Renate Bertlmann
Keine Tabus: Renate Bertlmann zählt zu den Schlüsselfiguren der Feministischen Avantgarde in Österreich.
Renate Bertlmann / Bildrecht, Wie

Endlich hat sie es geschafft. Mit der umfassenden Retrospektive im Belvedere 21 fügt sich ein bedeutendes Steinchen in das Karrieremosaik von Renate Bertlmann ein. Obwohl die Wiener Künstlerin 2019 als erste Frau alleine den österreichischen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielte und 2017 mit dem Großen Staatspreis ausgezeichnet wurde, ist dies die erste institutionelle Soloausstellung der 80-Jährigen in Österreich.

Der Weg dahin war kein einfacher, Bertlmann kämpfte lange um diese Sichtbarkeit. Die Künstlerin stellte zwar bereits in den 70er-Jahren in europäischen Einrichtungen aus und zeigte Performances vor Publikum. Doch erst die große Wiederentdeckung im Kontext der Feministischen Avantgarde in Österreich im Zuge der Initiative von Gabriele Schor ab 2010 bugsierte sie ins internationale Rampenlicht. Heute befinden sich ihre Werke unter anderem im Centre Pompidou in Paris oder der Londoner Tate Modern.

Bereits bei der ersten Gruppenausstellung 1975, die unter dem Titel Magna Feminismus. Kunst und Kreativität von Kollegin Valie Export in der legendären Galerie nächst St. Stephan in Wien organisiert wurde, sorgten Bertlmanns Arbeiten für Aufruhr. Zweideutige Formen erinnerten nicht nur an weibliche Geschlechtsmerkmale – sondern auch an männliche! Rosa Styroporbälle als Teile von Skulpturen wurden als fleischige Hoden interpretiert.

Renate Bertlmann
Dass es in Bertlmanns Werk von Penissen, Vulven, Brüsten und Sextoys nur so wimmelt, muss wohl nicht dazugesagt werden.
Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wie

Dies veranlasste Oswald Oberhuber, damals verantwortlich für das Programm der Galerie, drei ihrer Objekte aus der Präsentation zu verbannen. Und zu dieser Bloßstellung männlicher Sexualität sagte er: "Da fühl ich mich exhibitioniert!" Später wurden Bertlmanns Werke sogar einmal aus einer international tourenden Gruppenschau zurück nach Wien geschickt. Zu heftig, so das Fazit.

Anbetung der Sexualität

Um beim Publikum auf Nummer sicher zu gehen, brachte man im Belvedere 21 eine Triggerwarnung an: "Einige Werke der Ausstellung zeigen sensible Inhalte, die sich mit Sexualität, Gewalt und Tod beschäftigen, und können verstörend wirken". Die Warnung gibt es ganz zu Recht, denn so manche Arbeiten von Bertlmann sind wahrlich keine leichte Kost. Die meisten aber sind mit herrlicher Ironie gespickt. Dass es von Penissen, Vulven, Brüsten und Sextoys nur so wimmelt, muss wohl nicht dazugesagt werden.

So brachte die Künstlerin mit der Performance Die schwangere Braut mit dem Klingelbeutel, die sie 1978 in Düsseldorf aufführte, bereits einige ihrer zentralen Motive zusammen: Als schwangere Braut verkleidet fuhr sie in einem Rollstuhl umher und sammelte vom Publikum Spenden für die Reliquie des Hl. Erectus ein. Dieses Heiligenbild huldigte einem pompösen erigierten Penis. Der Klingelbeutel erinnerte an ein überdimensionales Kondom samt Brustwarze. Das Gesicht der Künstlerin verbarg sich hinter einer irritierenden Schnullermaske.

Renate Bertlmann
Die Anbetung der "Reliquie des Hl. Erectus" (1978) stellt die patriarchale Dominanz der katholischen Kirche bloß.
Renate Bertlmann / Bildrecht, Wien 2023

Wie in zahlreichen ihrer Werke stellte sie mit dieser überzeichneten Anbetung des männlichen Geschlechtsteils die patriarchale Dominanz der katholischen Kirche bloß und prangerte gleichzeitig die dadurch entstehende Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft an. Ebenso die Figur der verheirateten Mutter als das vermeintliche Idealbild von Weiblichkeit. Der Rollstuhl taucht immer wieder als Symbol der Unbeweglichkeit und eingeschränkten Freiheit der Frau auf.

Ironischer Pornokitsch

Über 200 Werke hat Belvedere-Chefkuratorin Luisa Ziaja aus dem üppigen Œuvre von Renate Bertlmann herausgepickt und zu einer dichten und sehr starken Ausstellung gesponnen. Im Obergeschoß des Pavillons fädeln sich Werke chronologisch von den späten 60er-Jahren bis in die Gegenwart auf.

Die Medien- und Materialfülle ist schier überwältigend und reicht von Malerei, Fotografie und Zeichnung über Installationen aus Plexiglas oder Latex bis zu Filmen. Obwohl Bertlmann Malerei an der Akademie der bildenden Künste studiert hatte, ließ sie dieses Medium schnell hinter sich. Zeichnungen, Fotos, Objekte und natürlich ihr eigener Körper wurden zu ihren Sprachrohren.

Renate Bertlmann
Die Medien- und Materialfülle in der Ausstellung ist schier überwältigend. Lieblingsstoff ist unter anderem Plexiglas wie bei der Installation "Rosemaries Baby".
Johannes Stoll / Belvedere, Wien © Bildrecht, Wien 2023

Bertlmann schuf eine Welt animierter Phalli, die sie in ihren Zeichnungen mit Strapsen und als Skulpturen in Kostümen inszenierte. So ist eine ganze Armee aus XXL-Penissen als Kardinäle oder Soldaten verkleidet. Oder Bertlmann lässt im Kontrast aus Brüsten scharfe Klingen wachsen. Dildos und Kondome besorgte sie damals in versteckten Sexshops.

Das letzte Kapitel der Ausstellung, in der auch zahlreiche bisher noch nie gezeigte Werke vorkommen, umfasst Werke aus den Achtzigern. Zwar hatte die Künstlerin immer schon einen liebevollen Hang zum Kitsch, doch ab da setzte sie knallige Farben und schrillen Alltagsramsch bewusst als Stilmittel ein. Ihre Dreifaltigkeit lautete: Pornografie, Ironie, Utopie.

Herrlich amüsant werden Plastikkakteen bunte Doppeldildos aufgesetzt und mit Geschlechtsteilen gefülltes Wiener-Spielzeug-Frühstück serviert. Mahlzeit! (Katharina Rustler, 29.9.2023)