Explosion der Kreativität: Arnulf Rainer, Fingermalerei, 1973.
Katalog schapira&beck

Christian Ludwig Attersee. Günter Brus. Bruno Gironcoli. Kurt "Kappa" Kocherscheidt. Hermann Nitsch. Max Peintner. Walter Pichler. Dieter Roth. Gerhard Rühm. Arnulf Rainer.

Österreichische Avantgarde. Das Heim dafür boten ein paar entscheidende Jahre lang in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts zwei Galerien in der Wiener Innenstadt. Die Galerie Grünangergasse 12 (1972–75) von Kurt Kalb und die Galerie Schapira & Beck (1975–77) von Kurt Schapira und Peter Ernst Allmayer-Beck in der Ballgasse waren Orte der Entfaltung und Absicherung für die Maler, die eine neue Moderne eingebracht hatten.

Jungstars Attersee, Walter Pichler, Bruno Gironcoli (v. li.).
Peter baum

Schub aus dem Muff

Man war, wie der Begleiter und Univ.-Prof. an der Angewandten, Christian Reder schreibt, "lose verbunden" durch ein "Ablehnen damaliger Normalität" und den "Einsatz für vorher undenkbare Freiheiten". Die Künstler, die meisten zwischen 30 und 40, hatten "ihre Anfänge bereits hinter sich, waren zu führenden Künstlern der Wiener Szene aufgestiegen und hatten auch schon internationale Erfolge aufzuweisen" (Kunstkurator und Mitherausgeber Berthold Ecker). Doch die 70er-Jahre, die Kreisky-Ära, gaben ihnen wahrscheinlich noch einmal den entscheidenden Schub aus dem Muff des Nachkriegsösterreich.

Die explodierende Kreativität brauchte adäquate Vermittler. Die Rolle, die die beiden Galerien und die drei Persönlichkeiten Kalb, Schapira und Allmayer-Beck dabei spielten, hat die Kuratorin Semirah Heilingsetzer in einem enzyklopädischen Band über die "Avantgardegalerien der 1970er-Jahre in Wien" für die Zeitgenossen und die Nachwelt festgehalten.

Semirah Heilingsetzer, Berthold Ecker (Hg.), "Avantgardegalerien der 1970er-Jahre in Wien. Unter der Leitung von Kurt Kalb und Peter Allmayer-Beck". € 34,– / 280 Seiten. Art Edition Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2023.
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Systematische Kleinarbeit

Das über Jahre in systematischer Kleinarbeit entstandene Werk ist zugleich eine wissenschaftlich-kunsthistorische Dokumentation und, vor allem durch die vielen Fotos und durch intensive Erinnerungen der Akteure, ein Riesenmosaik einer Szene.

Der Kunsthändler und Freund Kurt Kalb, der "Indendant der Wiener Szene", gründete die Galerie in der Grünangergasse als eine Art Künstlergenossenschaft. Als es ihm zu viel wurde, gewann Peter Ernst Allmayer-Beck (damals Trend/Profil) seinen Freund, den Textilindustriellen Kurt Schapira, als Financier für eine neue Galerie. Nach Schapiras Unfalltod war auch das zu Ende. Doch die Künstler waren schon Stars. Heilingsetzer: "Das schließlich erreichte Niveau und die Bedeutung zeitgenössischer künstlerischer Entfaltung in Österreich stützten sich im Wesentlichen auf die Initiative von Privatpersonen."

Das Buch zeigt aber auch das damalige Lebensgefühl, das dichte Leben in den berühmten Lokalen, vor allem das Oswald & Kalb. Auf den vielen Fotos sind übrigens zwischen den posierenden, feiernden, selbstbewussten Herren Künstlern immer wieder die Frauen zu sehen, die mehr waren als Begleiterinnen. Evelyn Oswald. Susi Saibt. Ingrid Reder. Vielleicht ein Thema für ein eigenes Projekt? (Hans Rauscher, 22.9.2023)