A Boy's Life
Der 91-jährige Daniel Chanoch in der Doku "A Boy's Life".
Stadtkino Filmverleih

Ich hatte einen ziemlich guten Arzt, dank ihm lebe ich bis heute: Dr. Joseph Mengele." Das sagt der heute 91-jährige Holocaust-Überlebende Daniel Chanoch auf die Frage nach seinem Alter. In A Boy's Life – Kind Nummer B2826 erzählt er vom Überleben in sechs Konzentrationslagern. Zeitzeugen wie er verkörpern die Narben der Geschichte, heißt es im Statement der Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer. Und Chanoch ist einer von zwei der Letzten, die gerade in zwei Kinofilmen ihre Erinnerungen teilen.

Auch der zehn Jahre ältere und 2013 verstorbene Emile Zuckerkandl erinnert sich noch gut, etwa an den Einmarsch der Nazis in Österreich. Im Film Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen berichtet auch er von einer geraubten Kindheit. Sein Großneffe Rainer Frimmel hat ihn schon vor über einem Jahrzehnt interviewt und das Material nun zusammen mit Tizza Covi als Editorin zu einem Porträt montiert.

Mehr als Videodokumente

Die Erinnerungen dieser beiden Überlebenden sind mehr als Videodokumente, die die Wahrheit der Geschichte gegen Verleugnung behaupten und für die Zukunft bewahren. Beide, Emile wie Daniel, sind gute Erzähler, die das Schreckliche ebenso wie die zärtlichen persönlichen Details spürbar machen. Ihre Erfahrung markiert den Bruch, der durch das 20. Jahrhundert geht. Die Gewalt, die die Geschichte in ein Vorher und Nachher teilt, ist keine abstrakte höhere Gewalt, sondern eine konkrete menschliche. Auch Daniel Chanoch fragt sich noch immer, wie seine Schulkameraden im litauischen Kaunas plötzlich zu so viel Hass fähig waren, wie aus normalen Leuten mit Familien Mörder werden konnten.

Emile Erinnerung eines Vertriebenen
Bei Emile Zuckerkandl wird zudem die Vernichtung eines intellektuellen Milieus klar, war doch seine Großmutter Berta Zuckerkandl-Szeps eine bedeutende Wiener Salon-Gastgeberin.
Vento Film

Bei Emile Zuckerkandl wird zudem die Vernichtung eines intellektuellen Milieus klar, war doch seine Großmutter Berta Zuckerkandl-Szeps eine bedeutende Wiener Salon-Gastgeberin. Bei ihr gingen Künstler und Wissenschafter von Alma Mahler bis Stefan Zweig aus und ein – eine Wiener Kultur, die "durch den Nationalsozialismus zersprengt, vertrieben und ermordet worden ist", wie Rainer Frimmel sagt. Neben all den liebevollen Erinnerungen an die Großmutter hat er auch eine Fluchtgeschichte zu erzählen, die den späteren Molekularbiologen über Frankreich und Algerien bis nach Kalifornien führte.

A BOY'S LIFE Trailer
Ab 29. September im Kino
Stadtkino Filmverleih

"Nie geweint"

Auch Daniel Chanoch sagt, er sei alt genug gewesen, um sich an das gute Leben vorher zu erinnern. Seine Erzählung geht bis zur "dunkelsten Ecke der Hölle" im letzten Konzentrationslager im oberösterreichischen Gunskirchen. Zuvor transportierte er an der Rampe von Auschwitz Leichen und wird dem Roten Kreuz von Joseph Mengele als Vorzeigepatient vorgeführt. Er verbrachte 44 Monate im Ghetto und in Lagern, bis er als 13-Jähriger befreit wurde. All das berichtet Chanoch in sachlichem Ton, nur von wenigen Texten und Filmaufnahmen unterbrochen. Emotionen konnte er sich damals nicht leisten und verzichtet auch heute noch darauf. "Ich habe nie geweint. Es hätte keinen Sinn gemacht. Hätte ich Gefühle gezeigt, hätte ich vielleicht nicht überlebt." (Marian Wilhelm, 26.9.2023)