Ein Boot vor der Küste Lampedusas.
Migranten kommen auf Lampedusa an.
IMAGO/ZUMA Press/Ciro Fusco

New York – Dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zufolge sind in diesem Jahr bereits etwa 186.000 Menschen über das Mittelmeer in Europa angekommen. Von diesen seien mit 130.000 die meisten in Italien registriert worden, was einem Anstieg von 83 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum entspreche, erklärte die Direktorin des UNHCR-Büros in New York, Ruven Menikdiwela, am Donnerstag im UN-Sicherheitsrat.

Die Zahl der Vermissten und Toten von Anfang Jänner bis zum 24. September liege bei über 2.500, hieß es. Die internationale Migrationsorganisation IOM hatte kürzlich bereits von über 2.700 Toten und Vermissten gesprochen.

Laut Uno legten die meisten Migrantinnen und Migranten aus Tunesien ab (mehr als 100.000), gefolgt von Libyen (über 45.000). Neben Italien steuerten die Boote auch Griechenland, Spanien, Zypern und Malta an. Der starke Anstieg der Migrationszahlen hat zuletzt zu Spannungen innerhalb der EU über Maßnahmen für ihre Begrenzung gesorgt.

Italien bittet um Bedenkzeit

Die EU-Staaten ringen um eine Asyl-Krisenverordnung. Nachdem Deutschland Donnerstagfrüh beim Treffen der EU-Innenministerinnen und -minister seine Blockade aufgegeben hatte, meldete Italien Vorbehalte gegen den Kompromisstext an. Laut Vertretern der EU-Institutionen müssen noch einige "Detailfragen" geklärt werden, bevor eine Einigung in den "kommenden Tagen" zu erwarten sei.

Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte laut der Nachrichtenagentur AFP bei einem Besuch in Berlin, Innenminister Matteo Piantedosi habe sich "Zeit erbeten, um die Inhalte dieses Vorschlags näher zu prüfen, auch in rechtlicher Hinsicht". Hintergrund ist offenbar der bereits länger schwelende Streit mit Deutschland über die Finanzierung von privaten Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer. Tajani warf den NGOs vor, den "Menschenhandel" nach Italien zu fördern.

Die italienische Regierung zeigte sich "überrascht" über sieben NGO-Schiffe zur Rettung von Migranten, die mit deutscher Flagge zwischen Libyen, Tunesien und Italien verkehren und zwar "während eines Gipfels, auf dem über einen möglichen neuen (EU-)Pakt für Migranten verhandelt wird". Dies verlautete nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur Ansa aus Regierungskreisen. "Diese Schiffe nehmen Migranten auf und laden sie in Italien ab", hieß es in Rom.

"Die Frage der NGOs ist nicht zweitrangig", sagt Tajani. "Das Problem ist nicht die Rettung von Menschen auf See. Das Problem ist, dass es Organisationen gibt, die Menschen auf dem Meer einsammeln und sie nach Italien bringen. Das ist das eigentliche Problem", sagte Tajani. Rom betrachtet es als Einmischung in innere Angelegenheiten, dass die deutsche Regierung auch Hilfsorganisationen fördern will, die sich auf italienischem Boden um Migranten kümmern. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte vergangene Woche darauf verwiesen, dass damit ein Beschluss des Bundestags umgesetzt werde. Das erste Geld - jeweils zwischen 400.000 und 800.000 Euro - solle "in Kürze" ausgezahlt werden, an ein Projekt zur Versorgung an Land und ein Projekt zur Rettung auf See. Eine der geförderten Organisationen ist SOS Humanity.

Weitere Verhandlungen

Hinter den Kulissen dürften aktuell weitere Verhandlungen laufen. Indirekt bestätigte das auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Donnerstagnachmittag: Die Krisenverordnung sei "heute sehr intensiv diskutiert" worden und werde "nach wie vor offensichtlich diskutiert", sagte er. Österreich wird sich laut Karner nach derzeitigem Stand enthalten. Entscheidend sei aber, "dass das Gesamtpaket auf den Weg gebracht wird."

Die Krisenverordnung ist Teil des EU-Asyl- und -Migrationspakets. Nachdem die EU-Staaten es bisher nicht geschafft haben, sich auf eine gemeinsame Position zu einer Krisenverordnung zu einigen, hatte das EU-Parlament die Verhandlungen zu anderen Teilen des Migrationsdeals vorige Woche auf Eis gelegt. Die Krisenverordnung soll Ausnahmen für die Asylregeln für den Fall festlegen, dass sich ein Mitgliedsstaat einer besonders hohen Zahl ankommender Flüchtender gegenübersieht. (APA, red, 29.9.2023)