Raffael Tapisserie
Der Renaissance-Meister Raffael entwarf eine ganze Serie an Tapisserien, die zu speziellen Anlässen in der Sixtinischen Kapelle angebracht wurden. Hier: "Der wunderbare Fischzug".
KHM-Museumsverband

Sie galten als das Nonplusultra der repräsentativen Gestaltung im 16. Jahrhundert. Tapisserien, also textile Wandbehänge, waren nicht nur enorm aufwendig zu produzierende und deshalb sehr kostspielige Dekorationen, sondern der letzte Schrei, um zeremonielle Räume temporär auszustatten.

So auch die Sixtinische Kapelle in Rom. Dafür beauftragte Papst Leo X. eine zehnteilige Serie an Tapisserien bei dem sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere befindlichen Künstler Raffaello Sanzio da Urbino, kurz Raffael. Gedacht waren die Darstellungen des Lebens und der Wundertaten der Apostel Petrus und Paulus für den unteren Wandbereich der Kapelle. Nur für bestimmte Anlässe wie Predigten an hohen kirchlichen Festen wurden die im Jahr 1515 geschaffenen, sehr empfindlichen Behänge angebracht.

Weil Raffael, der vor allem für seine außergewöhnlichen Madonnen-Gemälde bekannt war, noch nie derartige Kunstwerke geschaffen hatte, legte er sie wie Wandfresken mit monumentalen Figuren im Zen­trum an. Damit schlug der Künstler einen neuen Weg ein, der die Tapisseriekunst maßgeblich beeinflusste.

Pieter Coecke van Aelst
"Die Trägheit", eine der sieben Todsünden, nach einem Entwurf des flämischen Tapisseriekünstlers Pieter Coecke van Aelst.
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In der großen Herbstausstellung Raffael. Gold & Seide des Kunsthistorischen Museums (KHM) werden nun sechs dieser originalen Tapisserien präsentiert. Fünf davon stammen aus der KHM-Sammlung in Wien, eine konnte als Leihgabe aus den Vatikanischen Museen aus Rom anreisen.

Hotspot Belgien

In insgesamt drei Sälen und einigen Kabinetten werden neben den nach Raffaels Vorlagen gewobenen Stücke auch etliche Wandbehänge der flämischen Künstler Michiel Coxcie und Pieter Coecke van Aelst gezeigt, die durch die Werke des Renaissance-Meisters geprägt wurden.

Brüssel hatte sich im 16. Jahrhundert zur Hochburg der Tapisserie-Produktion entwickelt. So wurden auch die Entwürfe für die Sixtina auf Kartons in Originalgröße nach Belgien geschickt und dort zu den kostbaren Wandbehängen gewoben. Dort wurde der Maler Barend van Orley auf Raffaels Werk aufmerksam und leistete im Folgenden einen wichtigen Beitrag zu dessen Verbreitung und Anerkennung.

Ausstellungsansicht
Die Ausstellung ist in eine angenehme Dunkelheit getaucht, nur die Tapisserien und ausgewählte Artefakte werden durch dezente Lichtkegel hervorgehoben.
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Bei Raffael sind es unterschiedliche Szenen der beiden Apostel wie Der wunderbare Fischzug oder Der Tod des Ananias, die durch die immer gleiche Bordüre, die als Rahmung des Bilds funktioniert, als narrativer Zyklus gelesen werden kann. Bei Coxcie und Coecke van Aelst finden sich ebenfalls kirchliche Themen, die thematisch und auch stilistisch stark an Raffaels Tapisserien erinnern, sowie Interpretationen der sieben Todsünden. Manche der Behänge sind so groß, dass in der Ausstellung extra Operngucker bereitliegen, um die Details erkennen zu können.

Die von Katja Schmitz-von Ledebur, Leiterin der Kunstkammer, kuratierte Ausstellung ist in eine angenehme Dunkelheit getaucht, nur die Tapisserien und ausgewählte Artefakte werden durch dezente Lichtkegel hervorgehoben. Diese Beleuchtung reicht aus, um die aus Seide, Wolle und glänzenden Edelmetallen wie Gold oder Silber gewobenen Teppiche zu lebendigen Gemälden aus Stoff zu erwecken.

Unaufdringlich an der Hand

Zusätzlich greift die Raumgestaltung von Michael Embacher und Constantin Schweizer das Thema des Webens auf und hinterlegt die Ausstellungsobjekte mit zarten vertikalen Fäden, die sich leicht schräg vor die Wände spannen. Insgesamt wurden dafür 50 Kilometer Faden verwendet, die nach Ende der Ausstellung wiederverwertet werden.

Die Schule von Athen
Im 18. Jahrhundert feierte die Tapisserie ein Revival. Sogar Raffaels bekanntes Fresko "Die Schule von Athen" wurde kopiert und zu einem Wandbehang gewebt.
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Diejenigen, die Tapisserien aus der Renaissance für ein Spezialistenthema halten, können sich in der gelungenen Ausstellung vom Gegenteil überzeugen. Erstens ist allein die eindrucksvolle Größe der bis zu acht Meter breiten Tapisserien eine ästhetische Erfahrung, und zweitens wird man hier unaufdringlich an die Hand genommen: Dargestellte Szenen werden erklärt, in den Seitenkabinetten geben Vorstudien und historische Fotos der Originalkartons Aufschluss über die Entstehung. Videos veranschaulichen die komplexe Technik und geben Einblick in das Depot der Kunstkammer des KHM, wo insgesamt rund 750 eingerollte Tapisserien lagern.

Abschließend wird ein Wandbehang gezeigt, der nach Raffaels berühmten Fresko Die Schule von Athen im Auftrag von Ludwig XIV. kopiert und im 18. Jahrhundert angefertigt wurde. Die Tapisseriekunst erlebte erneut ein Revival, und man konnte nicht genug davon bekommen. Als Geschenk wurde das Exemplar Kaiser Joseph II. übergeben, der es nach Wien kutschieren ließ und in seine Sammlung aufnahm. (Katharina Rustler, 26.9.2023)