Viele Chilischoten und Knoblauchzehen werden in einem Holzkorb mithilfe zweier Hackmesser zerkleinert. 
Die Sorte Carolina Reaper gilt mit 2.200.000 SHUals derzeit schärfste Chilischote der Welt. SHU steht dabei für Scoville Heat Units, benannt nach dem amerikanischen Chemiker und Pharmakologen Wilbur Scoville.
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Auf Tiktok isst man scharfe Sachen. Bei der Hot-Chip-Challenge sind das extrem scharfe Tortillachips einer bestimmten Marke – die angeblich schärfsten der Welt –, anschließend trinkt man so lange wie möglich nichts und ladet das Video davon auf den Kanal. Das kann aber alles andere als harmlos enden. Atemnot, Schleimhautreizungen oder Übelkeit bis hin zum Erbrechen können die Folge sein. In Deutschland musste ein Bub ins Krankenhaus, vor einigen Wochen ist ein 14-jähriger aus dem Bundesstaat Massachusetts in den USA sogar verstorben, nachdem er die Chips gegessen hatte. Dabei soll scharfes Essen doch gesund sein. Was stimmt nun? Kann scharfes Essen wirklich so gefährlich sein, dass man daran stirbt?

Ja und nein. Denn Schärfe ist nicht gleich Schärfe. Es gibt eine Reihe von Scharfstoffen. Die zählen dabei nicht zu den Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter, salzig oder umami, die von den Geschmacksknospen wahrgenommen werden. Schärfe stimuliert die Schmerzrezeptoren im Mund. Man könnte also sagen, wer es gern richtig scharf mag, kann auch mehr Schmerz aushalten. Und genau darum geht es in den diversen Challenges.

"Schärfe kann etwa durch Schwefelverbindungen wie Allicin und Alliin ausgelöst werden. Diese befinden sich in Knoblauch und Zwiebeln, Lauch und Schnittlauch", erklärt Marlies Gruber, Ernährungswissenschafterin und Geschäftsführerin des Forums Ernährung Heute. Und diese Schwefelverbindungen bieten durchaus auch gesundheitliche Vorteile. "Allicin etwa hemmt das Wachstum von Pilzen, Hefen und Bakterien und verringert die Produktion entzündungsfördernder Botenstoffe."

Schärfster Chili der Welt

Der Scharfmacher in Chilischoten ist aber ein anderer, das Capsaicin. Das ist ein Alkaloid, das an den Hitze- und Schmerzrezeptoren bindet. Und auch dieses kann der Gesundheit guttun, weiß Gruber: "Capsaicin verbessert die Durchblutung der Schleimhäute, dadurch kann es die Abwehr von Erregern verbessern." Es regt außerdem die Motorik des Magens an und verbessert so die Verdauung inklusive Fettverarbeitung. In der Natur schützt es Pflanzen, die es enthalten, vor Fressfeinden. Wie so oft kommt es aber auf die Dosis an. Ein Zuviel davon ist ganz und gar nicht mehr gesund, es kann giftig wirken mit Symptomen wie Atemnot, massiver Schleimhautreizung, Übelkeit oder Erbrechen.

Doch woher weiß man, wie scharf ein Lebensmittel ist? Darüber gibt die Scoville-Skala Auskunft. Sie wurde nach dem amerikanischen Chemiker und Pharmakologen Wilbur Scoville benannt, er entwickelte bereits 1912 ein Verfahren, das die Schärfe von Chilischoten misst. Dabei verkosteten Testpersonen in Zuckersirup gelöstes Chilipulver, bis die Schärfe für sie spürbar war. Je nachdem, wie sehr das Pulver verdünnt wurde, ergab sich der Schärfegrad der Chilis. Noch heute wird der Schärfegrad in SHU – das steht für Scoville Heat Units – angegeben.

Die Tortilla Chips aus der Tiktok-Challenge schlagen dabei hoch aus. Laut Hersteller wird dafür das Pulver des schärfsten Chilis der Welt benutzt, der Sorte Carolina Reaper. Die kommt auf 2.200.000 SHU. Zum Vergleich: Der Schärfegrad von Tabasco liegt zwischen 30.000 und 50.000 SHU.

Das Institut für Risikobewertung in Deutschland, kurz BfR, hat nun aufgrund des Vorfalls in den USA eine neue Mitteilung zum Thema scharfe Lebensmittel herausgegeben. Darin betonen die Fachleute, dass bei übermäßigem Verzehr von Capsaicin bereits in der Vergangenheit immer wieder "unerwünschte Wirkungen wie Schleimhautreizungen, Übelkeit, Erbrechen und Bluthochdruck beobachtet wurden, wobei die Höhe der konsumierten Capsaicindosis oft unbekannt war". Besonders gefährdet seien Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Kinder.

Die Schärfe abfedern

Auf scharfes Essen verzichten muss man deshalb aber nicht. Das BfR betont, dass "die orale Aufnahme von Chilifrüchten, scharf bis sehr scharf gewürzten Speisen und ihre Zubereitung nicht mit akut gesundheitsschädigenden Wirkungen verbunden ist". Bis zu fünf Milligramm Capsaicin pro Kilogramm Körpergewicht pro Mahlzeit seien laut den Fachleuten unproblematisch. Liegt die Konzentration höher, kann das eben zu den unerwünschten Nebenwirkungen führen.

Nun weiß man natürlich nicht, wie viel Caspaicin im Lieblingscurry beim Restaurant um die Ecke drin ist. Ein Hinweis sind im Normalfall die auf der Speisekarte neben dem Gericht aufgedruckten Chilis. Je mehr davon, desto schärfer wird es. In der Regel erreichen gekochte Speisen jedoch keine kritischen Werte. Aufpassen solle man eher bei Chilisoßen oder Extrakten, die mit besonderer Schärfe werben.

Aber was tun, wenn der Mund nach dem Curry schmerzt? Wasser löscht das Brennen definitiv nicht. Viele raten zu Milch, Joghurt oder Brot. Eine Mischung aus beidem dürfte ideal sein. Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Hochschule Fulda haben bereits 2014 herausgefunden, dass Mascarpone auf ungetoastetem Toastbrot die Schärfe am besten neutralisiert.

Manche Menschen können trotzdem mehr Schärfe vertragen als andere. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass sie weniger schmerzempfindlich sind. Scharf essen kann man vielmehr trainieren. Isst man Scharfstoffe, betäubt das die Nervenzellen im Mund. "Isst man oft Scharfstoffe, bilden sich die Schmerzrezeptoren zurück. Dadurch entwickelt sich eine höhere Toleranz gegenüber Schärfe und Hitze. Durch den Gewöhnungseffekt nimmt man beides weniger intensiv wahr", sagt Marlies Gruber. Vorsicht ist aber geboten, sobald man beim Essen Schmerzen oder Übelkeit verspürt. Kommen dann noch Erbrechen, Durchfall oder Schwindel hinzu, sollte man sich unbedingt medizinisch versorgen lassen. (Jasmin Altrock, 5.10.2023)