Verklärungskathedrale in Odessa
Die beschädigte Verklärungskathedrale in Odessa. Das Weltkulturerbe zu schützen ist wichtiger denn je.
Unesco/Taras Osipov

Eine gelbe Tram rattert gemächlich über die gepflasterte Straße in der Innenstadt von Lwiw, vorbei am historischen Marktplatz, wo sich junge Frauen und Männer verabreden oder fotografieren und anschließend durch die Gassen flanieren. "Die Menschen hier versuchen so zu leben wie vor dem Krieg", sagt Liliia Onyschtschenko, die den hiesigen Bürgermeister in Fragen rund um die Erhaltung des kulturellen Erbes berät. "Aber leider ist das nicht möglich." Denn auch in der Stadt unweit der polnischen Grenze sorgen russische Luftangriffe für menschliches Leid.

Einst habe die Altstadt von Lwiw, die Ende der 1990er als Weltkulturerbe anerkannt wurde, Touristen aus der ganzen Welt angelockt, erzählt Onyschtschenko. Im Jahr 2019, bevor das Reisen aufgrund der Corona-Pandemie weltweit eingeschränkt wurde, wurden jährlich mehr als 2,5 Millionen Besucher verzeichnet. "Heute haben wir keinen Tourismus mehr", sagt sie. "Wenn man sich hier umsieht, dann ist die Stadt zwar voll. Aber es sind vor allem Binnenvertriebene aus anderen Regionen oder Leute aus der Umgebung, die für einen Tag in die Stadt kommen."

Seit dem 24. Februar 2022 ist Lwiw im Westen der Ukraine zum Zufluchtsort für Geflüchtete und Rehabilitierende geworden. Doch einen Ort, der wirklich sicher ist, gibt es seit dem Krieg nicht. Und nach über eineinhalb Jahren des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der Drohnen und Raketen ist auch der Schaden am historischen und kulturellen Erbe des Landes enorm.

Enorme Schäden

Allein bis Mitte September hat die Unesco landesweit Schäden an 289 Stätten festgestellt und dokumentiert, darunter 120 religiöse Einrichtungen, 27 Museen, 109 Gebäude von historischem oder künstlerischem Interesse, 19 Denkmäler und 13 Bibliotheken. Und diese Liste sei längst nicht vollständig, sagt Chiara Dezzi Bardeschi. Sie vertritt seit einem Jahr die Unesco in der Ukraine. Zuvor war sie für den Raum Zentralafrika, Beirut, Nordafrika oder den Irak zuständig.

Man arbeite zwar mithilfe von Satellitenbildern, sagt Dezzi Bardeschi, doch zu den besetzten Gebieten und vielen Orten an der Frontlinie haben unabhängige Beobachter keinen Zugang."Die Zahlen sprechen für sich und zeigen, dass die Kultur eine der Zielscheiben im Krieg ist – ob absichtlich oder nicht."

Erst vor kurzem setzte die Organisation die Altstadt von Lwiw sowie die Sophienkathedrale und das Höhlenkloster in Kiew deshalb temporär auf die Liste gefährdeter Weltkulturerbestätten. Die Entscheidung kam, nachdem auch die Verklärungskathedrale in der Altstadt von Odessa Ende Juli durch einen Luftangriff getroffen wurde.

Chiara Dezzi Bardeschi
Chiara Dezzi Bardeschi ist für die Unesco in der Ukraine.
Unesco/Taras Osipov

Schwierige Arbeit

"Lwiw und Kiew befinden sich zwar nicht an der Frontlinie, doch die wöchentlichen Angriffe aus der Luft auf die Städte und das hohe Risiko, durch Luftangriffe getroffen zu werden, haben zu dieser Entscheidung geführt", sagt Dezzi Bardeschi und hofft auf mehr internationale Aufmerksamkeit.

Sie erinnert in dem Zusammenhang auch an die wichtige Rolle, die Kultur gerade in Kriegszeiten spielt. "Sie ist ein mächtiges Instrument für die Resilienz der Gesellschaft." Kultur stifte Sinn, helfe beim Umgang und der Bewältigung von Gewalt, Angst und Verlust. "Im Grunde ist sie aber auch eine Ressource für Positivität. Sie zu schützen ist daher wichtiger denn je."

Erst Anfang Juli wurden bei einem nächtlichen Raketenangriff in Lwiw zehn Menschen getötet und 48 weitere verletzt. Bei dem Angriff wurde auch das Gebiet, das an das Unesco-Weltkulturerbe angrenzt, beschädigt. Die Stadt biete den Bewohnern finanzielle Unterstützung für die Anmietung von Wohnraum, bis die Häuser wiederaufgebaut sind, erklärt Pawlo Bohaytschyk, der Direktor des städtischen Büros für Kulturerbe: "Wir versuchen, die bereits begonnene Arbeit zu Ende zu bringen und den Menschen zu helfen, die in den zerstörten und beschädigten Häusern leben."

Österreichisches Erbe

Der Stadtrat von Lwiw finanziert laut Bohaytschyk derzeit die Notsanierung von 13 Gebäuden, die Kosten belaufen sich auf umgerechnet gut 1,5 Millionen Euro. Für die Rekonstruktion von vier weiteren Wohngebäuden, die fast völlig zerstört wurden, werden jedoch weitere 2,5 Millionen Euro benötigt. "Das alles ist unglaublich schwierig, und wir suchen nach Möglichkeiten der Finanzierung", erzählt Bohaytschyk. "Die Stadt hat kaum Budget und das wenige, das es gibt, geht an die Streitkräfte."

Onyschtschenko zeigt indes auf die historischen Fassaden der Häuser in der Altstadt und erzählt, dass man den Einfluss der verschiedenen Ethnien, die hier in der Westukraine seit Jahrhunderten leben, noch immer in der Architektur und im Stadtbild sehen könne. "Lwiw wurde vor allem in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie weiterentwickelt, damals wurden neue Viertel erbaut", sagt sie.

Doch gerade von Österreich habe die Stadt bisher noch keine Mittel für den Schutz oder die Restaurierung des kulturellen Erbes erhalten. "Dabei müsste dies auch im Interesse der Menschen dort sein", so Onyschtschenko. "Viele österreichische Architekten haben hier gearbeitet und Häuser gebaut. Auf eine gewisse Art ist das also unser gemeinsames kulturelles Erbe." (Daniela Prugger aus Lwiw, 3.10.2023)