Vor einigen Wochen wurde eine Studie aus Innsbruck veröffentlicht, die den Einfluss des Mondes auf chirurgische Eingriffe untersucht hat. Müssen wir es erwähnen? Der Mond hat – so stellt die Studie fest – keinen Einfluss auf das Gelingen von Operationen und die Genesung. Bei der Frage nach dem Einfluss der Farben von Melissa Naschenwengs Lederhose bei der Schlagernacht am Wörthersee auf chirurgische Eingriffe kämen die Forschungsteams vermutlich zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Mondstudie aus Innsbruck ist durchaus seriös und ernst zu nehmen. Was uns zu denken geben sollte, ist das Mindset vieler Patientinnen und Patienten, die medizinische Profis offenbar mit dem Lunarhumbug nerven, Eingriffe gerne zu bestimmten Mondphasen terminisiert hätten und somit solche Studien nötig machen. Das Mindset steht für ein Phänomen, das den Vormarsch der Esoterik und des vorwissenschaftlichen Denkens in eine Gesellschaft symbolisiert. Dieses kann aus gutem Grund mit dem Begriff "Granderisierung" recht präzise beschrieben werden.

Ein Glas Leitungswasser
Die Granderisierung greift in Österreich um sich – und trifft dabei kaum auf Widerstand.
APA/GEORG HOCHMUTH

Im Jahr 2019 wurde dem Tiroler Unternehmen Grander das "Goldene Brett vor dem Kopf" für sein Lebenswerk verliehen: das Beleben von Wasser. Der Preis hat Grander offenbar inspiriert. Heute verkauft Grander ein 29 mal 29 Zentimeter großes Aromabrett um 600 Euro. Das klingt nach einem stolzen Preis für ein Jausenbrettl, aber nur falls man sich nicht auskennt. In das Aromabrett ist nämlich ein "Wirkmedium" eingearbeitet. Wer Grander kennt, der weiß, was dieses "Wirkmedium" ist: belebtes Wasser. Wer auf der Website von Grander schmökert, der erfährt: Die Aromaplatte "hält Lebensmittel länger frisch, belebt Getränke und macht sie bekömmlicher".

Das "Goldene Brett vor dem Kopf" wird von der Wissenschaftscommunity der Wiener Skeptiker seit dem Jahr 2011 jährlich für die Verbreitung wissenschaftlichen Unsinns feierlich vergeben. Am Donnerstag ist es wieder so weit. Würde man den Preis täglich vergeben – es bestünde auch bei dieser Frequenz kein Mangel an würdigen Preisträgern. Die Liste der bisherigen Preisträger und Nominierten beschreibt den Facettenreichtum der Granderisierung recht schön. Es ist ein schönes Potpourri aus esoterischer Geschäftemacherei, gefährlicher Pseudomedizin und neurechten Verschwörungsplaudereien. Die Liste dokumentiert den Einfallsreichtum der Schlangenölverkäufer, aber auch die Wissenschaftsfeindlichkeit im Land und leider auch die Zahnlosigkeit der Wissenschaftscommunity gegen den grassierenden Unsinn – abseits der rührigen und verdienten Initiatoren des "Goldenen Bretts".

Symbole der Granderisierung

Das Unternehmen Grander steht mit seinem Produktportfolio der "Wasserbelebung" sinnbildlich und namensgebend für das Phänomen Granderisierung: für das Phänomen, auf Fakten und Wissenschaft pfeifen zu können. Die Behauptung, Wasser beleben zu können, weil eine himmlische Erscheinung einem ehemaligen Tankwart das Geheimnis angeblich belebten Wassers geflüstert hat, ist in Sachen Chuzpe kaum mehr zu toppen.

Granderisierung, das ist das Produkt aus Dreistigkeit und Faktenfreiheit. Womit wir schon bei der Homöopathie wären, aus deren Reihe es bereits zwei Preisträger gab. Im Jahr 2019 erhielt das deutsche Pharmaunternehmen Hevert das "Goldene Brett". Der Vertreiber von Homöopathika hatte zuvor Kritikern des pseudomedizinischen Kults mit Klagen gedroht, und zwar für die Aussage, die Wirksamkeit von Homöopathie reiche "nicht über den Placebo-Effekt hinaus". 2012 erhielten die "Homöopathen ohne Grenzen" den Preis. Der deutsche Verein ist unter anderem in Ländern wie Kenia, Liberia, Sierra Leone und Bolivien aktiv und beglückt dort die Bevölkerung in abgelegenen Gebieten mit homöopathischem Hokuspokus, dessen Wirkung – damit das auch einmal gesagt wird – nicht über den Placebo-Effekt hinausreicht. Die Scharlatane ohne Grenzen machen dabei nicht einmal vor der angeblichen Behandlung von Krankheiten wie Ebola halt.

