Kind beißt in Hamburger
Burger sind nicht tabu – sollten aber etwas Besonderes bleiben.
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"Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen": Das Ernährungskonzept, das Königin Marie Antoinette ihren verarmten Untertanen vorgeschlagen haben soll, sorgte schon vor über 200 Jahren für Kopfschütteln - auch wenn sie das so nie gesagt hat. Umso verwunderlicher, dass es 2023 unter anderen Vorzeichen wieder auftaucht: Wer sich für seine Kinder keine warme Mahlzeit leisten kann, der soll mit ihnen zu McDonald's gehen, rät Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einem am Mittwoch publik gewordenen Video. Ein aus ernährungswissenschaftlicher Sicht mehr als fragwürdiger Ratschlag.

Video: So reagieren Menschen, wenn sie das Video sehen, in dem Bundeskanzler Karl Nehammer armen Menschen indirekt rät, einen billigen Hamburger zu essen.
DER STANDARD

Denn der Zusammenhang zwischen der Vermögenssituation der Eltern und dem Ernährungsverhalten der Kinder ist bekannt. Zusammengefasst: Kinder ärmerer Eltern konsumieren öfter ungesundes Essen, bewegen sich weniger, leiden häufiger an Übergewicht. Eine Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2019 zeigte, dass etwa 28,2 Prozent der Kinder aus Familien mit geringeren Einkommen täglich zuckerhaltige Getränke zu sich nehmen. In Familien mit mittlerem oder hohem Einkommen sind es nur 18,4 beziehungsweise 11,1 Prozent. 23,9 Prozent der Kinder aus der niedrigen Einkommensgruppe sind übergewichtig, gegenüber 13,6 Prozent in der mittleren und 8,4 Prozent in der oberen Einkommensgruppe. Arme Kinder sind dreimal so oft dauerhaft gesundheitlich eingeschränkt wie reiche.

Mehr gegessen, schneller wieder hungrig

Des Kanzlers diätologische Überlegungen stoßen daher auf Widerspruch. Denn ausgewogen und abwechslungsreich ist das vorgeschlagene Burger-Pommes-Menü nicht, wie Nehammer im strittigen Video selbst zugibt. Zu hoch sei die Energiekonzentration, zu hoch der Fett- und Zuckeranteil bei Fastfood, erklärt die steirische Diätologin Julia Maierhofer. In der kleinsten Ausführung kommt die Kombination bei McDonald's auf 489 Kalorien. Ein Hamburger Royal mit mittleren Pommes bringt bereits 874 Kalorien auf die Waage. Dabei fehlen aber Vitamine und Ballaststoffe. Und die sind nicht nur für den Erhalt von Körperfunktionen essenziell, sondern machen auch satt. Wer also Burger und Pommes statt Vollkornweckerl mit Käse und Gemüse isst, nimmt nicht nur mehr Energie auf, sondern wird auch schneller wieder hungrig – und wird im Endeffekt noch mehr essen.

Das ist für Erwachsene nicht gesund. Für Kinder kann es noch gravierendere Folgen haben, besonders wenn diese in einer starken Wachstumsphase sind, etwa in den ersten drei Lebensjahren oder in der Pubertät: "Zucker- und fettreiche Ernährung hat vor allem Gewichtszunahme und metabolische Komplikationen zur Folge. Die Zelle verfettet", erklärt Maierhofer. Körperzellen können sich dann dahingehend verändern, dass Zucker nicht mehr verstoffwechselt wird und Diabetes entsteht. Auch Blutfettwerte erhöhen sich.

Langfristige Schäden können bleiben

Das ist im Normalfall reversibel. Auch Übergewicht – eine logische Konsequenz aus einer Ernährungsweise, die den individuellen täglichen Energiebedarf übersteigt – lässt sich wieder abbauen: "Aber gerade im Kindesalter stehen die Entwicklung und das Wachstum dermaßen im Vordergrund, dass das Schäden anrichten kann, die bleiben oder längerfristig Probleme verursachen." Daher ist es für Kinder noch wichtiger als für Erwachsene, sich abwechslungsreich und ausgewogen zu ernähren.

Das bedeutet, jede Mahlzeit sollte in etwa zu gleichen Teilen aus Kohlenhydraten, Eiweißen sowie Gemüse oder Obst bestehen. Zum Frühstück gibt's dann möglicherweise Vollkornbrot mit Käse und Gurkenscheiben, zur Jause Joghurt mit Zwetschken und Nüssen und zu Mittag Kartoffeln mit Spinat und Ei: "Das ist dann aber von Familie zu Familie stark unterschiedlich", sagt Maierhofer. Besonders wichtig ist bei Kindern die Regelmäßigkeit. Vier bis fünf Mahlzeiten pro Tag sollten es sein, um den Energie- und Nährstoffbedarf zu decken, der bei Kindern im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht deutlich höher ist als bei Erwachsenen.

Ist gesundes Essen immer teuer?

Eine warme Mahlzeit hat für Maierhofer weniger eine ernährungsphysiologische Bedeutung als vielmehr eine soziale: "Mit der warmen Mahlzeit ist oft eine Form von Ritual oder sozialer Interaktion verbunden." Das ist wichtig, es sei aber nebensächlich, ob das nun zu Mittag, am Abend oder in der Früh passiert. Zudem suggeriert die warme Mahlzeit dem Körper ein Wohlgefühl.

Aber stimmt es nun eigentlich, dass es kostengünstiges Essen nur in ungesunder Form gibt? Maierhofer, die von ihren Klientinnen und Klienten immer wieder auf das Thema angesprochen wird, verneint: "Die Grundnahrungsmittel, die unser Fundament ausmachen sollten – Getreideprodukte, Kartoffeln, Gemüse, Hülsenfrüchte –, gibt es auch zu günstigen Preisen." Dafür braucht es nicht unbedingt ein Biozertifikat; es darf auch der Zucchini vom Diskonter im Topf landen. Um beim Beispiel Kartoffeln mit Spinat und Ei zu bleiben: Hier sind die Grundzutaten für eine Portion um 2,50 Euro zu haben, das ist deutlich weniger als bei einem Maci-Burger mit Pommes. Das kostet, je nach Pommes-Größe, zumindest über drei Euro.

Völlig verbieten würde Maierhofer jedoch McDonald's oder andere Fastfood-Lokale nicht: "Wichtig ist aber, den McDonald's-Besuch als Besonderheit im Sinne einer gemeinsamen Aktivität und nicht als alltägliche Nährstoffversorgung zu verstehen." Schnell nach der Schule einen Burger mit Pommes zu holen, weil für nichts anderes Zeit ist, sieht Maierhofer kritisch. Einen gemeinsamen McDonald's-Besuch zum Geburtstag nicht. Es geht also nicht nur um die Frage, was man isst, sondern auch darum, wie man das tut. Denn: "Je weniger man Lebensmittel wertet, desto besser." (Michael Windisch, 29.9.2023)