Wenngleich weder die finanzielle Unterstützung der Länder durch den Finanzausgleich mit dem Bund fertig ausgehandelt ist noch die Bereitstellung von ausreichend Betreuer:innen und Pädagog:innen klar ist, so haben dennoch ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner und ÖVP-Abgeordneter Norbert Sieber eine "Kindergartenmilliarde" bis 2027 versprochen. Darüber hinaus hat kürzlich ÖVP-Familienministerin Susanne Raab angekündigt, den Ausbau der Kinderbetreuung mit 4,5 Milliarden Euro zu forcieren. Damit sollen unter anderem ganztägige Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden, damit Frauen in der Lage sind, mehr zu arbeiten. Als Krönung – und somit kohärent zum Agenda-Setting für den Wahlkampf – hat jüngst auch Karl Nehammer im Kreise von Parteifunktionären herablassend über Frauen in Teilzeitbeschäftigungen hergezogen, ohne sich die Gründe für die prekären Beschäftigungsverhältnisse von vulnerablen Gruppen erklären zu lassen.

Mutter und Kind halten Hand
Betreuungsmöglichkeiten allein bedeuten noch lange nicht, dass Frauen in nichturbanen Gebieten tatsächlich selbstständig leben können.
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Dieser fast überraschend kommende Vorschlag, also die Priorisierung des Themas im Policy-Setting der ÖVP, kommt zu spät – gefühlt um zwanzig bis dreißig Jahre. Stimmen, die es bis dato forderten, blieben von einer dem christlich-heteronormativen Familienmodell folgenden Partei ungehört. Fehlende Kindergartenplätze, zu wenig Betreuer:innen oder Pädagog:innen, zu hohe Kosten und eine dafür benötigte hohe Anforderung an öffentlicher Mobilität: All das bestimmt am Ende des Tages, welche Beschäftigungsverhältnisse Frauen (sie übernehmen in einer Male-Breadwinner-Wahrnehmung nun mal die Hauptlast der Kinderbetreuung) haben können.

In der Gesamtheit stieg die Teilzeitquote von 2021 auf 2022 für Frauen um "nur" 1,1 Prozent1. Dies ist allerdings trügerisch, denn bei einer Gesamtquote an Teilzeitbeschäftigung von 50,7 Prozent ist dieser Wert um 38,1 Prozent höher als bei Männern. Besonders Frauen und insbesondere Migrantinnen sind von der Teilzeitarbeit augenscheinlich am stärksten betroffen. Es bedeutet darüber hinaus, dass mehr als die Hälfte der in Österreich beschäftigten Frauen keiner Vollbeschäftigung nachgehen können (oder natürlich auch wollen – denn dieser Artikel zielt nicht darauf ab, Kinderbetreuung und Zeit mit dem Kind zu schmälern).

Individualisierung der Arbeitswelt auch für Frauen?

Wenn der deutsche Soziologe Ulrich Beck von einer Individualisierung der Arbeitswelt schreibt, meinte er damit, dass sich die stetige, gewerkschaftlich und arbeitsrechtlich durchgesetzte Verkürzung der Wochenarbeitszeit über die letzten einhundert Jahre auf die persönliche Entfaltung positiv auswirkte. Er nennt dies die Individualisierung. Durch diese Arbeitszeitverringerung war es Frauen möglich, am Arbeitsmarkt stärker teilzunehmen, da dies mit der immer noch der Frau zugeordneten Hausarbeit praktikabel erschien.

Jedoch schuf dies, in vernichtender Konsequenz, für Frauen eine Dreifachbelastung mit Beschäftigung, Kinderbetreuungs- und Haushaltsanforderungen. Dies erzeugte Prekaritäten, welche die Schattenseiten der Individualisierung sind. Bedingungen in der Lebens- und Arbeitswelt, wirkten und wirken sich auf Frauen oftmals in Teilzeitbeschäftigungen oder geringfügiger Arbeit (welche keine eigene Kranken- und Pensionsversicherung beinhaltet) aus.

Dennoch, so Ulrich Beck, hat "das selbst verdiente Geld […] nicht nur seinen materiellen Wert, es hat auch einen sozialen und symbolischen. Es verändert die Machtbeziehungen in der Ehe und Familie"2. Mit diesen Veränderungen kam aber auch die Frage der Mobilität auf. "Die mit dem Arbeitsmarkt verknüpfte Mobilitätsanforderung [wurde] aber auch […] Familiengift"3. Denn dadurch, dass es hauptsächlich Frauen sind, die den Spagat zwischen Familienleben und Beschäftigung bewältigen müssen, wurden Abhängigkeiten geschaffen und damit die Prekaritäten verstärkt.

Positiv zu beleuchten ist jedenfalls, dass Frauen immer häufiger aus unterschiedlichen Gründen am Arbeitsmarkt teilnehmen, und daraus resultierend emanzipierten sich die ehelichen Machtbeziehungen, Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen. Negativ ist jedoch, dass Mobilitätsanforderungen in ländlichen Regionen immer noch eine sehr große Herausforderung – sowohl für Bundes- als auch für Regionalpolitik – ist.

 Ein unabhängiges Leben für Frauen in ländlichen Regionen?