Politik und Institutionen sind zahnlos

Der im Jahr 2012 verstorbene Wasserbelebungspionier Grander erhielt 2001 von der Republik Österreich das Ehrenkreuz für Wissenschaft. SPÖ, FPÖ und Grüne forderten im Jahr 2009 vergeblich die Aberkennung der Auszeichnung, blitzen aber beim damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) ab. Dafür legte die Tiroler Wirtschaftskammer in dem Jahr mit einem Ehrendiplom für Grander nach. In einer Presseaussendung des Unternehmens lesen wir: "Wie so oft in der Geschichte der Erfindungen und Entdeckungen – anfangs lächelte man über Johann Grander und sein 'belebtes Wasser.'" Heute würden wir gerne über den "Grander-Trinknapf" lächeln, der – dank eines Belebungskerns – "die Gesundheit und das Wohlbefinden von Hund und Katz' unterstützt", aber manchmal bleibt uns das Lachen im Hals stecken.

Bis vor wenigen Jahren warben einzelne Landeskliniken, dass "gesundes Granderwasser" in ihren Häusern aus den Leitungen sprudelt. In der öffentlichen Volksschule in Admont dienen die Taferlklassler als Testimonials für das Unternehmen Grander, die Direktorin sagt in einem Werbevideo des Unternehmens: "Die Kinder wissen sehr wohl, dass wir ein besonderes Wasser haben." Auf einen Bildungsminister oder einen Landesschulrat, der Werbung für esoterischen Humbug an Schulen untersagt, warten wir vermutlich noch lange.

Auf die Kammern darf man nicht hoffen

Welche Institution hat den Mumm, gegen den ganz offensichtlichen Humbug von Homöopathie in Arztpraxen und Apotheken aufzutreten? Auf die Kammern darf man nicht hoffen. Ulrike Mursch-Edlmayr ist Präsidentin der Apothekerkammer und führt in Oberösterreich eine Apotheke mit dem Namen "Gesundheitsgreisslerei", die vor zwei Jahren informierte Salzlösungen zur Impfausleitung anbot. Mursch-Edlmayr wurde heuer für das "Goldene Brett" nominiert, schaffte es aber nicht auf die Shortlist.

Der Ärztekammer war im Jahr 2012 ob der Duldung von "Therapiemethoden ohne Wirkungsnachweis" in der engeren Auswahl für den Schmähpreis. Der Kammer ist die Anstrengung anzusehen, die ihr Spagat erfordert: Der Einsatz für evidenzbasierte Medizin zu Covid-Zeiten war glaubwürdig. Homöopathie, Bioresonanztherapie, anthroposophische Medizin und Ähnliches duldet man indes bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die sich die Butter ihrer zahlungswilligen und gutgläubigen Patientinnen und Patienten nicht vom Brot nehmen lassen wollen.

Genierer gibt es keinen

Im Jahr 2019 wurde der selbsternannte Bewusstseinsforscher Christoph Fasching mit dem Preis bedacht. Fasching hatte Verantwortlichen beim Bau des Krankenhauses Wien Nord einen "Schutzring" um stolze 95.000 Euro verkauft und sich dabei nicht die Hände schmutzig gemacht beim Schaufeln einer Künette. Der Schutzring wurde über Putz und rein energetisch verlegt. Immerhin: In diesem Fall gab es für die Verantwortlichen im Krankenhaus Nord Konsequenzen. Fasching musste in einem Untersuchungsausschuss als Zeuge aussagen. Dort wahrte er Haltung und bewies Selbstbewusstsein: "Ich möchte nicht wissen, wie viele Millionen man sich durch unsere Arbeit gespart hat."

Dass Fasching kein Posten in der ärztlichen Leitung der Klinik angeboten wurde, ist fast unverständlich. Am Höhepunkt der Covid-Krise veröffentlichte Fasching, der weder Mediziner noch Pharmazeut ist, ein Paper zum Umgang mit Viren. In der eher bizarren Studie wurde Erkrankten geraten, Tacheles zu reden, und zwar mit dem Virus: "Überbringt die nun folgende Botschaft: Du bist allein, du hast hier nichts mehr verloren."

