DER STANDARD

Mehrere Wochen segeln Willem Barents und seine Besatzung vorbei an den Eisbergen eines Meeresgebiets, das später nach ihm benannt werden wird. Es ist August 1596, die Expedition sucht eine neue Route nach Indien durch die heutige Barentssee, nördlich von Norwegen und Russland. Weit kommt das Schiff allerdings nicht, es bleibt im Eis stecken. Monatelang muss die Gruppe ausharren, ist Kälte und Stürmen ausgesetzt und lernt, in der Umgebung zu jagen. Fünf der 17 Besatzungsmitglieder sterben – darunter auch Barents selbst.

Heute würde der niederländische Seefahrer die Region wohl kaum wiedererkennen: Von dem zuvor undurchdringbaren Eis ist wenig übrig. Die enormen Mengen an Kohle, Erdöl und Erdgas, die die Menschheit verbrennt, haben die Arktis bereits drei- bis viermal stärker erhitzt als den globalen Durchschnitt. Das Oberflächeneis der Barentssee verschwindet.

Einige Unternehmen, die fossile Energieträger fördern, sehen darin eine Chance. Im arktischen Meeresboden werden enorme Öl- und Gasvorkommen vermutet. Je weiter das Eis schmilzt, desto einfacher können sie gefördert werden. Immer wieder bewerben sich daher Unternehmen etwa bei Norwegen um Lizenzen. Eines von ihnen ist Aker BP. 2018 wurden dem norwegischen Erdölunternehmen Lizenzen für sechs Projekte in der Barentssee angeboten.

Die Lizenz ist allerdings nur der erste Schritt in einem aufwendigen Prozess. Bevor ein Unternehmen Öl und Gas fördert, hat es Milliarden für die Suche und für Bohrungen ausgegeben. Meist muss zusätzliches Kapital aufgestellt werden. Dazu können etwa Aktien ausgegeben oder Geld bei einer Bank geliehen werden. Mineralölkonzerne weltweit greifen aber zunehmend zu einem weiteren Instrument: Anleihen. Diese Wertpapiere funktionieren wie eine Art Kredit, der an der Börse gehandelt werden kann. Während Unternehmen, die auf fossile Energieträger setzen, im Jahr 2016 noch Anleihen im Wert von 96 Milliarden Euro ausgaben, lag die Zahl 2020 bereits bei knapp 250 Milliarden Euro. Vergangenes Jahr sank die Zahl dann leicht, für 2023 zeichnet sich ein erneuter Anstieg ab.

Über eine Billion Euro für Mineralölkonzerne

Auf den Finanzmärkten bekommen die Unternehmen damit auch knapp acht Jahre nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens das Signal: Neue Projekte zur Förderung von Erdöl und Erdgas lohnen sich. Banken, die nach außen mit Nachhaltigkeitsversprechen werben, verhelfen Fossile-Energie-Konzernen zu Kapital, indem sie deren Anleihen auf dem Markt platzieren. Zu dieser Rolle der Banken hat DER STANDARD zusammen mit einem internationalen Team recherchiert, darunter Follow the Money, Investico, "Guardian", "Le Monde" und "El País". Das Ergebnis: Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens begaben Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, die ihre Produktion weiterhin ausbauen, mehr als 1.600 Anleihen im Wert von über einer Billion Euro. Immerhin 94 dieser Anleihen müssen erst nach 2050 zurückgezahlt werden – wenn viele Staaten schon klimaneutral sein wollen.

Die Menge an Rohöl, das heute über die Meere transportiert wird, ist fast gleich hoch wie noch vor zehn Jahren.
REUTERS / Yoruk Isik

In der Finanzdatenbank von Bloomberg, auf der die Recherche basiert, finden sich auch Anleihen von Aker BP. Das Unternehmen gab im Mai 2021 eine Anleihe im Wert von 750 Millionen Euro aus und einen Monat später eine weitere in der Höhe von über 930 Millionen Euro. Begleitet wurde es dabei von mehreren Großbanken. Neben den Namen JPMorgan, Citigroup Global Markets Inc und der ING Bank scheint auch eine Bank aus Österreich auf: die Raiffeisen Bank International.

