Gabriele Beierl twittert gerne. Mehr als 170.000 Posts hat die Pensionistin auf der Plattform abgesetzt, die mittlerweile als X bekannt ist. Viele davon drehen sich um die ÖVP: Beierl ist, was man wohl als Superfan von Sebastian Kurz und der Volkspartei bezeichnen würde; einst war sie auch selbst politisch aktiv.

Auch in der Nacht von 6. auf 7. Jänner 2021 war Beierl wieder einmal auf Twitter unterwegs. Es waren jene Stunden, in denen rechtsextreme Anhänger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump das Kapitol stürmten. Die Aktivisten von "FPÖ Fails" veröffentlichten zeitgleich Postings von freiheitlichen Funktionären und Fans, die sich Ähnliches in Österreich wünschten.

Kickl
FPÖ-Chef Kickl will sich den Vorwurf, "putschen" zu wollen, nicht gefallen lassen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Beierl sah diese Tweets und antwortete einem anderen User mit einem folgenreichen Eintrag: "Kickl plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen, bei den FPÖlern geht es zum (gemeint: zu, Anm.), sie wollen nur morden, aufhängen, brennen ecta".

Am nächsten Morgen löschte Beierl den Tweet, er sei aus ihrer Sicht "unverständlich" gewesen und habe eine "Vielzahl an Fehlern" enthalten, wird sie später in einem Schriftsatz angeben. Doch jemand aus der FPÖ hatte ihren Tweet bereits gesehen. Und wenige Tage später brachte FPÖ-Chef Kickl Privatklage gegen Beierl ein.

1. Akt: Die Privatklage

Wie Kickls Anwalt Niki Haas in der Klage ausführt, habe sich Beierl der üblen Nachrede schuldig gemacht. Sie habe Kickl mit dem Begriff "wegputschen" unterstellt, "einen Staatsstreich gegen die Regierung" zu planen, außerdem beziehe sich auch das "Morden, Aufhängen, Brennen" auf Kickl.

Dem sei nicht so, verteidigt sich Beierl: Das Wort "Putsch" habe vielfältige Bedeutungen und sei im Zusammenhang mit Kickl auch von Journalisten und Politikern verwendet worden. Dem FPÖ-Chef habe sie sicher nicht den Wunsch nach "Morden, Aufhängen, Brennen" unterstellt. Da sie "kein strafbares Verhalten setzen will" und weder Kickl noch der FPÖ unehrenhaftes Verhalten habe vorwerfen wollen, ließ Beierl ein Versäumungsurteil ergehen und nahm den gewünschten Widerruf vor.

Doch das Verfahren stand damals erst am Anfang – was folgte, ist ein nahezu grotesker Gang durch die Instanzen, der auch jetzt noch nicht abgeschlossen ist. Er zeigt einerseits, wie schwer sich die Justiz mit dem Thema "Hass im Netz" tut, andererseits aber auch, wie beharrlich Kickl die ehemalige ÖVP-Mandatarin bestraft sehen will.

2. Akt: Was ist ein Putsch?

Im August 2021, knapp acht Monate nach ihrem Tweet, musste Beierl zum ersten Mal vor Gericht erscheinen. Ihr Verteidiger Oliver Scherbaum, der auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Ibiza-Drahtzieher Julian Hessenthaler zu seinen Mandanten zählt, erklärte dort, dass das Wort "Putsch" nicht mit Gewaltausübung verbunden sein müsse. So habe Kickl schon selber gewaltfreie Vorgänge als "Putsch" bezeichnet.

Außerdem sei der Tweet eine Antwort auf einen anderen User gewesen, daher nicht auf Beierls eigener Seite erschienen, das ist medienrechtlich relevant. Dazu wird auch ein Gutachter befragt, der Twitter erklären soll. "Kann jemand, der gar keinen Twitter-Account hat, irgendetwas auf Twitter posten? (...) Hineinschauen kann man, das habe ich ausprobiert", fragte ihn die Richterin unter anderem. Er selbst sei "zugegebenermaßen selbst nicht in der Twitter-Serie aktiv", sagte der Gutachter, der erklärte, dass Antworten auf andere User eben nicht automatisch auf dem Profil des Urhebers erscheinen.

