Paul Weller
Paul Weller (hier aufgenommen Ende voriger Woche in Rom): Mit der Autorität von 46 Arbeitsjahren und 16 Soloalben im Gepäck kann man auch live gut am eigenen Coolness-Faktor arbeiten.
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Lassen wir die Mutwilligkeit des Brexits einmal beiseite: Großbritannien hat dem Kontinent unendlich viele smarte, nutzbringende und einige alberne Dinge geschenkt. Dazu zählen die Weinerlichkeit der Smiths, die Clotted Cream auf den Scones, aber eben auch das Modebewusstsein der Mods und der mit ihnen assoziierten Bekleidungsfirmen. "Modfather" Paul Weller hatte pünktlich zu Saisonbeginn sein Erscheinen im Wiener Volkstheater annonciert. Prompt feierte das Haus am Arthur-Schnitzler-Platz die Zusammenkunft eines britischen Modezirkels.

Reifere Herren trugen freudestrahlend ihre Fred-Perry-Shirts durch die Gänge. Allein der Sitz der meisten auffällig gut geschnittenen Hosen schuf die Illusion: In der Neustiftgasse ist Soho. Weller selbst befindet sich mit seinen 65 Erdenjahren gerade in der Form seines Lebens. Die beiden letzten Alben mögen keine unsterblichen Meisterwerke gewesen sein, vielleicht aber doch. Auf On Sunset (2020) zelebrierte Papa Weller die opulent-dekadente Wiedergewinnung der 1970er: als Soul-Reise in den Palmenschatten Kaliforniens.

Fat Pop (Volume 1) (2021) war dann eher das nachgereichte Covid-Skizzenbuch, eine herrlich alberne Kompilation aus Versatzstücken und Geistesblitzen. Weller darf dergleichen, einfach weil er's kann. Und nun das: zwei Drummer, ein Saxofon, das auf den Doppelschlag der Snare hin ein Riff trötet.

Weller selbst trägt das dünne, aschblonde Haar jetzt lang und offen. Man kann ihn sich gut – die asketischen Züge! – als entlaufenen Priester der Church of England vorstellen. Die butterweiche Lederjacke verweist auf Arbeitsethos und einigen Wohlstand. Paul Weller hat mit The Jam die atemlose Erzählweise des Punk mitgeprägt.

Ohne Machismo

In den 1980ern riss er das Steuer herum. Er entwarf ein artifizielles Cool Britannia, bestehend aus Filmzitaten (die Plakate!) und Northern Soul, modebewusst, friedensbewegt, ohne Machismo. The Style Council besaßen die schönsten Balladen der Welt (My Ever Changing Moods) und spielten, nicht nur weil sie Margaret Thatcher hassten, verminderte Akkorde.

Heute nimmt Weller Songs aus 46 Jahren wie frischgebügelte Maßhemden aus dem Kleiderkasten. Der Blue Eyed Soul dieses asketischen Titanen reicht von den Small Faces bis weit in die Ausläufer des Britpop. Live bedeutet das: "In these times of confusion" bedarf es echter britischer Qualitätsmusik, um angesichts der vielen Übel auf dieser Welt (die Tory-Regierung, die leeren Supermarktregale, das Sterben der Pubs!) nicht kleinmütig zu werden und endgültig zu verzagen.

Ein Lied namens Jumble Queen hat Weller zusammen mit seinem jungen Freund Noel Gallagher geschrieben. Live zauberte die Tour-Band Tränen der Freude in die von Altersweitsicht geplagten Augen der über 800 Wienerinnen und Wiener. Die Hammondorgel quiekte wie einst im Mai – und erinnerte sehr zünftig an Wellers geistige Verwandtschaft mit dem weißen Soul-Erben Steve Winwood.

Kaputter Verstärker

Über weite Strecken trug den Mod-Vater jedoch ein brodelnder Voodoo-Groove. Die Stromgitarre schlug wie stets der getreue Steve Cradock. Prompt war dessen Gitarrenverstärker etwa zur Mitte des Sets hinüber; ein unschuldsvoller Roadie stöpselte so lange die Kabel um, bis Weller endgültig der Geduldsfaden riss.

Der Chef verfügte daraufhin fünf Minuten Pause, um das "motherfuckin'" Technikproblem lösen zu lassen. Paul Weller stammt aus Woking, rund 25 Bahnminuten vom Waterloo-Bahnhof entfernt. Dort, im Weichbild Londons, hat er in seiner Jugend viele, auch ordinäre Schimpfwörter gelernt. Sie führt er heute nur noch im Mund, wenn es unbedingt sein muss.

Und dann, Cradocks Fußpedale waren frisch verlinkt: Shout to the Top! Der unwiderstehliche Groove des National Express, abgelöst von der Wolkenmalerei von Above the Clouds. Hat Weller auf merkwürdigen Alben wie Sonik Kicks (2012) nicht sogar waschechten Krautrock gespielt? An diesem magischen Abend sitzt der Peacock Suit hingegen wie angegossen. Mod-Vater rockt! Dad hat auch That's Entertainment von The Jam mitgebracht. Seine jungen Freunde sind ihrem Genius blind ergeben, sie haben den Funk und die Weisheit.

Hat Paul Weller vergessen, uns etwas mit auf den Weg zu geben? Mag sein, eine Langfassung von I Walk on Gilded Splinters. Sollte Britannien vor die Hunde gehen: Solange es das Chamäleon Weller gibt, werden die Hosen beim Weltuntergang perfekt sitzen. Gut so. (Ronald Pohl, 26.9.2023)