Sie seien scharf auf eine steile Karriere, würden sich lieber selbst verwirklichen wollen, anstatt eine Familie zu gründen: Rund um das Einfrieren von Eizellen gibt es jede Menge Vorurteile. Was die eigentlichen Gründe sind, warum Frauen diesen Schritt machen, interessierte Marica C. Inhorn, Professorin an der renommierten Yale University. Für eine Studie befragte sie 150 US-amerikanische Frauen, die die Technologie nutzten. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte Inhorn nun in einem Buch: Motherhood on Ice: The Mating Gap and Why Women Freeze Their Eggs. Daraus wird schnell klar, dass es nicht um die beruflichen Ambitionen der Frauen geht – vielmehr fehlen die gebildeten Männer. Im Interview spricht die Anthropologin darüber, wie Egg Freezing das Konzept der Elternschaft auf den Kopf stellt.

STANDARD: Sie haben für Ihre Studie mit 150 Frauen gesprochen, die ihre Eizellen einfrieren ließen. Wer sind diese Frauen?

Inhorn: Ein geringer Anteil der Frauen hat gesundheitliche Probleme, die ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten. Diese Frauen haben beispielsweise Krebs und lassen ihre Eier einfrieren, bevor sie sich einer Chemotherapie unterziehen. Meist sind sie in ihren 20ern. Die weit größere Gruppe sind allerdings völlig gesunde Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, aber noch keinen Partner gefunden haben, um eine Familie zu gründen. Sie sind im Schnitt circa 36 Jahre alt, gut ausgebildet und erfolgreich in ihrem Beruf. 82 Prozent waren Single zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Eizellen einfrieren ließen. Der Rest war in einer Beziehung, die oft jedoch noch sehr frisch war oder in der es Probleme gab. Einige wenige waren mit einem Partner zusammen, der sich noch nicht bereit fühlte für die Vaterrolle.

STANDARD: Das Klischee, dass Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen, um Karriere zu machen, stimmt also nicht?

Inhorn: In meiner Studie hat sich dieses Klischee überhaupt nicht bestätigt. Es geht den Frauen nicht darum, ihr Leben perfekt planen zu wollen. Sie nutzen die Technologie, weil ihr Leben eben genau nicht nach Plan verlaufen ist, weil sie sich schwertun, einen geeigneten Partner zu finden. Gutgebildete Frauen weltweit haben Probleme bei der Partnersuche. Die Frauen, mit denen ich für mein Buch gesprochen habe, fragen sich, wie es nun weitergehen soll. Sie denken sich: Ich bin jetzt 36, wie lange bin ich überhaupt noch fruchtbar? Mit dem Einfrieren ihrer Eizellen wollen sie Zeit gewinnen.

"Es geht den Frauen nicht darum, ihr Leben perfekt planen zu wollen. Sie nutzen die Technologie, weil ihr Leben eben genau nicht nach Plan verlaufen ist, weil sie sich schwertun, einen geeigneten Partner zu finden." (Marcia Inhorn, Anthropologin)

STANDARD: Sie verwenden in Ihrem Buch den Begriff "mating gap", was auf Deutsch so viel bedeutet wie Paarungskluft. Was genau ist damit gemeint?

Inhorn: Frauen suchen einen verfügbaren und gebildeten Partner, mit dem sie eine gleichberechtigte Beziehung führen können – finden ihn jedoch nicht. Eine Erklärung dafür ist, dass Männer in den USA zunehmend im Bildungssystem versagen. Sie brechen ihre Ausbildungen ab oder beginnen sie erst gar nicht. Während Frauen immer besser gebildet sind. Das bedeutet: Es gibt Millionen Frauen in ihren reproduktiven Jahren, also zwischen 22 und 39, die auf zu wenige Männer treffen, die ähnlich gut gebildet sind wie sie selbst. Es besteht ein Missverhältnis.

STANDARD: Ist das ein US-spezifisches Phänomen, oder gibt es das auch in anderen Ländern?

Inhorn: Es scheint ein globales Phänomen zu sein. In mehr als 60 Prozent der Länder überholen Frauen die Männer in Bildungsbelangen. Zahlen aus Österreich zeigen: Derzeit studieren 18 Prozent mehr Frauen als Männer. In Skandinavien ist es besonders drastisch. In Schweden etwa gehen um 37 Prozent mehr Frauen zur Uni. Man mag es wählerisch nennen, aber diese gutgebildeten Frauen wollen sich einfach nicht mit jemandem einlassen, der weniger gebildet ist. Und auch wenn sie dazu bereit sind: Oft fühlten sich die Männer eingeschüchtert, wenn ihre Partnerin erfolgreicher ist als sie selbst.