Unterstützung aus Österreich

Heute ist auf der Website der Raiffeisen zu lesen: "Die Raiffeisen Bank International bekennt sich zu einem verantwortungsvollen Bankgeschäft für eine nachhaltige Zukunft. Deshalb haben wir als erste Bank in Österreich die UN Principles for Responsible Banking unterzeichnet." Ein Ziel der Initiative ist es, den Bankensektor an die Pariser Klimaziele anzupassen. Unterschrieben hat die Raiffeisen das im Februar 2021.

Dennoch findet sich in der Bloomberg-Datenbank ein Eintrag zu einer Anleihe aus dem Juni 2021 von Aker BP, mit der die Raiffeisen zu tun hatte – zu diesem Zeitpunkt hat Aker BP bereits lange nach neuen Ölvorkommen in der Barentssee gesucht.

Dabei gilt die Erdölförderung in der Arktis als sehr riskant. Eine Ölpest ist hier besonders im Winter nur schwer zu beseitigen. Lebensräume von Fischen, Walen und Vögeln in der Region werden durch die Bohrungen zerstört. Zudem konstatierte die Internationale Energieagentur, die Denkfabrik der Industriestaatenorganisation OECD, einen Monat bevor Aker BP seine neue Anleihe ausgab: Um bis 2050 klimaneutral zu sein, dürfen keine neuen fossilen Projekte mehr gestartet werden.

Auf Anfrage betont die Raiffeisen, keine Anleiheemission von Aker BP unterstützt zu haben. Die Anleihen seien im Zuge einer Merger-and-Acquisition-Transaktion von Aker BP übernommen worden. Übersetzt: Sie hatte die Ausgabe einer Anleihe von einem Unternehmen begleitet, das Aker BP dann kaufte. Dabei handelte es sich um ein weiteres Erdölunternehmen, das ebenfalls in der Arktis aktiv ist.

Initiative ohne Biss

Auch mit Anleihen anderer Mineralölkonzerne arbeitete die Raiffeisen seit dem Beschluss der Pariser Klimaziele – insgesamt hatten diese einen Wert von 6,2 Milliarden Euro. Das Geld der Investoren ging an den ungarischen Energiekonzern Mol sowie an die teilstaatliche OMV. Nur eine weitere Bank aus Österreich findet sich in der Bloomberg-Datenbank: die Erste Bank. Auch sie begleitete zwischen 2017 und 2021 die Ausgabe von Anleihen von Mol und der OMV – in der Höhe von insgesamt drei Milliarden Euro.

Noch sehr viel größere Projekte gehen in anderen Staaten über den Tisch: JPMorgan unterstützte Unternehmen, die sich auf die Förderung fossiler Energieträger konzentrieren, bei Anleihen im Wert von knapp 640 Milliarden Euro. Im Fall von Citi waren es über 600 Milliarden Euro, und die Deutsche Bank half mit Anleihen im Wert von über 430 Milliarden Euro.

Alle diese Banken haben eines gemeinsam: Sie sind Mitglieder der Net-Zero Banking Alliance. Neben den UN Principles for Responsible Banking ist das eine der weltweit größten Initiativen. Sie hat das Ziel, die Wirtschaft bis 2050 in die Klimaneutralität zu führen.

Nach außen kommunizieren die Banken das lautstark, Geschäftsberichte betonen die nachhaltige Ausrichtung. Die Zahlen zeigen jedoch: Mit Anleihen an Unternehmen, die ihre Erdöl- und Erdgasproduktion weiterhin ausbauen, haben sie dennoch Geschäfte gemacht. Seit dem Start der Allianz, der die meisten großen Banken beigetreten sind, haben expandierende Unternehmen, die ihr Geschäft mit fossilen Brennstoffen machen, 603 Anleihen begeben – für insgesamt fast 250 Milliarden Euro. Bei der Platzierung verdienen die Banken rund 0,25 Prozent, satte Gewinne angesichts der riesigen Summen.

