Demonstration gegen die Vertreibung der Bergkarabach-Armenier in Brüssel. Jemand trägt ein Schild mit der Aufschrift
In vielen westlichen Städten – hier in Brüssel am Sonntag – wurde gegen die Vertreibung der Bergkarabach-Armenier demonstriert. Außer Appellen an Aserbaidschan wird es jedoch nichts geben.
AFP/SIMON WOHLFAHRT

Wenn über den Bergkarabach-Konflikt und die Flucht der armenischen Bevölkerung von dort gesprochen wird, fehlt eine Information zur regionalstrategischen Einbettung der Situation nie: das enge politische und militärische Bündnis zwischen der Türkei und Aserbaidschan. Tatsächlich hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereits vor einer Woche nach Baku begeben, um dort mit Machthaber Ilham Alijew den raschen Sieg zu feiern.

Die Aserbaidschaner sind ein Turkvolk und sprechen eine Turksprache. Allerdings ist anders als in der Türkei die Mehrheit der Bevölkerung schiitisch. Die Beziehungen zu "dem" großen schiitischen Staat der Region, Iran, sind jedoch grottenschlecht.

Was wiederum einer anderen Allianz zugrunde liegt, die schon weniger auf dem internationalen Radar ist als die aserbaidschanisch-türkische: die aserbaidschanisch-israelische. Aserbaidschan war laut Sipri (Stockholm International Peace Research Institute) zwischen 2018 und 2022 der zweitgrößte Waffenkäufer Israels. Militäranalysten sind sich einig, dass das bereits beim Bergkarabach-Krieg von 2020 ausschlaggebend für die militärische Stärke Aserbaidschans war.

Niederschlag in Medien

In den israelischen Medien bildet sich die vermeintliche Parteistellung Israels für Baku durchaus ab. Der aserbaidschanische Botschafter in Israel, Mukhtar Mammadov, schrieb als Antwort auf einen Leitartikel der Haaretz einen Gastkommentar, in dem er deren kritische Darstellung – "ethnische Säuberung mit unseren Waffen" – als völlig einseitig zurückwies. Er bestätigt darin die Allianz zwischen Baku und Jerusalem, verweist jedoch auf die Hunderttausenden von den Armeniern aus der Region vertriebenen Aserbaidschaner und Aserbaidschanerinnen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den Massakern an ihnen – das bekannteste war jenes von Khojali 1992.

Der Jerusalem Post wiederum gab der armenische Botschafter Arman Akopian ein Interview, in dem er die Anschuldigung erhebt, israelische Waffen würden gegen die Bergkarabach-Armenier eingesetzt. Laut Botschafter hätte sich vor Operationen der aserbaidschanischen Armee gegen Bergkarabach schon in den vergangenen Jahren immer die Frequenz der Frachtflüge der aserbaidschanischen Silk Way Airlines von Israel nach Aserbaidschan erhöht, auch diesmal. Sie lieferten demnach gezielt Waffen für die Offensive.

Neue Botschafter

Aserbaidschanischer bzw. armenischer Botschafter in Israel, beides klingt so "normal", ist es aber gar nicht. Obwohl Israel selbst seit dreißig Jahren eine Botschaft in Baku unterhält (wo es eine alteingesessene, aber auch neu zugewanderte jüdische Gemeinde gibt), entsandte Aserbaidschan erst im Jänner 2023 überhaupt seinen ersten Botschafter nach Israel. Trotz der engen Allianz gab sich Aserbaidschan in dieser Beziehung als islamisch geprägtes Land, Stichwort Palästinenser.

Aber zuletzt wurde auch der diplomatische Austausch aufgewertet. Im Mai 2023 besuchte Israels Präsident Isaac Herzog Baku, zuvor gab es gegenseitige Außenministervisiten. Auffällig dabei ist, dass 2022 auch die Beziehungen der Türkei und Israels nach einer Eiszeit wieder auf neue Schienen gestellt wurden.

Der Armenier Akopian ist immerhin schon ein gutes halbes Jahr länger in Israel als sein aserbaidschanischer Kollege, seit Juni 2022. Es gab auch einen Vorgänger, der allerdings 2020 schon nach ein paar Wochen in Israel wegen des Bergkarabach-Kriegs abgezogen wurde. Heute ist klar, dass Israel und Armenien trotz allem an ihren Beziehungen arbeiteten. Jerewan hat sich eben damit abgefunden, dass Aserbaidschan seine völkerrechtliche Souveränität über Bergkarabach nach dreißig Jahren wieder ausübt. Auch wenn das mit israelischen Waffen geschieht, der Botschafter bleibt.

In den Iran "hineinschauen"

Der strategische Wert einer Zusammenarbeit mit Aserbaidschan liegt auf der Hand: Von den Militärbasen sieht man gut in den Iran hinein, aus dem immer wieder Vernichtungsdrohungen gegen Israel ausgestoßen werden. Daneben ist Baku auch Israels Erdöllieferant.

Die aserbaidschanisch-iranischen Beziehungen haben sich 2023 weiter verschlechtert. Teheran beschuldigt Baku nicht nur der gemeinsamen Sache mit Israel, sondern auch, den Separatismus der iranischen Azeris anzustacheln. Ende Jänner 2023 wurde in Teheran die Botschaft Aserbaidschans angegriffen, woraufhin Baku sein diplomatisches Personal abzog. In zwei Wellen wurden in Aserbaidschan im Frühjahr dutzende Personen als iranische Spione festgenommen.

Teheran befürchtet nun, dass sich Jerewan und Baku letzten Endes trotz allem auch noch auf einen Korridor von Aserbaidschan in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan einigen, den Zangezur-Korridor durch die armenische Provinz Syunik. In seinem dramatischen Jerusalem Post-Interview betont auch der armenische Botschafter die Wichtigkeit von armenisch-aserbaidschanischen Gesprächen. (Gudrun Harrer, 3.10.2023)