"Querdenker"-Aktivisten lösen esoterischen Ulk ab

Die bislang letzten Preisträger für das "Goldene Brett" waren der Mediziner Sucharit Bhakdi und der Influencer Ken Jebsen im Jahr 2020. Der radikale Impfgegner Bhakdi sorgte mit verharmlosenden Äußerungen zum Holocaust für Empörung. Ken Jebsen ist seit mehr als einem Jahrzehnt einer der bekanntesten Verschwörungsplauderer im deutschsprachigen Raum. Auf der Shortlist für die aktuelle Verleihung stehen Ferdinand Wegscheider von Servus TV, der deutsche Finanzwissenschafter Stefan Homburg und die Politologin Ulrike Guérot. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser ist zudem einer der Favoriten einer Auszeichnung für sein Lebenswerk.

Fast könnte man sagen: Die Zeit des Ulks mit belebtem Wasser, Zuckerkugeln und energetischen Schutzringen ist vorüber und erscheint nachbetrachtet und ob der neu im Fokus stehenden Akteure fast harmlos. Die Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine lenken die Aufmerksamkeit auf neue Schwerpunkte der Schwurbelei. Man agitiert gegen Impfungen, vergleicht Maßnahmen gegen eine Pandemie mit der NS-Diktatur, relativiert die russische Kriegsschuld. Die zuletzt genannten Anwärter auf das "Goldene Brett" sind zumindest Liebkinder der populistischen Rechten und der Rechtsextremisten, Vorzeigereferenzen der Truther-Szene und Talkshowpartner in den wie Schwammerln aus dem Boden schießenden rechten Medienportalen.

Zur Nominierung Wegscheiders hat nicht nur dessen Bezeichnung "Genspritze" für Covid-Impfungen beigetragen. Wegscheiders Sender Servus TV hat sich nicht nur mit seinen Reportagen rund um Lederhosenkerle mit dem Mostkrug bei der Mahd und tollkühne Basejumper mit der Gopro-Kamera am Helm ein Image verschafft. Servus TV wird ob seiner Berichterstattung rund um aktuelle Krisen in der "Querdenker"-Szene neben Auf 1, RTV stets als einer der wenigen vertrauenswürdigen Sender beworben. In diesem Milieu als Referenz genannt zu werden, das erfordert gehörige Vorleistung, und das muss man als Verantwortlicher für ein Medienhaus auch mögen.

Unser Humor: Astrologin fordert Wissenschaftlichkeit ein

Unter den heuer Nominierten findet man auch Akteure aus anderen Milieus. Für die Initiative Grüne gegen Impfpflicht (GGI) reichte es zwar nicht ganz für die Shortlist des Abends. Die GGI hat sich trotzdem Karten für die längst ausverkaufte Preisverleihung gesichert und vergibt die unter Gleichgesinnten, offenbar um die Party ein wenig zu crashen. Man hofft auf den Publikumspreis und will dem Preis durch eine Art paradoxe Selbstnominierung ein wenig den Schrecken nehmen. Auf der Website der GGI, die auch die ehemalige Bundessprecherin Madelaine Petrovic als Mitglied anführt, lesen wir ein Bekenntnis zur Wissenschaft: "Wir wünschen uns eine Wissenschaft, die den Diskurs fördert."

Auf der Plattform X (ehemals Twitter) macht GGI-Mitglied Nora Summer Stimmung für die Veranstaltung. Summer belebt den wissenschaftlichen Diskurs als Astrologin. Sie bietet unter anderem eine "Kinder-Persönlichkeitsanalyse mit psychologischer Astrologie" an. Das Angebot richtet sich an Eltern, die wissen wollen, "wie ihre Kinder denken und welche Bedürfnisse sie haben". Für das 25-seitige Skript benötigt Summer nur den Namen und die Geburtsdaten des Kindes und den Unkostenbeitrag von 30 Euro. Am flachen Land würde man bei Eltern, die ihre Kinder bei Summer analysieren lassen, nach der Fürsorg' rufen. Im granderisierten Land Österreich ist Summer wenigstens eine Empfehlung, den grünen Impfgegnern und Wissenschaftsfreunden zumindest einen kleinen Preis für den von ihnen propagierten Humbug zukommen zu lassen. (Christian Kreil, 4.10.2023)