Die Medizinanthropologin Marcia C. Inhorn sagt: Frauen lassen ihre Eizellen einfrieren, weil ihnen der geeignete Partner fehlt.
privat

STANDARD: Wenn Frauen immer öfter studieren, immer bessere Positionen im Arbeitsleben innehaben: Wird diese Paarungskluft künftig noch weiter aufgehen?

Inhorn: Das ist zu erwarten. Für die USA gibt es die Prognose, dass in nicht allzu langer Zeit zwei Frauen mit Universitätsabschluss auf einen Mann mit Universitätsabschluss kommen. Mädchen sind gut in der Schule, sind später gut in ihrer Arbeit. Frauen erreichen vieles, und Männer können nicht immer mithalten. Das stellt traditionelle Geschlechternormen auf den Kopf, wonach sich Frauen bei der Partnersuche "nach oben" orientieren, also sich jemanden suchen, der besser gebildet ist, einen besseren Job hat und die Familie ernährt. Aber wenn es heutzutage immer mehr erfolgreiche Frauen gibt, wer sind die geeigneten Partner für sie? Frauen sollten sich auch auf Partner einlassen, die weniger gebildet sind. Das kann sehr gut ausgehen.

STANDARD: Sie haben sich selbst für jemanden entschieden, der nicht denselben Bildungsgrad hat wie Sie.

Inhorn: Ich hatte selbst meine Probleme bei der Partnersuche, lange bevor "Egg Freezing" überhaupt aufkam. Ich habe meinen Masterabschluss gemacht, mein Doktorat und mich in meinen frühen 30ern scheiden lassen, weil es eine wirklich ungesunde Beziehung war. Schlussendlich habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt, ein Freund hat uns einander vorgestellt. Mein Mann hatte sein Studium abgebrochen und nicht mal annähernd den Bildungsgrad, den ich habe. Aber er ist ein kluger Mann, sehr liebenswürdig, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen. Als ich ihm sagte, dass ich unbedingt Kinder haben möchte, willigte er ein. Obwohl er zuvor noch nie groß darüber nachgedacht hatte. Das scheint übrigens auch etwas zu sein, das sich in den letzten Jahre drastisch verändert hat: Männer in ihren 30ern oder 40ern sagen zwar, dass sie Kinder wollen – aber erst später.

STANDARD: Die Frauen in Ihrem Buch nennen sie "Peter Pans". Nach der berühmten Fantasiefigur, die niemals erwachsen werden will.

Inhorn: Es handelt sich dabei oft um Männer, mit denen die Frauen viel Spaß haben können. Diese Männer führen sie zum Essen aus, haben gute Jobs. Aber ein "Peter Pan" ist nicht gewillt, Verantwortung zu übernehmen. Einige Frauen, die ich interviewt habe, waren jahrelang mit solchen Männern zusammen. Die wohl traurigste Geschichte ist die einer Frau, die ich im Buch Lily genannt habe: Sie hat ihren Partner Jack mit Anfang 30 kennengelernt, war zehn Jahre lang mit ihm zusammen, in der Hoffnung, dass er eines Tages dazu bereit sein wird, mit ihr eine Familie zu gründen. Aber der Zeitpunkt kam nie. Sie liebte diesen Mann, er war für sie eine Art Seelenverwandter. Aber er vertröstete sie immerzu. Mit 40 trennte sie sich von ihm und ließ ihre Eizellen einfrieren. Viele andere Geschichten lauten ähnlich: Die Frauen warteten vergeblich darauf, dass die Männer irgendwann bereit sind. Für Frauen, die in ihren späten 30ern sind und einen starken Kinderwunsch verspüren, sind solche Partner Zeitverschwendung. Kinderlos zu bleiben ist eine legitime Wahl, aber man muss zu Beginn einer Partnerschaft ehrlich darüber sprechen.

STANDARD: Meinen Sie, dass Peter Pans mehr werden? War es nicht früher so etwas wie ein natürlicher Verlauf der Dinge, zu heiraten und eine Familie zu gründen?

Inhorn: Es ist definitiv ein Phänomen jüngerer Generationen. Eine Familie zu gründen gehörte früher zu den Lebenszielen. Erst in den letzten Jahrzehnten kam es zu diesem Infragestellen der Elternschaft. Die Menschen fingen an, sich andere Lebensziele zu suchen. Ich sehe das auch bei meinen Kindern: Meine Tochter, die eine junge Erwachsene ist, stellt sehr stark infrage, ob sie überhaupt Kinder haben möchte. Ich bin der Meinung, dass Dating-Apps ganz viel zu dieser Entwicklung beitragen. Man kann jeden treffen, muss sich nicht festlegen.

