co-Autor Guillermo Calderón den Drehbuchpreis für das beste und wohl auch bizarrste Skript. (Valerie Dirk, 21.9.2023)