Der Zeitungsverband VÖZ hat nach inzwischen bestätigten Informationen des STANDARD beschlossen, den Journalismus-Kollektivvertrag für Tages- und Wochenzeitungen aufzukündigen. Solche Kündigungen erfolgen jeweils mit Jahresende, bis zu einem neuen Kollektivvertrag gilt der alte für bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings gibt es keine KV-Erhöhungen, bis ein neuer Kollektivvertrag ausverhandelt ist.

Der Vorsitzende der Journalismusgewerkschaft, Eike Kullmann, erklärt gegenüber dem STANDARD, "Kampfmaßnahmen jeglicher Art sind durchaus möglich". Kommenden Montag werde bei einer inzwischen einberufenen Betriebsrätekonferenz darüber beraten.

Zeitungen und Magazine Verkaufsstand
Der Kollektivvertrag für Tages- und Wochenzeitungen wurde vom Zeitungsverband aufgekündigt.
Harald Fidler

Die Medienbranche steht unter massivem wirtschaftlichem Druck – von vervielfachten Papierpreisen in den vergangenen Jahren über gestiegene Energiekosten und Vertriebsprobleme bis hin zur Anpassung der Kollektivvertragsgehälter an die Inflation um 8,6 Prozent zur Jahresmitte. Internationale Digitalkonzerne wie Alphabet, Meta, Amazon und Bytedance/Tiktok holen den Großteil der Werbebuchungen, die bisher die Produktion von journalistischen und anderen Medieninhalten wesentlich finanziert haben.

Die geplante, aber von der EU noch geprüfte Journalismusqualitätsförderung orientiert sich nach der Zahl der Redaktionsmitglieder, die nach Kollektivvertrag für Tages- und Wochenzeitungen angestellt sind - oder nach "vergleichbaren" Kollektivverträgen oder nach Tarifen, die diesen Zeitungs-KV nicht unterschreiten.

Mit Wirkung bis zum Jahresende 2023

Der Vorstand des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) habe "einstimmig den Beschluss gefasst, als Kollektivvertragspartei auf Arbeitgeberseite von seinem sozialpartnerschaftlich vereinbarten Recht Gebrauch zu machen und den Kollektivvertrag für Redakteurinnen und Redakteure und den Gesamtvertrag für Ständig Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Wirkung zum Jahresende 2023 zu kündigen", heißt es in einem Statement der Herausgeber.

Im Kündigungsschreiben an die Gewerkschaft biete der Vorstand des Verlegerverbands der Gewerkschaft GPA verbindlich an, "die Laufzeit aus Arbeitgebersicht vollumfänglich bis 30. Juni 2024 zu verlängern, um entsprechende Verhandlungen zu einer Neugestaltung des KV zu ermöglichen". Dies bedeute, "dass sich für die einzelne Dienstnehmerin bzw. den einzelnen Dienstnehmer zunächst nichts ändert".

Medien verlegerischer Herkunft seien "seit mehr als zwanzig Jahren angesichts der digitalen Transformation mit einer dramatischen Veränderung des Marktumfelds konfrontiert", argumentiert VÖZ-Präsident Markus Mair. "Durch die zunehmende Umstellung auf das digitale Zeitungswesen befinden wir uns einerseits in einer direkten Konkurrenzsituation mit den internationalen digitalen Plattformen wie Google, Meta und Co. Andererseits erschwert das digitale Gratisangebot des künftig mit rund 810 Millionen Euro beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Transformation der Werbeerlöse."

Massive Kostensteigerungen

Parallel dazu gelte es, massive Kostensteigerungen in allen Unternehmensbereichen zu bewältigen, die aufgrund der sinkenden Gesamtumsätze die Medienhäuser verlegerischer Herkunft zusätzlich belasten würden. Durch die digitale Transformation stehe man darüber hinaus vor einer unerlässlichen Veränderung in Aufbau und Ablauf von Arbeitsprozessen in den Redaktionen: Diese müssten von ihrer Ausrichtung auf die Produktion von Printerzeugnissen rasch und nachhaltig auf die Erstellung von Inhalten für alle Kanäle umgestellt werden. Der Kollektivvertrag in der derzeit gültigen Form bilde diese Realitäten nicht ab.

