Ferenc Krausz
Der ungarisch-österreichische Physiker Ferenc Krausz ist einer der Physiknobelpreisträger 2023.
Österreichische Akademie der Wissenschaften/APA-Fotoservice/Hörmandinger

Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an den ungarisch-österreichischen Physiker Ferenc Krausz und die beiden aus Frankreich stammenden Forscher Pierre Agostini und Anne L'Huillier. Sie werden für ihre Arbeiten zu Physik auf extrem geringen Zeitskalen ausgezeichnet, wie das Nobelkomitee der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften am Dienstagmittag in Stockholm mitteilte. Offiziell erhalten sie den Nobelpreis "für experimentelle Methoden zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtimpulsen für die Untersuchung der Elektronendynamik in Materie".

Krausz (61), der ungarischer und österreichischer Staatsbürger ist, hat entscheidende Durchbrüche seiner Arbeit zur Attosekunden-Physik an der Technischen Universität (TU) Wien erzielt. Inzwischen ist Krausz Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München. Anne L'Huillier (geboren 1958) ist Professorin an der schwedischen Universität Lund. Pierre Agostini (82) ist französischer und US-amerikanischer Staatsbürger und emeritierter Professor an der Ohio State University in den USA. Im Vorjahr wurde der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger gemeinsam mit dem Franzosen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser ausgezeichnet.

Die Laureaten (von links): Pierre Agostini, Ferenc Krausz, Anne L'Huillier.
Fotos: Ohio State University/Max-Planck-Institut für Quantenoptik/Lund University

Physik der schnellsten Bewegungen

Attosekundenphysik ist die Physik extrem geringer Zeitskalen, wie sie in der Welt der Elektronen auftritt. Das Verhältnis Attosekunden zu Herzschlag ist dasselbe wie Herzschlag zu Lebensspanne des Universums. Werner Heisenberg glaubte einst, man könne diese Welt nicht sehen. Doch die diesjährigen Laureaten zeigten, dass es möglich ist, Attosekundenpulse zu erzeugen.

In der Attosekundenphysik geht es also um die Erzeugung extrem kurzer Pulse aus Röntgenstrahlung. Damit lässt sich die elektronische Struktur von Materie auf Größenskalen von Pikometern in Zeiträumen von Attosekunden auflösen. Dabei lässt sich mehr über die Reaktionen von Elektronen auf äußere Anregung durch Licht erfahren. Außerdem lässt sich ihre Bewegung immer genauer steuern.

Vor allem zwei Techniken definierten die Attosekundenphysik. Zum einen ist das die sogenannte "Rabbitt"-Technik, die von Agostini 2001 in Paris durchgeführt wurde. Rabbitt steht für "reconstruction of attosecond beating by interference of two-photon transitions" und ist heute eine der verbreitetsten Methoden in der Attosekundenforschung. Sie war ursprünglich für die Charakterisierung von Attosekundenpulsen vorgesehen, wurde aber später erfolgreich für die genaue Bestimmung von Zeitverzögerungen bei der Photoemission eingesetzt. Die zweite Technik ist das "Streaking", das Krausz 2001 in Wien erstmals durchführte. Auch diese Methode hätte ursprünglich nur Lichtpulse charakterisieren sollen, erwies sich aber als mächtiger als gedacht.

Nobelpreis Medaille
Die Gewinner der begehrten Medaille 2023 in der Kategorie Physik stehen fest. Mit Ferenc Krausz gibt es zum zweiten Mal in Folge einen Österreich-Bezug zum Physiknobelpreis, 2022 war der Quantenphysiker Anton Zeilinger unter den Laureaten.
AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Österreich-Connection

"Der Übergang von der Grundlagenforschung in die angewandte Forschung war bei uns ganz kontinuierlich", sagte Krausz über sein Forschungsfeld in einem Gespräch mit dem STANDARD. Schon während seiner Zeit in Wien verfolgte er das Ziel, die schnellsten Bewegungen im Mikrokosmos besser zu verstehen, allen voran die Bewegung der Elektronen. "Doch dafür standen in den 90er-Jahren noch nicht hinreichend schnelle Techniken zu Verfügung." Erst die Entwicklung der Attosekundenlaser schuf die technischen Möglichkeiten dafür, Elektronenbewegungen beobachten zu können.

