Juliane M. (45) aus Wien fährt häufig ins niederösterreichische Reichenau an der Rax. Viele Wochenenden und auch so manche Urlaube hat sie dort, am Fuße der Wiener Alpen, schon verbracht, eine kleine Wohnung in Familienbesitz macht es möglich. Doch jahrelang waren die vielfältigen Freizeitangebote der traditionsreichen Sommerfrischeregion für sie zum Teil unerreichbar – und auch Alltagsverrichtungen wie ein notwendiger Arztbesuch stellten sie vor logistische Probleme.

Die Psychologin hat nämlich kein Auto – und ohne ein solches ist man in der weitläufigen, dünn besiedelten Gemeinde an der Rax aufgeschmissen, wie auf dem Land meist. Zwar wird die Region durch zwei Linienbusse erschlossen, die aber fahren nicht oft genug, um die Mobilitätsbedürfnisse abseits des Schülerverkehrs und der Tagesausflüglerfahrten vom Bahnhof Payerbach zur Talstation der Raxseilbahn zu erfüllen.

Rufbus in der Tourismusregion Semmering-Rax-Schneeberg vor dem Schloss Reichenau.
Rufbus vor dem Schloss Reichenau. Wer online eine Fahrt bucht, bekommt eine Abfahrtszeit genannt – und zehn Minuten davor eine Erinnerungs-SMS.
Irene Brickner

Abgesehen davon kutschieren die großen Busse meist halb oder ganz leer durchs Tal, während auf der Hauptstraße ein Auto hinter dem anderen dahinbraust, vor allem morgens und nachmittags. Der Busfahrplan ist ganz offensichtlich zu unflexibel.

Schwieriger Autoverzicht am Land

"Wer in Wien lebt, braucht keinen eigenen Pkw. Das ist auch aus Klimaschutzgründen höchst vernünftig", meint Juliane M. Auch gegenüber den wenigen Taxlerinnen und Taxlern der Region führte sie dieses Argument ins Treffen. Die holten sie abseits des Linienbusfahrplans vom Bahnhof ab und brachten sie hin, führten sie im Sommer ins Reichenauer Theater und im Winter zu Treffen mit Freunden in ein Lokal – wenn es sich angesichts ihrer dichten Auftragslage ausging. Diese Unabwägbarkeit hatte M.’s Autoverzichtseinstellung über die Jahre in den Hintergrund gedrängt. Ein Gebrauchtwagenkauf, eigens für die Landaufenthalte, stand bevor.

Im heurigen Sommer dann legte die Reichenauer Zweitwohnungsnutzerin diesen Plan wieder auf Eis. Grund dafür: Das 2022 gestartete Rufbussystem in der Semmering-Rax-Region war stark erweitert worden. Nach dem ersten Probebetrieb während des Reichenauer Theatersommers im vergangenen Jahr wurde das in Zusammenarbeit mit Postbus und privaten Taxiunternehmen betriebene Angebot ab Frühjahr 2023 massiv verstärkt.

120 Haltestellen

Mit 120 Haltepunkten, von Gloggnitz über Payerbach nach Reichenau bis ins wild-romantische Höllental mit seinen Naturbadeplätzen am Rande der Schwarza sowie über Schottwien und Breitenstein bis zum Semmering, steht nun flexible und leistbare Mobilität zur Verfügung. Das geht über die Bedürfnisse der Theatersommerbesucher weit hinaus. Der Rufbus ist alltagstauglich geworden, für Eintagesbesucher, regelmäßige Gäste und die einheimische Bevölkerung gleichermaßen.

Das Höllental bei Reichenau an der Rax
Mit dem Rufbus kann man zum Beispiel autofrei zu den idyllischen Naturbadeplätzen an der Schwarza im Höllental fahren.
Fabian Weiss / laif / picturedes

Letzteres sei ein unverzichtbarer Teil des Konzepts, erklärt Christian Blazek, Vorsitzender des Tourismusverbands Semmering-Rax-Schneeberg. "Es braucht unterschiedliche Gruppen von Rufbusbenutzern, damit sich das Projekt rechnet", sagt er. Von kleineren Summen des Landes Niederösterreich und der Aktion klimaaktiv des Umweltministeriums abgesehen, finanziert sich der Rufbus über die Fahrpreise sowie über eine Abgabe der Wirte und anderer lokaler Tourismusunternehmen, die mitmachen. Für sie geht damit die Aussicht einher, neue unmotorisierte Gäste anzusprechen.

Kein "Bitten und Betteln" mehr

Blazek ist die Einbeziehung der Einheimischen aber auch aus sozialen Gründen ein Anliegen. Vor allem Menschen in den Katastralgemeinden, in denen es keine Einkaufsmöglichkeiten mehr gibt, seien ohne eigenes Auto sehr eingeschränkt. Das Rufbusangebot beende nun "ihr Bitten und Betteln, von Nachbarn oder Bekannten mitgenommen zu werden". Auch für Familien mit Kindern biete das System Vorteile: "Statt im Mama-Taxi kommen die Kinder jetzt mit dem Rufbus zum Sportverein."

Entstanden ist der Rufbus-Plan im Tourismusverband vor fünf Jahren. Er ist Teil eines umfassenden Zukunftsprojekts für die Region, das ergründen soll, "wie wir die Landschaft touristisch nutzen und gleichzeitig sorgsam mit der Natur umgehen können", erklärt Blazek. Denn so leicht erreichbar die Region von der Zwei-Millionen-Einwohner-Großstadt Wien aus durch die Bahn auch ist – vom Wiener Hauptbahnhof nach Payerbach-Reichenau braucht ein schneller Zug rund 70, bis nach Semmering 90 Minuten: Nach der Ankunft sind die letzten Kilometer für Reisende ohne Pkw ein großes Problem.

Radtourismus bis ins Höllental

Als neues Schwerpunktangebot wurde zum Beispiel ein Konzept für Radtourismus entwickelt. Die Schwarzatal-Radroute führt schon jetzt über 46 Kilometer von Lanzenkirchen bis nach Reichenau. So es gelingt, den Autoverkehr durch das enge Höllental zu verringern, was unter anderem durch Besucherlenkung geschehen soll, ist geplant, den Radweg durchs Höllental zu verlängern.

Auch sollen bei allen Bahnhöfen und bei größeren Hotels sogenannte Hubs aufgestellt werden: containerähnliche Hütten, in denen man Drahtesel ausborgen und zurückgeben sowie zum Beispiel einen Patschen reparieren kann.

Bürgermeister "grundsätzlich dafür"

Die lokale Bevölkerung und ihre politischen Vertreter stehen den innovativen Verkehrskonzepten, je nach persönlicher Betroffenheit, unterschiedlich gegenüber. Der Reichenauer Bürgermeister Josef Döller (ÖVP) ist "grundsätzlich für" die Neuerungen. Ältere, denen der Rufbus neue Beweglichkeit ermöglicht, sind begeistert, die vielen Autobesitzer lassen die Projekte eher kalt.

Im Tourismusverband plant Vorsitzender Blazek nun das dritte Rufbus-Jahr. Diesen Sommer seien die Fahrgastzahlen "weit über den Erwartungen" gelegen, daher werde man heuer noch bis Ende Oktober fahren. Im Jänner 2024 werde man dann neu durchstarten, mit mehr Mitarbeitern in der Organisation und einem Ziel: "Mehr Fahrgäste pro Kleinbus transportieren". So werde der klimaschonende Rufbus "noch ökologischer". (Irene Brickner, 23.9.2023)