"Durch ihre Rolle in diesem Geschäft treiben sie die Zerstörung des Klimas voran – und verdienen noch gut dabei", kritisiert Mark Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich.

Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens begaben Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, die ihre Produktion auch heute noch ausbauen, Anleihen im Wert von über einer Billion Euro.
APA/AFP/LOIC VENANCE

Klare Ausstiegsziele

"Natürlich kann ein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht von heute auf morgen gelingen, aber der Umstieg, den wir heute sehen, ist viel zu langsam", sagt Pedram Payami vom österreichischen Umweltbundesamt. "Finanzunternehmen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein und proaktiv Impulse setzen."

Dazu betreut Payami eine Initiative, die Lob von Umweltorganisationen erntet: die Green Finance Alliance, die das Klimaschutzministerium gestartet hat. Sie hat etwa klarere Kriterien für die Finanzierung von Kohle, Öl und Gas festgelegt als die großen UN-Initiativen. Banken und Versicherungen, die der Initiative beitreten, dürfen bereits seit vergangenem Jahr mit keinen Unternehmen Geschäfte machen, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit Kohle erzielen und ihre Kohleinfrastruktur weiterhin ausbauen. Wenn ein Unternehmen seine Erdölinfrastruktur ausbaut, darf es ab Anfang 2025 nicht mehr von den Mitgliedern finanziert oder versichert werden. Für Erdgas kommt die Schwelle 2026. Mitglieder sind bisher unter anderem die Unicredit Bank Austria AG, Uniqa und die Fair Finance Vorsorgekassa.

Geschichten verkaufen

Auch heute schon sei der Kreis der Investoren, die Anleihen von Unternehmen im Mineralölgeschäft erwerben, kleiner geworden, erklärt ein Berater, der anonym bleiben will. Er schätzt ihn auf etwa 75 Prozent im Vergleich zu 2015. Und er erwarte, dass die Zahl der möglichen Investoren in den kommenden Jahren weiter sinken werde. Dennoch werde es immer möglich sein, Finanzierung über Kapitalmärkte oder über Bankfinanzierungen aufzustellen, ist er überzeugt. "Wenn es schwieriger wird, eine Anleihe zu begeben, dann wären höhere Zinsen als die gängigen Marktzinsen zu bezahlen. Irgendjemand wird sich die hohe Rendite holen."

Einen wirklichen Unterschied würde es machen, wenn die großen Banken ein stärkeres Signal senden würden, meint Energiefinanz-Professor Theodor Cojoianu von der Universität Edinburgh: "Banken verkaufen die Geschichte von Unternehmen an Investoren. Sie versuchen, so viele Investoren zu finden wie möglich. Das ist keine passive Tätigkeit." Expandierende Mineralölunternehmen hätten ein großes Problem, wenn Banken ihre Anleihen nicht mehr begleiten würden, sagt er.

In der arktischen Barentssee wird unterdessen weiter nach Erdöl gesucht. Die finale Investitionsentscheidung zum Wisting-Ölfeld – das 2013 die OMV entdeckte, doch ihre Anteile 2021 weiterverkaufte – steht noch aus. "Wir planen die weitere Exploration mit dem Ziel, die Ressourcenbasis in dem Gebiet zu vergrößern", erklärte Aker BPs CEO Karl Johnny Hersvik Ende vergangenen Jahres. Jene Anleihen im Wert von einer Milliarde Dollar, die Aker 2021 ausgab, laufen noch bis 2026 und 2031. Dann muss das Unternehmen zurückzahlen – oder eine Refinanzierung auf die Beine stellen. (Alicia Prager, Ties Joosten, Yara van Heugten, Remy Koens, 26.9.2023)