Am Ende folgte ein Schuldspruch – der allerdings in der Instanz wieder aufgehoben wurde. Im Juli 2022, also fast ein Jahr später, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Wien in der Sache Kickl gegen Beierl, dass das Urteil "zur Gänze aufgehoben" und die Verhandlung neu durchgeführt werden muss. Der Grund dafür: Bei der Verhandlung war nicht ausreichend erörtert worden, worauf sich Beierls Tweet bezogen hatte. Dies sei aber "für die Ermittlung des Bedeutungsinhalts ihres Tweets aus Sicht der angesprochenen Leser unerlässlich".

3. Akt: Wer hat den Tweet gesehen?

Im Oktober 2022 musste sich also wieder das Erstgericht mit der Causa beschäftigen. Und dieses Mal stellte es fest, dass der "Bedeutungsinhalt des Tweets für einen Empfängerkreis" nicht eruiert werden kann. Beierl habe "logisch nachvollziehbar" dargelegt, warum sie es nicht für möglich hielt, dass ihre Tweets tatsächlich den Eindruck erwecken könnten, Kickl würde putschen und morden wollen, schrieb die Richterin in ihrem Urteil – mit dem sie Beierl freisprach. Der Empfängerkreis ihres Tweets sei nicht feststellbar, ebenso wenig die Anzahl der Personen, die ihn gesehen haben.

Auch diese Entscheidung ging in die Berufung – und wurde wieder "gehoben", also ans Erstgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht störte dieses Mal, dass nicht danach gefragt worden war, welchen Bedeutungsinhalt der Tweet im "objektiven Verständnis eines durchschnittlichen Lesers" aus dem Rezipientenkreis habe, an den der Tweet "gerichtet" gewesen sei.

4. Akt: FPÖ-Generalsekretär soll befragt werden

Also geht das Verfahren in die mittlerweile dritte Runde – viel Aufhebens um einen Tweet, der nach wenigen Stunden ohnehin gelöscht worden war. Nun soll FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker aussagen; unter anderem dazu, wie er zu dem Tweet gekommen sei.

Hafenecker selbst hatte übrigens vergangenes Jahr das Ehepaar Nehammer scharf kritisiert, weil Katharina Nehammer gegen Tweets vorgegangen war, die ihr eine Nähe zum Maskenhersteller Hygiene Austria unterstellt hatten. Dass sie deshalb Twitter-User verklage, zeige ein "verheerendes Charakterbild", sagte Hafenecker damals. Nehammer treibe diese Menschen "in den finanziellen Ruin".

Von den hohen Kosten kann Beierl jedenfalls ein Lied singen: Sie sei Pensionistin und habe schon einiges an Anwaltskosten abgelegt, sagt sie zum STANDARD. Wenn sie tatsächlich verurteilt würde, wäre das "nicht schaffbar". Beierl ist sich sicher, dass sie aufgrund ihrer Unterstützung für Kurz und die ÖVP ins Visier von Kickl geraten war: "Das ist eine Klage, um mich rauszuschießen und fertigzumachen." Sie habe "nicht die ÖVP im Rücken", müsse selbst für alles aufkommen; während Kickl auf Partei- und somit Steuergeld zurückgreifen könne.

Es sei "unmoralisch", dass Politiker "ewig lang" Menschen für politische Äußerungen verfolgten, sagt Beierl. Sie habe niemanden bedroht oder beleidigt, sondern ihre Meinung geäußert. Aus dem Büro Kickl heißt es, dass der Fall nicht mit jenem rund um Katharina Nehammer vergleichbar sei: Hier werde "gegen eine Person, die parteipolitisch aktiv tätig war und nun im politischen Umfeld der ÖVP tätig ist, gerichtlich vorgegangen und nicht gegen sämtliche Verbreiter eines Postings". Es handle sich um "eine massive Persönlichkeitsrechtsveletzung samt schwerer Vorwürfe und Unterstellungen" gegen Kickl und die gesamte Partei.

Dass es so lange dauert, sei weder Kickls noch Beierls Schuld: "In den ersten beiden Rechtsgängen fällten die Richterinnen jeweils Urteile, die das Berufungsgericht als mangelhaft qualifizierte". Die betroffenen Parteien hätten "Recht auf ein korrektes Urteil, weshalb so lange prozessiert werden muss, bis ein solches vorliegt". Mehrere Rechtsgänge brächten "bedauerlicherweise auch höhere Kosten mit sich".

Am Dienstag sollte weiterverhandelt werden, der Prozesstag fiel kurzfristig aus. (Fabian Schmid, 2.10.2023)