Martin Mayer, Chef von Iventa, einer der größten Personalberatungen des Landes, ist "irritiert". Viele Medien würden immer noch über enormen Arbeitskräftemangel berichten, er merke in seinem Geschäft allerdings deutlich, dass sehr viele Firmen in Sachen Einstellungen auf "die Bremse" gestiegen seien. Die große Dynamik fast verzweifelter Suche sei vorerst vorbei.

Ein Roboter sitzt an einem Tisch und tippt
Repititive Tätigkeiten im Büro könnten bald mit sehr viel weniger Menschen erledigt werden.
Imago

Während des Interviews sitzt er im Zug von Köln nach Frankfurt. In Deutschland ist er gerade auch auf Einkaufstour, denn, so sagt der Branchenprofi: Künstliche Intelligenz bringe ihm Wachstumsdruck. Auch in der stark fragmentierten Branche der Personalberatung sieht er einen riesigen Automatisierungsschritt und eine Konsolidierung. Denn nicht alle kleineren Boutiquen oder Netzwerke könnten oder wollten die nötigen Investitionen in KI tätigen. Wiewohl: Algorithmen sitzen schon seit geraumer Zeit an den Pforten zwischen Bewerberinnen und Bewerbern und den Positionen in Organisationen.

STANDARD: Der Arbeitskräftemangel ist nicht mehr so drängend, der Fachkräftemangel aber schon, oder? Stehen gar Abbauwellen bevor?

Mayer: Ja, Qualifizierte sind in vielen Bereichen schwer zu finden, da tun Firmen auch alles, um diese Leute zu halten, nicht zu verlieren. Große Abbauwellen zeichnen sich trotz schwächelnder Konjunktur derzeit nicht ab.

STANDARD: Wie spielt in diese Situation die voranschreitende künstliche Intelligenz hinein? Praktisch alle basteln an Schnittstellen, probieren gerade, wie sie damit effizienter werden können, ihre Prozesse optimieren, teure menschliche Arbeit teilweise ersetzen können.

Mayer: Da steht uns in den kommenden drei bis fünf Jahren eine massive Veränderung der gefragten Skills bevor. Und hier wird es Abbau geben: Die sogenannten white-collar worker, also Bürokräfte mit viel repetitiver Arbeit, werden wohl ihre Jobs verlieren. Das betrifft Assistenzen, Medienleute, Content-Creators. Top-Wissensarbeiter wird es nicht betreffen. Koch und Kellnerin wird das auch nicht treffen. Aber wohl die Bürokratie, etwa in der Medizin, etwa im Schulbereich. Das könnte man jetzt sehr schnell automatisieren. Drei bis fünf Prozent aller Jobs sind dadurch gefährdet, in nächster Zeit wegzufallen. Gleichzeitig sehen wir das größte Skill-Shifting der vergangenen 25 Jahre. Da geht es um die Steuerung und um das Einbinden von KI-Technologien. Das ist eine Riesenrevolution, die jetzt beginnt!

STANDARD: Zurück zur derzeit gerade vorbereiteten nächsten Stufe der Effizienz: Wer ist betroffen von der noch einmal flotteren Arbeit, von der Beschleunigung?

Mayer: Ich würde sagen, 20 Prozent aller Jobs in nächster Zukunft.

STANDARD: Was heißt das alles für das Geschäft der Personalberatung? Übernimmt hier die künstliche Intelligenz, nachdem Algorithmen schon länger vielfach Torwächter bei Bewerbungen sind? Suchen Menschen bald keine Menschen mehr, sondern Bots die Menschen?

Mayer: Bots halten auch in die Personalberatung Einzug. Wir in der Iventa tauschen gerade großflächig unsere IT aus. Erstansprache und Active Sourcing kann künftig via Bots gemacht werden. Das betrifft auch Textungen von Stellenanzeigen oder Arbeitgeberwerbung. Erst dann, in der nächsten Stufe, kommen Menschen zum Einsatz. Wir experimentieren derzeit im Vorschlagwesen für Positionen. In ein, zwei Jahren wird das fliegen.

STANDARD: Klingt ein wenig gruselig, diese rasante Automatisierung. Die großen Tech-Firmen übernehmen also quasi jetzt wirklich den Personalmarkt ...

Mayer: Erfahrungsgemäß wird es auch hier Gegenbewegungen geben – also so wie bei Industriemöbeln und gleichzeitig erstarkten Möbelmanufakturen. Keine Sorge, das wird keine lineare Entwicklung sein.

STANDARD: Dennoch bringt es wohl viele in Ihrer Branche an den Punkt der Entscheidung: Rüste ich digital um und auf und werde größer, um Volumen zu bewegen. Oder finde ich eine Nische, oder gehe ich mit anderen zusammen ...

Mayer: Ja. Ich erwarte auch eine Konsolidierung im Markt. Ich bin derzeit sehr aktiv in Deutschland, binde kleinere Player, die sich das KI-Investment nicht zutrauen, ein. Und ja, es geht um größere Tickets, um Quantität. Unser Wachstum erwarte ich fast ausschließlich im Ausland, in Deutschland, in der Schweiz. Meine Ziele mit dieser Strategie sind eine sehr deutliche Umsatzerhöhung und die Europa-Liga. (Karin Bauer, 26.9.2023)

Martin Mayer sitzt links neben seiner Mutter vor dem Firmenlogo Iventa
Martin Mayer, Iventa, mit seiner Mutter, der Firmengründerin. Er trimmt die Personalberatung jetzt auf Wachstum durch Digitalisierung