Zum Erhalt der Pressevielfalt in Österreich braucht aus laut Herausgeberverband "eine Reform des Kollektivvertrags, damit dieser künftig den Anforderungen des heutigen globalen, digitalen Medienmarkts entspricht und den Medienhäusern verlegerischer Herkunft die fortschreitende digitale Transformation ermöglicht". Gemeinsames sozialpartnerschaftliches Ziel müsse es sein, "den Rahmenvertrag so zu gestalten, dass einerseits der betriebliche Fortbestand und dadurch die Medien-, Titel- und Meinungsvielfalt in Österreich ausreichend gesichert werden und andererseits eine größtmögliche Zahl an Beschäftigten in der Branche gehalten werden kann", betont VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger. "Daher schlagen wir der Gewerkschaft vor, umgehend in ernsthafte Verhandlungen zum Rahmenrecht einzutreten, die auch die Tarifverhandlungen inkludieren, um dieses engagierte Ziel bis zum 30. Juni kommenden Jahres zu erreichen."

Keine Verhandlungen

Für Journalismusgewerkschafter Kullmann ging der Zeitungsverband "indiskutabel" und "nicht nachvollziehbar" vor: Der VÖZ habe die Gewerkschaft nicht informiert, dass und welche Änderungen die Medienunternehmen anstrebten. Es habe keinerlei Gespräche oder Verhandlungen über Änderungen des kollektivvertraglichen Rahmens gegeben. Der Zeitungsverband sei im Gegenteil auf Terminvorschläge der Gewerkschaft in den vergangenen zwei Jahren nicht eingegangen. Die Gewerkschaft habe signalisiert, man könne "über viele Dinge reden, ja, wird darüber reden müssen", sagt Kullmann. Die Kündigung sei "ein Abgesang auf qualitätsvollen Journalismus", die Interessierten bedeute, sie mögen diese Branche erst gar nicht anstreben.

Die Verleger versuchten Druck zu machen, "jetzt kommt Gegendruck von uns", erklärt Kullmann. Bei einer Betriebsrätekonferenz am kommenden Montag würden weitere Maßnahmen beraten. "Kampfmaßnahmen in jeglicher Form sind durchaus möglich."

Für Kullmanns Stellvertreterin in der Journalismusgewerkschaft, Ute Gross, ist die Kündigung des Kollektivvertrags "ein Affront und eine Missachtung der Kolleginnen und Kollegen", die in den Unternehmen schon mit massiven Sparpaketen konfrontiert seien. Die Medienunternehmen schadeten sich selbst, wenn sie unmittelbar vor dem – üblicherweise werbestarken – Weihnachtsgeschäft eine solche Maßnahme gegen die Belegschaft setzten, sagt Gross.

Gewerkschaft fordert von VÖZ, Kündigung zurückzunehmen

Die Kündigung des Kollektivvertrags durch den VÖZ sei "ein Affront gegenüber den Beschäftigten und wird dazu führen, dass noch mehr Journalist:innen die Branche verlassen", sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA. Die Kündigung werde "die Krise der Zeitungen weiter verschärfen" und sei kein Zukunftskonzept. Qualitätsjournalismus brauche "gesicherte Rahmenbedingungen, deshalb ist die Anwendung des Kollektivvertrags auch Voraussetzung für die zukünftige Journalismusförderung", so Treiber.

"Die Journalist:innengewerkschaft in der GPA war und ist immer verhandlungsbereit und hat bereits im Jahr 2012 die Reform des Kollektivvertrags mitgestaltet. Die Kündigung des Journalisten-KV erfolgt überfallsartig, und ohne dass der VÖZ das Gespräch mit uns gesucht oder irgendwelche Forderungen erhoben hätte", so die Gewerkschaft. "Die schwierige Situation der Zeitungsunternehmen kann und wird nicht auf dem Rücken der Kolleg:innen bewältigt werden."

Die Gewerkschaft fordert den VÖZ auf, die Kündigung "umgehend zurückzunehmen und in ordentliche Verhandlungen mit uns einzutreten". Das Beharren auf der KV-Kündigung wäre "ein Bruch der Sozialpartnerschaft und der endgültige Abgesang des VÖZ auf die gesamte Branche", so der Gewerkschaftsvorsitzender Eike-Clemens Kullmann.

Katzian vermisst Respekt

Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian kritisiert den Verlegerband. Der VÖZ habe mit seinem Vorgehen die Parameter für Sozialpartnerschaft ("Dialog, Augenhöhe und – besonders wichtig – Respekt") nicht berücksichtigt. "Das ist auch verwunderlich, weil ich den VÖZ grundsätzlich als Partner im Kampf der Gewerkschaften und Medien um die zentralen Elemente der Demokratie, nämlich Pressefreiheit und Gewerkschaftsfreiheit, kenne", so Katzian in einer Aussendung. Er geht davon aus, "dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, dass der VÖZ diese Kündigung zurücknimmt und den Dialog auf Augenhöhe mit dem nötigen Respekt sucht". (fid, red, 26.9.2023)