Österreich kommt nicht aus den physikalischen Schlagzeilen. Nachdem mit dem Quantenphysiker Anton Zeilinger 2022 erstmals seit Jahrzehnten wieder ein in Österreich tätiger Wissenschafter mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sorgt der nächste Erfolg für Jubel: Nun erhält auch der ungarisch-österreichische Physiker Ferenc Krausz einen Physiknobelpreis. Gemeinsam mit der Französin Anne L'Huillier und dem US-Franzosen Pierre Agostini wird Krausz für seine Beiträge zur sogenannten Attosekundenphysik geehrt.

Ferenc Krausz
Ferenc Krausz bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach der Physiknobelpreis-Bekanntgabe am Dienstag.
AP/Attila Kovacs

Krausz wurde 1962 im ungarischen Mór geboren, er erlangte sein Diplom und sein technisches Doktorat in Budapest. Schon während des Studiums war Krausz von ultrakurzen Laserpulsen fasziniert. Sie erlauben es nicht nur, Einblicke in subatomare Prozesse zu werfen, sondern setzen zugleich auch hohe Energien frei. Für einen Studienaufenthalt kam Krausz 1987 nach Wien, das für viele Jahre seine Heimatstadt werden sollte. Mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern lebte er in Vösendorf. Neben der ungarischen besitzt er auch die österreichische Staatsbürgerschaft.

Großer Durchbruch mit kleinsten Laserpulsen

An der Technischen Universität Wien arbeitete Krausz mit seinem Team daran, präzise gebündeltes Licht zu erzeugen. 2001 gelang schließlich der Durchbruch: Krausz und Kollegen konnten erstmals einen Laserpuls im Attosekundenbereich erzeugen. Attosekunden sind so kurz, dass sie mit der menschlichen Vorstellungskraft kaum fassbar sind: Mathematisch ausgedrückt handelt es sich dabei um 10-18 Sekunden. Doch unsere Alltagssprache stößt in dieser Größenordnung schnell an ihre Grenzen: Eine Attosekunde ist der Milliardste Teil eines Milliardstels einer Sekunde.

Wie kann etwas, das so kurz ist, die Wissenschaft dermaßen begeistern? Die Antwort liegt darin, dass Attosekundenlaser es Forschenden ermöglichen, ebenjenen Bereich auszuleuchten, der die fundamentalen Bausteine der Materie umfasst – von der Bewegung von Elektronen bis hin zur Ermittlung der dreidimensionalen Struktur von Molekülen. Doch auch das weit komplexere Verhalten von Elektronen in Festkörpern wird durch die neuen Methoden zugänglich. Wie auch beim Physiknobelpreisträger 2022, Anton Zeilinger, leistete der österreichische Fonds zur Förderung der Grundlagenforschung FWF entscheidende Beiträge dazu, dass Krausz seine revolutionären Arbeiten hierzulande umsetzen konnte: So erhielt er 1996 den FWF-Start-Preis und 2002 den Wittgenstein-Preis und damit Österreichs wichtigste wissenschaftliche Auszeichnung.

"Es wäre gerechter, den Preis dem ganzen Team, das all die Resultate erzielt zu vergeben", sagte Krausz in einer Pressekonferenz am Dienstag. Er erwähnt konkret seine Zeit in Wien, insbesondere Arnold Schmidt, "der mir auch als Mentor über die Jahre in Wien zur Seite gestanden ist, und mir die ganzen Freiheiten gegeben hat, ohne die wir diese Resultate nicht hätten."

Krausz betont, dass Elektronen in unserem Alltag, aber auch in der Technologie allgegenwärtig seien: "Sie bilden den Klebstoff zwischen den Atomen", sagt Krausz. Er sieht wichtige Anwendungsmöglichkeiten in der Verbesserung von Elektronik, deren Miniaturisierung an ihre Grenzen gelange. Darüber hinaus seien die durch Elektronen zusammengehaltenen Moleküle die kleinsten Bausteine unseres Organismus. Wer Letzteren verstehen wolle, komme an ihrer Erforschung nicht vorbei. Die Methoden, für die er nun den Nobelpreis erhält, funktionieren laut ihm wie eine "Schnellkamera". "Mit einem solchen Ansatz versuchen wir schnelle Bewegungen der Natur festzuhalten", sagt Krausz.

Enormes medizinisches Potenzial

Das Forschungsfeld der Attosekundenphysik bietet neben den Möglichkeiten für die Grundlagenforschung zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für immer kleinere und leistungsfähigere Elektronik. Ein anderes Anwendungsgebiet begeistert Krausz aber noch mehr, dem er aktuell als Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München nachgeht. Es geht dabei um ein neues Screeningverfahren, durch das schwerwiegende Krankheiten wie Lungen-, Brust- oder Prostatakrebs schon in einem frühen Stadium erkannt und zielgerichtet behandelt werden könnten.

Video: Physik-Nobelpreis für Austro-Physiker Ferenc Krausz
APA/bes

In den vergangenen Jahren ist es Krausz mit Kolleginnen und Kollegen gelungen, beachtliche Erfolge beim Einsatz von Attosekundenlasern bei der spektroskopischen Analyse von Blutproben zu erzielen. "Man kann Krankheiten damit früh erkennen, vielleicht ist es damit sogar möglich, den gesamten Gesundheitszustand systematisch zu überwachen", schilderte Krausz den Ansatz in einem Gespräch mit dem STANDARD. Sollte sich diese Vision realisieren lassen, käme das durchaus einer medizinischen Revolution gleich und würde ihn womöglich noch zu einem Kandidaten für einen künftigen Medizinnobelpreis machen.

Den Anruf hätte er beinahe nicht angenommen. Normalerweise hebt er bei Anrufen mit unterdrückter Nummer nicht ab, diesmal machte er glücklicherweise eine Ausnahme. "Ich versuche immer noch festzustellen, ob ich in der Realität bin, oder in einem Traum", gestand Krausz. "Doch es gibt Anzeichen, dass ich in der Realität bin." Am 10. Dezember steht die Verleihung des diesjährigen Physiknobelpreises an. Spätestens dann wird der Nobelpreis auch für Krausz real werden. (Tanja Traxler, Reinhard Kleindl, 3.10.2023)