Louise Bourgeois
"The Runaway Girl": 1938 emigrierte die in Paris geborene Künstlerin mit ihrem Ehemann nach New York.
Christopher Burke, © The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023

Versteckt zwischen den meterhohen Hecken der Parkanlage des Schloss Belvedere hat sie ihr Nest gebaut. Mit acht dürren Beinen und einem kompakt-gedrehten Körper markiert eine der ikonischen Spinnen von Louise Bourgeois ihr Territorium. Die monumentalen Bronzeskulpturen gelten als die Signature-Werke der 1911 in Paris geborenen Künstlerin. Sie sind weltberühmt und über den Globus verstreut. In Wien funktioniert das Tier, das Bourgeois als Hommage an ihre früh verstorbene Mutter schuf, als Botin: In der großen Herbstausstellung präsentiert das Untere Belvedere erstmals in Europa das malerische Werk der Künstlerin.

Gleich vorweg: Man versteht, wieso Louise Bourgeois als brillante und technisch versierte Bildhauerin Berühmtheit erlangte. Ihre Ölbilder entstanden ausschließlich zwischen 1938 und 1949 und können, wie die umfangreiche Ausstellung beweist, eher als Grundlage für ihr weiteres, sieben Jahrzehnte umfassendes Gesamtwerk verstanden werden. Nach 1949 schuf sie keine Gemälde mehr – sie hatte die dritte Dimension entdeckt. Nach eigenen Angaben konnte sich die 1938 mit ihrem Mann nach New York emigrierte Künstlerin so endlich besser ausdrücken.

Die Ausstellung bringt genau diese Entwicklung in luftig gestalteten Sälen auf den Punkt: Frühe Bilder formen das Fundament für erst Jahrzehnte später entstandene Skulpturen und Installationen. Wiederkehrende Motive wie Bäume, Spiralen oder architektonische Formen werden thematisch beleuchtet. Vor allem das Haus als Symbol machte sich die Künstlerin früh zunutze, um ihre Kindheitserfahrungen zu verarbeiten. Später sagte sie einmal, dass all ihre Werke im Grunde auf ihre eigene Kindheit zurückgehen.

Louise Bourgeois
Elternhaus mit Fallbeil: Ihre Skulptur "Cell (Choisy)" zeigte die Künstlerin 1993 im US-amerikanischen Pavillon der Venedig-Biennale.
Ron Amstutz, © The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023

Traumata der Kindheit

Unruhige Gemälde stellen einsame Häuser in leere Landschaften, anonyme Figuren stehen für die Familienmitglieder der Künstlerin: ihre zwei Geschwister sowie ihr Vater Louis, zu dem sie zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis hatte. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, seine Tochter deshalb nach sich selbst benannt und sie diese Enttäuschung stets spüren lassen. Außerdem konnte ihm Bourgeois nie verzeihen, dass er nach dem Tod der Mutter mit der Au-pair-Englischlehrerin eine heimliche Affäre hatte.

Dieses Gefühl des Verrats inspirierte Bourgeois zu ihren berühmten Zellen. Aus Fensterrahmen und Gittern schuf sie ab den späten 1980er-Jahren raumfüllende Käfige, die als eigene Architekturen funktionieren. Im Zentrum der im Belvedere ausgestellten Cell (Choisy) steht das aus Marmor geformte Modell des Elternhauses, über dem Eingang der Zelle schwebt ein bedrohliches Fallbeil. Die intensive Gefühlswelt der Bildhauerin ist untrennbar mit ihrer Kunst verbunden.

In den 50ern zog sie sich eine Zeitlang zurück. Nachdem ihr Vater gestorben war, überkam sie eine große Depression. Außerdem kümmerte sie sich um die drei Söhne, die damalige Zeit ließ Kunst und Familienleben für Frauen nur schwer vereinbaren. Ihre Gemäldeserie Femme Maison behandelt diese Phase in eindrucksvoller Weise: Erstmals stellte Bourgeois nackte Frauenkörper ins Zentrum und ließ diese ganze Einfamilienhäuser auf ihren Schultern balancieren. Das Haus wurde schließlich Schutzraum und Gefängnis zugleich. Mehr Feminismus geht nicht?

Louise Bourgeois 
"Femme Maison": Bei Bourgeois sind Häuser Symbol für Schutz und Gefängnis zugleich.
Christopher Burke, The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023

Einzelkämpferin auf langer Distanz

Obwohl Bourgeois früh als Pionierin der Frauenbewegung galt und sich auch später für die LGBTIQ-Bewegung einsetzte, lehnte sie die Zuschreibung "Feministin" ab. Dass es eine feministische Ästhetik gebe, dementierte sie: "Nicht weil ich eine Frau bin, arbeite ich auf diese Weise. Ich arbeite aufgrund von Erfahrungen, die ich gemacht habe."

Trotz zeitgleicher Strömungen des Surrealismus oder des abstrakten Expressionismus kann Bourgeois keinem Stil zugeordnet werden. Sie selbst bezeichnete sich als "Langstreckenläuferin" und "Einzelgängerin". Obwohl Bourgeois bereits Mitte der 40er-Jahre in New Yorker Galerien, unter anderem in jener von Peggy Guggenheim, ausstellte, wurde sie erst Anfang der Achtziger international bekannt.

Im stolzen Alter von 70 Jahren widmete ihr das Museum of Modern Art in New York als erster Bildhauerin eine große Personale. 1993 vertrat sie die USA auf der Biennale in Venedig und wurde 1999 mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Louise Bourgeois
In der barocken Parkanlage des Schloss Belvedere versteckt sich eine der berühmten Bronze-Spinnen von Louise Bourgeois.
Johannes Stoll/Belvedere Wien

Knackige Sprüche und Wutanfälle

Vor allem im Alter war die eloquente Bourgeois als schwieriger und komplizierter Charakter bekannt. Unzählige knackige Sprüche sind von ihr überliefert. Sie neigte zu heftigen Wutausbrüchen und zerstörte dabei Gegenstände und oft auch eigene Skulpturen. Für die Künstlerin galten Emotionen als Antrieb und Ausgleich zu ihrem Schaffen.

Dass die ansprechende Ausstellung im Belvedere nun fast ausschließlich mit Zitaten und nur wenigen Zusatzinfos über die Künstlerin arbeitet, funktioniert zwar, ist jedoch etwas schade. Mehr Erzählungen hätten noch intensivere Hintergründe geliefert und diese spannende Person noch greifbarer gemacht.

Den letzten Raum widmeten die Kuratorinnen Sabine Fellner und Johanna Hofer wegen des Standorts Wien der Psychoanalyse. Nach dem Tod ihres Vaters und dem Ende ihres malerischen Werks beschäftigte sich Bourgeois intensiv mit psychoanalytischer Therapie und hielt diese in unzähligen Schriften fest. Die Vergangenheit war ihr steter Begleiter. In einer Dokumentation aus den Neunzigern hatte sich die 2010 verstorbene Künstlerin einmal eine "Gefangene ihrer eigenen Erinnerungen" genannt. (Katharina Rustler, 22.9.2023)

Louise Bourgeois - Ich bin, was ich tue (Porträt / BBC 1994)
KunstSpektrum