Die Prekaritäten in der Arbeitswelt entstanden zu einem Großteil durch einen Unwillen der Politik, sich dem Thema anzunehmen, Geld für Betreuungsplätze, Pädagog:innen und Assistent:innen zur Verfügung zu stellen. Daraus resultierte ein nicht enden wollender Boom an Teilzeitbeschäftigungen. Diese wiederum führt dazu, dass Frauen in ländlichen Regionen stärker dem Gender-Pension-Gap (Unterschied zwischen Pension eines Mannes und einer Frau) trieb. Dieser beträgt in Österreich derzeit (2020) 38,1 Prozent weniger Pension für Frauen.4

Im Zusammenhang mit den prekären Beschäftigungsverhältnissen ist es wichtig zu erwähnen, dass vor allem in ländlichen Regionen Österreichs die Mobilität, die durch mangelnde Infrastruktur besteht, verbessert werden muss. Eine alleinerziehende Mutter, die sich in einer Teilzeitbeschäftigung befindet und dadurch ein niedrigeres Einkommen hat, benötigt im nichturbanen Raum ohne ausreichende öffentliche Anbindung eine individuelle Beförderungsmöglichkeit. Dies ist mit enormen Zusatzkosten verbunden, was in Zeiten von Preiserhöhungen und Krisen immer mehr Chancen von Frauen nimmt. Dadurch wird einerseits die Mobilität eingeschränkt, was die Arbeitsstellensuche erschwert, und andererseits die Möglichkeiten, am Arbeitsmarkt überhaupt teilzunehmen, vernichtet.

Kinderbetreuungsplätze alleine sind zu kurz gedacht

Wegen der genannten Gründe ist der Ausbau der Kinderbetreuung allein nicht ausreichend, um die vom Familienministerium wünschenswerte Vereinbarkeit von Vollzeitberufen der Frauen zu erreichen. Das Vorhandensein von Kinderbetreuungseinrichtungen und die öffentliche Infrastruktur bestimmen – hauptsächlich für Frauen –, welchen Beschäftigungen diese nachgehen können. In außenstädtischen Gemeinden ist Betreuung vor allem nachmittags marginal und unzureichend ausgebaut, daher bleibt – meistens – Frauen kaum eine andere Möglichkeit, als eine Teilzeitstelle anzunehmen. Damit beginnt eine unglaubliche Abwärtsspirale, die zwar nicht für alle Mütter, aber bestimmt für viele Alleinerziehende negative Konsequenzen hat.

In diesem Kontext kann man vielleicht auch das von Ulrich Beck erwähnte "Familiengift" deuten. Denn besonders in Zeiten der neuen Herausforderungen und vermeintlich fehlender Stabilität können sich auch viele Familien keine zwei Fahrzeuge leisten. Vielfach ist es der Mann, der mit dem Auto zur Arbeit fährt, da er als Hauptverdiener angesehen wird. Das bindet Frauen oftmals an eine schlecht bezahlte Arbeitsstelle im erreichbaren Umfeld, was oftmals keine Vollzeitstellen sind. Dadurch ist zu einem späteren Zeitpunkt die Pensionsleistung in Gefahr, und das führt zum Gender-Pay-Gap.

Tatsächlich ist eine gesicherte Ganztageskinderbetreuung nicht unbedingt ein Garant dafür, dass dies auch im nichturbanen Raum genutzt wird, jedoch sollte die Möglichkeiten geschaffen werden, damit langfristig Veränderungen herbeigeführt werden können. Deshalb spielt der politische Diskurs eine entscheidende Rolle, denn bisher wurde das Male-Breadwinner-Modell von der ÖVP propagiert und von der FPÖ als einzig wahres Familienbild angesehen. In der Realität gerät dieses Modell mehr und mehr in eine Schieflage und bedarf einer politischen Neuverortung.

Forderung an die Politik

Die Herausforderungen sind mannigfaltig. Darüber hinaus sollte ein Diskurs darüber eröffnet werden, wo Politik eigentlich stattfindet. Meistens in urbanen Bereichen? Es wird mehr notwendig sein, als nur die ländlichen Regionen durch den Finanzausgleich stärker in die Bundespolitik einzubinden. Es fehlt auch an einem politischen Willen, Interessenvertretungen für vulnerable Personengruppen (hauptsächlich Mütter, Frauen und Migrantinnen) in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die sich für ausreichend Infrastruktur und öffentliche Mobilität einsetzen können, zu schaffen.

Das Ende der Teilzeit-Abwärtsspirale bildet die Landflucht. Die Abwanderung wiederum gefährdet die Stabilität einer Gemeinschaft und den Zusammenhalt innerhalb einer Region. Damit schließt sich der Teufelskreis insofern, dass es keine Interessenvertretungen gibt, die weder föderalistisch noch bundespolitisch für Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen eintreten könnten.

Schlussendlich kann die Vereinbarkeit von Vollzeitbeschäftigungen, welche Susanne Raab und der Bundeskanzler Karl Nehammer für Frauen fordern nicht gelöst werden, wenn die Mobilitätsanforderungen des öffentlichen Verkehrs nicht durch staatliche Maßnahmen in den Griff bekommen werden.. Es ist zu kurz und vermutlich auch nur aus einem populistischen Kalkül heraus gedacht, vor den bevorstehenden Nationalratswahlen Stimmen zu fangen, denn es bedarf nicht nur der Kinderbetreuung, sondern auch des dringenden Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur, nicht nur in Ballungszentren. (Patrik Reisinger, 3.10.2023)