"Später stellte sich heraus, dass diese extrem kurzen Pulse auch genutzt werden können, um Lichtwellen abzutasten", sagt Krausz. "Wir konnten aber in keinster Weise voraussehen, dass sich daraus eine Anwendung ergibt, die eines Tages womöglich uns allen zugutekommt." Inzwischen arbeitet Krausz beispielsweise an medizinischen Anwendungen. Krausz' folgenreiche Arbeiten zur Attosekundenphysik wurden vielfach vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert, so erhielt er beispielsweise 2002 mit dem Wittgensteinpreis den wichtigsten heimischen Wissenschaftspreis. Einige der damals vom FWF geförderten Arbeiten finden sich nun auch auf der Zitationsliste für den Nobelpreis.

Auch bei Anne L'Huillier findet sich ein Österreichbezug: Seit 2021 ist sie korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Das ist der prestigeträchtigste Preis, und ich bin so glücklich, ihn zu bekommen", sagte sie in einer ersten Reaktion nach der Bekanntgabe. Sie erhielt den legendären Anruf aus Stockholm, während sie gerade eine Vorlesung hielt. Die zweite Hälfte der Vorlesung soll entsprechend schwieriger zu halten gewesen sein. "Wie Sie wissen, gibt es nicht so viele Frauen, die diesen Preis bekommen, also ist es etwas ganz Besonderes", sagt L'Huillier. Sie ist erst die fünfte Physiklaureatin in der Geschichte der Nobelpreise.

Fünf Frauen, 218 Männer

Inklusive der heutigen Verkündung wurden seit 1901 117 Physiknobelpreise an insgesamt 225 Laureaten und Laureatinnen vergeben, wobei Preisträgerinnen extrem selten waren. Nur fünf Frauen haben die Auszeichnung in Physik bisher erhalten: Marie Curie (1903), Maria Goeppert-Mayer (1963), Donna Strickland (2018) und Andrea Ghez (2020). Mit Anne L'Huillier gibt es heuer eine fünfte Physiklaureatin. Die Liste der Frauen, die trotz herausragender Leistungen in der Physik bei den Nobelpreisen leer ausgingen, ist dennoch deutlich länger. Dazu zählt etwa die österreichische Physikerin und Mitentdeckerin der Kernspaltung Lise Meitner, die 49-mal für einen Nobelpreis nominiert war, aber doch nie einen erhielt. Warum das so ist, war kürzlich Thema im STANDARD-Podcast "Rätsel der Wissenschaft":

Laureatinnen und Laureaten dürfen sich in diesem Jahr über eine Erhöhung beim Preisgeld freuen, die zumindest den Wertverlust der schwedischen Krone wettmacht. Die Summe pro Preis wird um eine Million schwedische Kronen auf elf Millionen Kronen angehoben, wie die Nobelstiftung im Vorfeld mitteilte. Das entspricht nach derzeitigem Umrechnungskurs knapp 925.000 Euro. Im Vergleich zum Euro und zum Dollar hat die Krone in den vergangenen Monaten immens an Wert verloren. Die zuletzt zehn Millionen Kronen hatten zum Zeitpunkt der Auszeichnungen vor einem Jahr etwa 920.000 Euro entsprochen, derzeit sind es nur noch etwa 840.000 Euro.

Am Montag wurde der Medizinnobelpreis Katalin Karikó und Drew Weissman für ihre grundlegenden Vorarbeiten zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen zugesprochen. Nach der Preiskategorie Physik am Dienstag folgt Chemie am Mittwoch, Literatur am Donnerstag und Frieden am Freitag. Am Montag kommender Woche wird dann noch der von der Schwedischen Nationalbank gestiftete Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften vergeben. (dare, trat, rkl, 3.10.2023)