Chilly Gonzales
Chilly Gonzales und das Personal von "French Kiss". Rechts oben ist neben Chilly übrigens Klavierschnulzenkaiser Richard Clayderman abgebildet ("Ballade Pour Adeline").
Gentle Threat

Im Titelsong seines neuen Albums French Kiss verteilt Chilly Gonzales Zungenküsse an die französische Sprache, auch die Nationalhymne Marseillaise bekommt einen ab. Und unser guter Mann reimt sexuell aufgeladen und recht resch Voltaire und Flaubert auf Baudelaire und Bangalter.

"Je vous French Kiss / Avec la langue française / Je vous French Kiss / En chantant la Marseillaise / Bien dans mes charentaises, en robe de chambre, comme Robespierre / Je suis trop fier / De parler la langue de Voltaire, Flaubert, Baudelaire et Bangalter."

Der kanadische Musiker Chilly Gonzales ist einst im November 2000 während der Anfänge von Elektropunk-Heldin Peaches sowie Romantikerin Feist gemeinsam mit den zwei Frauen auf der Bühne des kleinen Wiener Gürtelclubs B72 auf der Bühne gestanden und hat oben ohne die Rocksau rausgelassen.

Heute sitzt der selbsternannte "Über-Entertainer" im edlen und in höheren britischen Ständen zum Rauchen im Herrenzimmer gedachten Hausrock und Pantoffeln auf Bühnen wie jener des Wiener Konzerthauses. Er unterhält mit Schnurren und Musik für jene Stunden, in denen das Kaminfeuer prasselt und der Cognac geschwenkt wird. Aus dem "Smoking Jacket" genannten Hausrock entwickelte sich später übrigens der festliche Smoking.

Chilly Gonzales

Nun liegt mit French Kiss ein neues, selbstverständlich in Paris, der Stadt der Liebe, entstandenes, schön in die frühen 1970er-Jahre weisendes, soft-rockiges und chansonaffines Album vor. In dessen Titelsong geht es mit onkeligem Sprechgesang gleich einmal mittels Reimzwang und Zungenkuss in die Vollen.

Nein! – Doch! – Ohh!

Die Marseillaise, Robespierre, Voltaire, Flaubert, Baudelaire und Daft-Punk-Mitglied Thomas Bangalter kommen also ebenso vor, wie man bei Paul Verlaine eigentlich nur die Seine vermisst. Zum Camembert und Jacques Prévert fehlt dann nur noch ein Glas Rotwein und eine dieser berühmten französischen Weißbrotstangen. Das auch besungene Cannabis macht schließlich Hunger. Kenner des Genres werden übrigens auch gern Frankreich, Frankreich der Kölner Band Bläck Fööss von 1985 hören.

Chilly Gonzales

Chilly Gonzalez hat schon Solopiano-Platten aufgenommen oder ein Hip-Hop-Album mit Streichern. Er vertonte Märchen von Hans Christian Andersen, kiffte sich durch ein Weihnachtsalbum und arbeitete mit Jane Birkin, Daft Punk oder Jarvis Cocker zusammen. Nun gehen ihm eher junge französische Nachwuchskräfte wie Bonnie Banane oder Juliette Armanet zur Hand. Gonzales singt und spricht über den Brand von Notre-Dame oder interpretiert Françoise Hardy (Message Personnel).

Einen besonderen Coup landet unser alter Schwerenöter mit dem Song Richard Et Moi. In dem inszeniert er gemeinsam mit dem alten Klavierschnulzenkaiser Richard Clayderman – ja, das ist der mit dem brutal-kitschigen Instrumentalschocker Ballade Pour Adeline von 1977! – eine Vater-Sohn-Eloge. Chilly Gonzales ist ein knallharter Typ. Das steht außer Frage. (Christian Schachinger, 25.9.2023)