Das Traurige daran ist: Es gibt Menschen, die sich sehr wohl eine Familie wünschen, aber für die der Wunsch nicht in Erfüllung geht. Die Frauen in meinem Buch fingen irgendwann an, sämtliche Entscheidungen ihres Lebens infrage zu stellen, sich selbst infrage zu stellen. Waren sie womöglich zu wählerisch? Hätten sie lieber mit ihrer Jugendliebe zusammenbleiben sollen, auch wenn es nicht gepasst hat? Zu hören, dass Frauen sich selbst für etwas verantwortlich machen, das eigentlich ein gesellschaftliches Problem ist, hat mich wirklich betroffen gemacht. Egg Freezing ist für sie eine Art letzte Hoffnung, um sich ihren Kinderwunsch doch noch irgendwann erfüllen zu können.

STANDARD: Ist das nicht auch eine sehr trügerische Hoffnung? Manche Frauen aus ihrem Buch scheiterten bei dem Versuch einer künstlichen Befruchtung.

Inhorn: Das Einfrieren von Eizellen garantiert überhaupt nichts. Die Werbung der Kliniken lässt es zwar so aussehen, als wäre es relativ einfach, sich durch Egg Freezing die Fruchtbarkeit zu erhalten. Viele Frauen aus meiner Studie haben erfolglos versucht, schwanger zu werden. Es gibt also keine Garantie, doch noch Mutter zu werden. Und gleichzeitig ist Egg Freezing sehr teuer: Ein Durchlauf kostet in den USA zwischen 10.000 und 15.000 Dollar. Man muss sich Hormone injizieren, was körperlich fordernd ist. Um die Eier zu entnehmen ist schließlich ein Eingriff notwendig. Es braucht sehr viel Mut, das durchzuziehen. In Amerika nennen wir das "badass".

Selbstbewusste Frau
"Badass" sei es, seine Eizellen einfrieren zu lassen, sagt die Anthropologin. Denn es ist teuer und körperlich fordernd.
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STANDARD: Einige Frauen ziehen ihren Kinderwunsch schließlich auch ohne Partner durch. Sie nutzen Spendersamen, um schwanger zu werden, und ziehen ihr Kind allein groß. Werden diese sogenannten "Single Mothers by Choice" mehr?

Inhorn: Der Begriff ist im Grunde genommen irreführend, denn wirklich selbstgewählt ist dieser Lebensentwurf meist nicht. Diese Frauen haben sehr wohl gehofft, einen potenziellen Familienvater zu finden, aber es hat einfach nicht funktioniert. Sie wollen dennoch Mütter werden, also verwenden sie Spendersamen. Das Phänomen der "Single Mothers by Choice" gibt es seit circa seit zwei Jahrzehnten, und ich glaube schon, dass es durch Egg Freezing an Bedeutung gewinnt. Für viele Frauen in meinem Buch war es eine Art Plan B. Wenn sie bis zu einem gewissen Alter keinen Partner haben, wollten sie allein Mutter werden.

Ein ganz neues Phänomen ist übrigens, dass Frauen mittels Spendersamen Kinder bekommen und sich dann mit anderen Müttern zusammentun, die ebenfalls Samen desselben Spenders nutzten. Damit ihre Kinder die Möglichkeit haben, mit ihren biologischen Halbgeschwistern aufzuwachsen.

STANDARD: Könnte Egg Freezing in Zukunft eine Möglichkeit für alle sein, die eigene Fruchtbarkeit zu erhalten?

Inhorn: Für die meisten ist es außer Reichweite, weil es einfach zu teuer ist. Vor einigen Jahren erregten große Techfirmen Aufsehen damit, dass sie Mitarbeitenden das Egg Freezing bezahlen wollten. Das wurde damals sehr kritisch diskutiert. Es hieß, die Firmen würden sich in die Familienplanung einmischen, es gehe ihnen nur darum, die Frauen länger bei der Arbeit zu halten. Meine Interviewpartnerinnen hingegen bewerten solche Angebote als sehr positiv. Sie würden sich wünschen, dass ihr Arbeitgeber die hohen Kosten übernimmt. Aktuell tragen sie sie selbst, manches Mal werden sie von ihren Familien unterstützt. In Amerika zahlt auch keine Versicherung etwas dazu. Für die befragten Frauen war das ein großes Thema. Viele sind der Meinung, dass alle Frauen Zugang zu Egg Freezing haben sollten. Denn wie Verhütung oder Abtreibung ist es eine Möglichkeit für Frauen, ihr reproduktives Leben zu kontrollieren. (Lisa Breit, 15.10.2023)