Emil Kaschka, ein in Wien lebender Tiroler, der an der Filmakademie Drehbuch und Regie studiert, gewann am Samstagabend die Österreichsichen Poetry Slam Meisterschaften
Emil Kaschka, ein in Wien lebender Tiroler, der an der Filmakademie Drehbuch und Regie studiert, gewann am Samstagabend die österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften.
Caro Neuwirth

Der Keller des Café Aera in der Wiener Innenstadt ist mit rund 100 Zuschauern voll besetzt, das überwiegend junge Publikum hält wahlweise Frucade-Flaschen oder Biergläser in der Hand. Es ist Donnerstag voriger Woche, 17.30 Uhr, und der erste von drei Abenden im Zeichen der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften. Für die meisten Besucher ist es nicht der erste Slam, zeigt ein auf die Frage der Moderatorinnen geäußertes "Juhu". "Oje" sagen aber auch einige, sie waren noch nie bei einem.

Für sie sind die Regeln schnell erklärt: Präsentiert werden selbstgeschriebene Texte mit maximal fünfeinhalb Minuten Länge, Kostüme und Singen sind nicht gestattet. Die oberste Regel richtet sich aber an die Zuschauer und lautet "Respect the poet", man soll also während der Auftritte nicht quatschen. Sonst ist die Stimmung locker. Eine fünfköpfige Jury aus dem Publikum vergibt Punkte und entscheidet über den Sieg. Ein Punkt ist für einen Text fällig, der nie hätte geschrieben werden sollen, höchstens winken zehn. Los geht’s. Mit einem Zehnerapplaus soll das Publikum jeweils die "Poet:innen" on stage begrüßen.

Slam-Poetry ist eine literarische Spielart, die aufs gesprochene Wort setzt, performt live vor Publikum. Melodie und Reime prägen den lyrischen Eindruck, sind aber kein Muss. Seit den 1990ern etabliert sich Slam-Poetry im und parallel zum Literaturbetrieb, denn manche schauen sie als zu anbiedernd und unterhaltend schief an. Doch die Mauern sind durchlässig. Klar, Poetry-Slam ist nämlich eine Erfolgsgeschichte.

Fünfzig Slams im Monat

Meisterschaft hin, Meisterschaft her: Slams mit einem solchen oder ähnlichen Ablauf finden also jedes Monat an die fünfzig Mal in Österreich statt, sagt Mike Hornyik, einer der Organisatoren des Ö-Slams 23. Er kennt sich in der Szene aus. Jedes Bundesland habe ein bis zwei größere oder wichtige Veranstaltungsvereine, in Wien gebe es ein paar mehr.

Wobei Hornyik findet, dass sich die Bundeshauptstadt mit ihren vielen Terminen letztlich "keinen Gefallen" tut. 100 bis 150 Besucher lockt ein Slam hier an – anderswo gebe es weniger, dafür aber größere Events: 200 bis 300 Leute hängen den Performern in Innsbruck monatlich beim Bäckerei Poetry Slam an den Lippen, über 300 lauschen in Graz dem Hörsaal-Slam.

Die Termine der 16. Meisterschaften waren jedenfalls ausverkauft. Neben dem Einzelbewerb gab es einen für Teams und einen für Teilnehmende unter 20 Jahren. Insgesamt waren am Bewerb etwa 80 Personen in verschiedenen Funktionen auf und hinter der Bühne beteiligt. "Das ist schon ein sehr großer Teil der Szene", sagt Hornyik. Man kenne schnell die meisten Leute.

Eine Not-to-do-Liste

Vielleicht scheint es deshalb, als wären alle im Café Aera sehr lieb zueinander. Der Spirit geht aber darüber hinaus. Diversität und Wokeness werden großgeschrieben, immer ist genderneutral von "Personen" oder "Menschen" die Rede. Die Performances bekräftigen den Eindruck: Die Teilnehmerin Die Bacher liest eine Not-to-do-Liste vor. Was sie nicht mehr will? Sich auf Tinder verstellen oder Menstruationsprodukte von Marken mit "unrealistischer Werbung" kaufen. Bei Basquel geht es um die Migrationsbiografie einer Mutter aus der Slowakei. Elena Sarto thematisiert die stete Vorsicht von Frauen, um nicht Opfer einer Vergewaltigung zu werden.

strizzico.

Ist dieser Eindruck repräsentativ? Die Szene sei noch nicht divers genug, aber das Männer-Frauen-Verhältnis schon recht ausgeglichen, sagt Hornyik. Österreich habe eine starke weibliche Szene, es werde viel feministische und LGBTIQA-Arbeit geleistet. Poetry-Slams als hoch gesellschaftspolitische Plattform? Dem stimmt Hornyik voll zu.

Man könne bei Slams sehen, welche Themen aktuell bewegen, zuletzt hat er mehr Texte zur Klimakrise bemerkt. "Poetry-Slam ist eine sehr niederschwellige Möglichkeit, etwas zu sagen. Man muss nicht gleich ein ganzes Buch schreiben. Und sehr viele junge Leute haben gerade dieses Bedürfnis", sagt Hornyik. Bei den kleineren Slams merkt er, dass immer wieder neue Leute teilnähmen, die es probieren wollen. Ist Tiktok bei den Jungen keine Konkurrenz? Da fehle das Liveerlebnis, meint er. Und so ist die Szene in den letzten Jahren gewachsen, sowohl was Künstlerinnen als auch Publikum betrifft. Einen Dämpfer durch Corona hat man überwunden.

Sprungbrett

Inzwischen auf anderen Gebieten erfolgreiche Slammer wie Kabarettistin Lisa Eckhart, Musiker Paul Pizzera oder Autor Elias Hirschl haben daran sicher auch Anteil. Als Sprungbrett taugt diese Schule, auf einen Lebensunterhalt als Slammerin hoffen sollte man indes nicht. Im besten Normalfall führt Präsenz auf Slams dazu, dass Künstler mal für Firmenfeiern, Messen, Auftragstexte gebucht werden. Davon leben wollen aber ohnehin die wenigsten.

Siebenmal gab es beim Ö-Slam zuletzt Siegerinnen. Man könne nicht sagen, dass ein Beitrag, der sich reimt, besser ankommt, sagt Hornyik. An dem Abend machen die Slammerinnen in puncto Statements mehr Eindruck, die Slammer spielen dafür mehr technisch mit Wörtern, Ironie, Fantasie. Gewonnen hat der Drehbuch- und Regiestudent Emil Kaschka mit einem Text über Fußball und Transgender. Er kann die Krone neben sein jüngst erhaltenes Dramatikstipendium vom Kulturministerium hängen. (Michael Wurmitzer, 26.9.2023)