Die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nahm sich das Leben, nachdem sie bedroht worden war.
HERMANN WAKOLBINGER

Ein Unbekannter richtete nicht nur an die Ärztin vom Attersee und einen Würzburger Anwalt grausame Morddrohungen, sondern auch an ein Wiener Paar und einen norddeutschen Mediziner. Das belegen bislang unbekannte Mails, die STANDARD und "Spiegel" vorliegen.

Ende Juli sahen sich Veronika Bohrn Mena und ihr Mann Sebastian im Fernsehen eine Dokumentation über den Fall Lisa-Maria Kellermayr an. Das linksintellektuelle Autorenpaar kannte das Schicksal der Landärztin vom Attersee: Kellermayr war wegen ihres Engagements für Impfungen aus der Szene der Corona-Leugner und Maßnahmengegner massiv angefeindet worden. Morddrohungen eines Unbekannten hatten die Oberösterreicherin in den finanziellen Ruin und in den Tod getrieben. Doch ein wichtiges Detail aus der Doku verblüffte die Bohrn Menas: Die Wortwahl und die Sprachbilder der Hassmails an Kellermayr ähneln frappierend manchen Morddrohungen, die auch sie erhalten haben – die explizite Ankündigung, Menschen zu Tode zu foltern.

Und es gibt noch mehr Menschen, die der Unbekannte seinen Massakerfantasien ausgesetzt hat: Da ist der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, den die Wiener Filmemacherin Alexandra Venier ausfindig machte – Auslöser dafür, dass die deutsche Justiz nun doch wieder ermittelt. Ein weiterer Arzt hat ebenfalls eine Morddrohung erhalten, die dem STANDARD und dem "Spiegel" vorliegt. Der Mediziner aus Deutschland möchte anonym bleiben.

Alle Mails wurden zwischen 2020 und 2022 geschrieben. Der forensische Linguist Patrick Rottler hat das gesamte Material eingehend analysiert. Der Befund des Münchner Sprachprofilers: "Aus meiner Sicht stammen alle E-Mails von ein und demselben Autor." Der Unbekannte, der Kellermayr das Leben zur Hölle machte, ist also ein Serientäter.

Neben Gemeinsamkeiten bei der Zeichensetzung und der häufigen Verwendung des Schimpfwortes "Hurensohn" fand Rottler das, was er "teilkompatible Phrasen" nennt: spezifische Formulierungen. Und da ist dann noch die besondere Vorliebe des Täters für Haushaltsgegenstände und Werkzeuge wie Pürierstab, Strohhalm und Bohrmaschine.

Spuren verwischt

Der Unbekannte hat versucht, seine Spuren zu verwischen. Dafür benutzte er nicht nur das Darknet. Für seine Attacken auf Kellermayr klaute er die Identität eines unbescholtenen Hamburgers und leitete seine Mail betont hanseatisch ein mit: "Moin." Bei den Drohungen gegen die Familie Bohrn Mena baute der Täter Austriazismen wie "Wappler" ein. Für Rottler sind die österreichischen Wörter "mit hoher Wahrscheinlichkeit absichtliche Verstellungsmuster" – möglicherweise auch deshalb, um den Wirkungsgrad der Drohungen zu erhöhen: Denn wenn der Täter etwa in Deutschland wohnt, kann er über die sprachliche Nähe suggerieren, doch nur eine Trambahnhaltestelle entfernt zu sein.

Der Verlauf der Gewaltfantasie wiederholt sich in Variationen: Sowohl bei Kellermayr als auch bei dem deutschen Arzt, Anwalt Jun und den Bohrn Menas überwältigt der Täter ein Opfer, fesselt es und tötet dann Mitarbeiter und Verwandte. Die Beschreibung der Verbrechen gehen beim Täter einher mit sexueller Erregung: In drei Fällen malt sich der Autor aus, wie er Frauen vergewaltigt, bevor er sie ermordet.

Auffallend ist auch, wie der er seine Tathandlungen legitimiert: Mit Blick auf bloße missliebige Äußerungen oder die Verimpfung von Vakzinen fühlte sich der Täter ermächtigt, schlimmste Dinge anzukündigen, inklusive der Ermordung unbeteiligter Personen wie Kindern. Inwieweit Gefahr besteht, dass eine solche Person versuchen könnte, ihre digitalen Fantasien analog umzusetzen, ist unklar.

Die Empfänger der Morddrohungen haben den Hass ernst genommen. Die Familie Bohrn Mena erhielt schließlich Polizeischutz, Kellermayr nicht. Bei den Behörden in Oberösterreich sah man die Sache offenbar lockerer. Als der "Spiegel" im Juli 2022 noch zu Lebzeiten Kellermayrs bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Wels anfragte, erkundigte sich der Sprecher, ob denn schon "Sommerloch" sei. (Oliver Das Gupta, 29.9.2023)