Kunst aus dem Besitz sanktionierte Oligarchen: Andrei Melnitschenko soll ein Seerosen-Bild von Monet gehören (l.), Roman Abramowitsch (m.) ein Frauenporträt von Modigliani. Das Klimt-Bild wurde von Dmitri Rybolowlew (r.) längst verkauft.
STANDARD Bildbearbeitung, Christie’s Archiv, Belvedere, AP, Imago, AFP

Die ukrainische Antikorruptionsbehörde wird die Medienberichte dieser Tage intensiv verfolgt haben – angesichts des Einblicks, den der britische Guardian, der deutsche Spiegel, DER STANDARD und zehn weitere Medienhäuser in die an Umfang, Vielfalt und auch Qualität bislang unbekannte Kunstsammlung von Roman Abramowitsch und seiner Ex-Frau Dascha Schukowa gewährten. Und dies dank eines Datenleaks des zyprischen Finanzdienstleisters Merit Servus, das auch Transaktionen mit Kunstwerken im Umfang von 963 Millionen Dollar dokumentierte.

Denn Mitte August hatte die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention (NACP) eine "War & Art" betitelte Datenbank mit Kunstschätzen veröffentlicht, die sich im Besitz sanktionierter Oligarchen befinden sollen. Auf diese Weise wolle man nicht nur die Reichtümer von Putins Wirtschaftselite publik machen, sondern auch einen Weiterverkauf der dort gelisteten Objekte verhindern – und ja, vielleicht sogar Beschlagnahmungen ermöglichen, wie es hieß.

Über die Website kann jeder Kunstwerke melden. Ob und in welcher Form solche Meldungen auf Plausibilität überprüft werden, geht aus den dort veröffentlichten Informationen nicht hervor. Die Grundlage für die bisher erfassten Gemälde, Skulpturen und Antiquitäten dürften wohl ältere Medienberichte sein, dener man sich bediente.

Medienberichte als Quellen

Etwa im Falle von Dascha Schukowa, die von der Ukraine sanktionierte Ex-Frau von Roman Abramowitsch, die in der Datenbank mit je zwei Gemälden und Designmöbeln vertreten ist, die im Oktober 2021 einen Bericht über die "mächtige Sammlerin und Geschäftsfrau" bei "Artnews" illustrierten. Die anderen im Artikel erwähnten Kunstwerke blieben in der Datenbank dagegen unberücksichtigt.

Die Anzahl der vorerst Abramowitsch selbst zugeordneten Werke ist mit exakt vier an der Zahl überschaubar. Neben Lucian Freuds Benefits Supervisor Sleeping (Christie’s, 33,64 Mio. Dollar) und Francis Bacons Triptychon von 1976 (Sotheby’s, 86,3 Mio. Dollar) gehört dazu auch eine Skulptur von Alberto Giacometti: Woman of Venice I aus dem Jahr 1956, die jedoch ohne Maßangabe und Editionsnummer nicht identifizierbar und daher mit anderen Skulpturen der Gussauflage verwechselbar ist. Dadurch erschwert NACP anderen lauteren Sammlern den Weiterverkauf ihrer Giacometti-Skulpturen.

Der unvollständige Eintrag zu einer Skulptur von Alberto Giacometti, die Roman Abramowitsch gehören soll, könnte anderen Besitzern des Bronzegusses Probleme bescheren: Die Datierung 1956 bezieht sich auf das Entwurfsjahr, nicht aber auf die in den Folgejahren produzierten Güsse, die ohne Nummerierung der Edition nicht identifizierbar sind.
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Der überschätzte Kabakow-Deal

Als etwas kryptisch erweist sich auch der Eintrag zu Ilja Kabakows acht Alben aus der Serie Ten Characters, für die Abramowitsch 60 Millionen Dollar gezahlt haben soll. Dahinter steht ein Ankauf, der im Jänner 2013 über Bloomberg bekannt wurde. Nur ging es dabei um ein weit größeres Konvolut, das noch etwa 40 Gemälde und auch frühe Installationen des Mitbegründers der Moskauer Konzeptkunst umfasste.

Als Verkäufer fungierte damals der US-amerikanische Sammler John L. Stewart, der diese Gruppe schon einige Zeit privat zu verkaufen versuchte: für zumindest 30 oder auch 60 Millionen Dollar, wie Bloomberg Insider zitierte. Wie aus geleakten Dokumenten hervorgeht, summierten sich die von Abramowitsch für insgesamt 87 Werke des Künstlers tatsächlich"nur" auf 13,54 Millionen Dollar.

Viele Kunstwerke längst verkauft

Die über die aktuelle Berichterstattung bekannt gewordenen weiteren Kunstschätze werden jetzt wohl in die NACP-Datenbank aufgenommen. Bereits erfasst wurde auch Kunstwerke, die Andrei Melnitschenko oder Dmitri Rybolowlew gehören sollen. Melnitschenko, der von mehreren Ländern und auch den USA sanktioniert wurde, wird etwa ein Seerosenstück von Claude Monet zugeordnet, das Christie’s 2008 für 80,55 Millionen Dollar versteigerte. Ob der russische Oligarch und Milliardär (Forbes: 19,9 Mrd. Dollar) das Gemälde überhaupt noch besitzt? Wie NACP auf der Website informiert, veröffentlicht man in der Datenbank auch Gegenstände, die im Besitz von später sanktionierten Personen waren und von diesen längst verkauft wurden.

Gustav Klimts Gemälde "Wasserschlangen II" befand sich einst in der Sammlung von Dmitri Rybolowlew, wechselte jedoch nach 2015 nachweislich in asiatischen Besitz, genauer in jenen der Homeart HK Limited mit Sitz in Hongkong.
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… darunter auch Klimts "Wasserschlangen II"

Das trifft etwa auch auf Dmitri Rybolowlew zu, dessen Sammlung über die Gerichtsverfahren gegen Yves Bouvier bekannt wurde. Der Schweizer Geschäftsmann hatte dem Eigner von AS Monaco und russischen Milliardär (Forbes: 6,4 Mrd. Dollar) 38 Kunstwerke im Wert von etwa zwei Milliarden Dollar verkauft und zusätzlich zur vereinbaren Provision horrende Aufschläge verrechnet.

Beispielhaft dafür stand der Deal mit Gustav Klimts Wasserschlangen II: Bouvier hatte dieses Gemälde über einen Private Sale bei Sotheby’s erworben und keine 24 Stunden später mit einem Aufschlag von 60 Millionen Dollar für stolze 183 Millionen Dollar an Rybolowlew verkauft.

Der russische Oligarch hat sich allerdings mittlerweile von diesem einige Jahre in einem Zollfreilager verwahrten Bild, das NACP auflistet, längst getrennt. Rund um das Jahr 2015 wurde es für kolportierte 200 Millionen Dollar an die auf den Britischen Jungferninseln registrierte Homeart HK Limited mit Sitz in Hongkong verkauft. (Olga Kronsteiner, 29.9.2023)