The Creator
Madeline Yuna Voyles besänftigt als Robotermädchen Alfie in "The Creator" eine denkende und sprechende Bombe, die doch sehr an R2D2 aus "Star Wars" erinnert.
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In unserer heutigen Zeit sieht man Flesh-Tunnels, also große, mit einem Metallring gehaltene Ohrlöcher, in derart hoher Zahl meistens bei Metal- oder Gothic-Veranstaltungen. Im Jahr 2065 auf dem Kontinent "New Asia" klafft bei sehr vielen Menschen statt der Ohren überhaupt ein zylindrisches Loch voller Feinmechanik im Kopf.

Der Science-Fiction-Film The Creator bevölkert seine Welt nicht nur mit künstlicher Intelligenz, sondern auch mit philosophischen Grundfragen. Was ist Recht, was ist Unrecht? Können Maschinen menschliche Gefühle und ein Denken außerhalb von Algorithmen entwickeln? Kann der Mensch menschliche Gefühle und ein Denken außerhalb von Algorithmen entwickeln? Warum müssen die Amis in Hollywood immer gleich mit immer noch größer werdenden Waffen herumballern, sobald ihnen etwas nicht in den Kram passt? Warum müssen künstliche Wesen immer wie Menschen aussehen und liebe künstliche Gesichter und leicht ausreißbare Gliedmaßen haben?

In einer im nächtlichen Tokio gedrehten Straßenszene, die im Studio statt mit KI mit Copy-and-paste und CGI zu einem Blade Runner-Idyll veredelt wurde, sieht man eine elektronische Plakatwand, auf der die Menschen aufgefordert werden, Gutes zu tun: "Donate your likeness. Get scanned today. Support AI." Spende dein Abbild und lasse dich scannen. Unterstütze die KI.

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Irgendwann, so lernen wir, übernimmt die KI fürsorglich das Ruder, um das Leben der Menschen zu einem besseren und leichteren zu machen. Auch der Tod ist nicht länger das Ende. Menschlichkeit hat nichts mit Fleisch und Blut zu tun. Die gescannte Seele passt auf einen Chip. Den schiebt man in den Slot eines humanoiden Nachbaus, und schon hat man seine verstorbene Ehefrau, die Erbtante oder seinen Lieblingsstammtischbruder als Exomenschen wieder vor sich.

In The Creator werden diese Wesen von den grimmigen Vertretern des militärisch-industriellen US-Komplexes abfällig "Simulanten" genannt. Das heißt, die Androiden tun nur so, als seien sie Menschen. Nach einer vermeintlich von der KI gezündeten Atombombe in Los Angeles macht das Militär Jagd auf die KI und deren Oberboss Nirmata, im Nepalesischen gleich "Schöpfer".

Wie der britische Regisseur Gareth Edwards aber schon in seinen Filmen Monsters, Godzilla oder dem Star Wars-Ableger Rogue One zu berichten wusste, braucht jede Technik Kontrolle sowie eine ethische Grundlage. Insofern müsste man die Frage, ob man Angst hat, dass die KI einmal den ganzen Laden übernehmen werde, mit Komiker Ricky Gervais beantworten: "Ich hätte gern, dass irgendeine Form von Intelligenz den Laden übernimmt."

Bis eine weint!

In The Creator ist die Welt mittlerweile von KI befreit, nur in New Asia verstecken sich menschliche Rebellinnen gemeinsam mit ihren katzenstreichelnden Robofreunden, buddhistischen Blechpriestern und agrarökonomisch tätiger Mischbevölkerung im aus Apokalypse Now bekannten Dschungel oder in der wunderschönen Bergwelt Nepals. Am Fließband werden in nur unzureichend versteckten und erst aus etwa zehn Kilometer Entfernung ohne Feldstecher erkennbaren geheimen Geheimlaboren und supergeheimen Geheimfabriken die neuen Menschen für die neue Welt hergestellt.

Darunter befindet sich auch Alfie (Madeleine Yuna Voyles), ein Robotermädchen, das mit reiner Gedankenkraft ihre Kollegenschaft zu steuern vermag und auch echte Tränen weint! In güldenen Kuppelklostern raunen androide Mönche durch mit Räucherstäbchen verwehte Hallen transzendente Weisheiten: "Sie haben uns als Sklaven erschaffen, aber unser Erlöser wird kommen. Und unsere zwei Arten werden in Frieden miteinander leben."

Die Apokalypse ist nah, am Himmel scannt US-Todesstern Nomad die Gegend. Nirmata und die ganze restliche Bande der "Rebellen vom Liang Shan Po" sollen mit Bomben, Granaten oder sprintlaufenden sprechenden Bomben, die an R2D2 im Zauber der Montur erinnern, kartätscht werden. Bombe an Einsatzleiter: "Es war mir eine Ehre, Ihnen zu dienen, Sir!"

Zuvor ist Protagonist Joshua (John David Washington), ein undercover zwecks Aufspürung des KI-Zentralgestirns in die Rebellenkreise eingeschleuster G.I. Joe, zur Erkenntnis gelangt, wie grausam seine Kameraden sich gegenüber dieser friedlich koexistierenden asiatischen Wertegemeinschaft Mensch und Menschmaschine verhalten. Er hat die Seiten gewechselt. Bevor die bösen US-Soldaten in eine unterirdische Anlage eindringen, mähen sie ein ganzes Dorf nieder. Eine alte Bäuerin klagt: "Die Dinger da unten haben mehr Herz als ihr!"

Visuell beeindruckend mit billigen Digitalkameras an Originalschauplätzen, mit kleinem Team und schlanken 80 Millionen Dollar Budget gedreht, hat man in der Nachbearbeitung mit den Effekten nicht gespart. Das esoterische Brimborium allerdings hätte man weglassen können. Das Drehbuch stammt möglicherweise von ChatGPT. Hier kamen Blockbuster wie A.I., Alien: Covenant, Apocalypse Now, Avatar, Blade Runner, Equilibrium, Auf der Suche nach dem Goldenen Kind in den Mixer. Und fertig war ein optisch überwältigendes, inhaltlich sauer aufstoßendes Smoothie. Am Ende stellt sich heraus, dass die Schöpfung oft menschlicher agiert als ihre Schöpfer. Glück auf! (Christian Schachinger, 27.9.2023)

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