Wald Elisabeth Scharang Brigitte Hobmeier
Die Journalistin Marian (Brigitte Hobmeier) war Zeugin des Terroranschlags in Wien und verarbeitet ihre Erlebnisse im Elternhaus auf dem Land. Das verspricht Heilung und Konflikte.
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Elisabeth Scharang ist seit einem Vierteljahrhundert nicht nur als Regisseurin tätig, sie engagiert sich auch für Gleichstellung in der Filmbranche. Ihr am Freitag in den Kinos startender, sehenswerter neuer Film Wald basiert auf der Romanvorlage von Doris Knecht. Es geht um Marian, eine Journalistin, die aufs niederösterreichischen Land zurückkehrt, um dort ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten. Ihre Anwesenheit rüttelt die eingerosteten Strukturen ihrer Heimatgemeinde auf.

STANDARD: "Wald" wurde beim Filmfestival in Toronto uraufgeführt. Ein Erfolg!

Scharang: Sehr. Das Publikum dort ist extrem filminteressiert, und die Gespräche sind immer spannend. Da gibt es dann Fragen, die einen in der Interpretation des Films ganz woanders hinkatapultieren.

STANDARD: Welche zum Beispiel?

Scharang: Eine spannende Frage war, ob der Film, der wenig Dialog hat, tatsächlich geskriptet war, oder ob es Raum für Improvisation gab.

STANDARD: Die Dialoge sind wirklich rätselhaft. Sie verraten etwa nicht, dass der Hintergrund der Terroranschlag in Wien 2020 ist. Warum?

Scharang: Nachdem ich das Buch von Doris Knecht gelesen hatte, war für mich bald klar, dass ich die Geschichte in die Gegenwart versetzen möchte. Die darin vorkommende Finanzkrise war bereits historisch. Dann passierte der Terroranschlag in Wien, an dem ich selbst sehr nah dran war. Meine Erlebnisse habe ich aufgeschrieben, um sie zu verarbeiten, und das hat sich dann mit meiner Hauptfigur verwoben. Für mich war das der Schlüssel zu Marians Figur, zu ihrer Flucht aufs Land. Es hätte aber auch etwas anderes sein können. Deshalb ist der Terroranschlag eher Motiv als Thema.

Elisabeth Scharang
Elisabeth Scharang erzählt, dass sie seit MeToo viel über Frauenfiguren im Film dazugelernt hat.
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STANDARD: Sind die Menschen auf dem österreichischen Land wirklich so unfreundlich wie in Ihrem Film?

Scharang: Da muss man differenzieren. In Niederösterreich begegnet einem erst eine ziemliche Härte. Das öffnet sich dann. Ich finde den Umgang recht grad und oft nicht unfreundlich gemeint, auch wenn es anfänglich so daherkommt.

STANDARD: Fand das kanadische Publikum das befremdlich?

Scharang: Nein, aber nach dem Alkoholkonsum wurde gefragt. Nach dem Film hatten alle das Bedürfnis, nie wieder oder gerade jetzt einen Schnaps zu trinken. Der Alkohol als Begleiter durch den Alltag ist in Österreich einfach ein Thema.

STANDARD: Aber auch in Momenten der Freundschaft und der Solidarität.

Scharang: Genau. Einen Schnaps trinken, entweder weil man etwas wegspült oder weil man auf etwas gemeinsam trinkt. Es funktioniert in beide Richtungen.

STANDARD: Es geht im Film auch um die Freundschaft zwischen Marian und Gerti, gespielt von Brigitte Hobmeier und Gerti Drassl. Gerti fügt sich in eine traditionelle Rolle, pflegt die Eltern, obwohl sie Gewalt erlebt hat.

Scharang: Gerti gibt es im Roman nicht. Sie war von Beginn an meine Konstante, meine Freundin, die mich beim Schreiben begleitet hat. Gerti finde ich spannend, weil sie zwei Seiten hat. Einerseits bleibt sie in dem Familiensystem mit dem gewalttätigen Vater, um ihre Mutter zu schützen. Andererseits ist sie in einer Opferrolle und wird zornig, als Marian ihr den Spiegel vorhält. Mir war es wichtig, zu zeigen, dass Gertis Rolle nicht optionslos ist und dass man fragen kann: Warum machst du das? Ist das wirklich deine Entscheidung?

Wald - Trailer
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STANDARD: Marian wirkt dagegen sehr eigenständig und stark. Wie wichtig war Ihnen das?

Scharang: Sehr. Es ging mir darum, meine Hauptfigur einer Extremsituation auszusetzen und sie so auszustatten, dass sie, trotz allem, was sie erlebt, wieder aufstehen kann. Sie ist Investigativjournalistin, weil man in diesem Beruf mit Frustration, Kritik und Rückschlägen umgehen muss. Es ist wichtig, nicht alles an sich heranzulassen und auch einmal einen pragmatischen Blick auf die Welt zu werfen und zu sagen: Ich steh auf und mach weiter.

STANDARD: Johannes Krisch als Franz war in seiner Jugend Marians und Gertis Freund und wollte ausbrechen aus dem bäuerlichen System. Nun ist er Teil davon. Ist das nicht ein wenig fatalistisch?

Scharang: Das ist weniger eine Frage von Jugend, sondern von einem maskulinen System, das Frauen auch betrifft. Ein System mit vorgezeichneten Wegen und Erwartungen. Ich finde, das ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.

STANDARD: Die Freiheit zur Selbstverwirklichung ist bei Frauen größer?

Scharang: Nein, aber anders. Die Räume, die Frauen betreten, sind oft Räume, in denen wir nicht zu Hause waren. Und das kann eine gewisse Freiheit bedeuten. Aber wir müssen diese Räume immer wieder gegen Widerstände erobern.

STANDARD: Sie engagieren sich bei den frauenfördernden Filmverbänden FC Gloria und Die Regisseur*innen. Färbt das auf Ihre Filme ab?

Scharang: Wenn ich vergleiche, wie ich früher an Figuren herangegangen bin, hat sich in den letzten fünf Jahren viel für mich verändert. Es war ein intensiver Lernprozess. Wie wir alle bin ich mit Filmen aufgewachsen, worin Frauen durch einen männlichen Kamerablick betrachtet wurden – das zeigt sich zum Beispiel über die Passivität der Figuren, dass die Kamera sie als Objekt betrachtet. Mir war das früher nicht bewusst. Und so habe ich habe ich das teilweise in meinen Filmen wiederholt.

STANDARD: Was hat sich geändert?

Scharang: Seit der MeToo-Debatte haben wir gerade bei Die Regisseur*innen intensiv darüber diskutiert, wie wir Frauenfiguren erzählen wollen. Dabei muss man sich ständig hinterfragen, denn Klischees wiederholen sich so leicht. Außerdem möchte ich keine Filme mehr sehen oder machen, in denen die meisten Frauen keine Identifikationsfiguren finden. Da hat sich viel verändert. Man merkt das vor allem am Kontrast zu den Filmen, die nicht mitwachsen und einem traditionellen Bild verhaftet bleiben. (Valerie Dirk, 28.9.2023)