Blondes Teenager-Mädchen trägt ein kurzes gelbes Top und hat eine lila Mappe unter dem Arm
Harnwegsinfektionen treten im Herbst häufiger auf. Das hat aber nichts mit knapper Mode zu tun. Es liegt schlicht daran, dass das Immunsystem in dieser Jahreszeit insgesamt tendenziell stärker gefordert ist.
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Die Worte der Eltern in Jugendtagen hallen bei vielen Frauen heute noch nach: "Du holst dir noch eine Blasenentzündung!" Vor allem wenn das gewählte Outfit die Bauch- und Beckenpartie nicht bedeckt, ist das wohl fast schon ein Standardkommentar. Die Hose sei zu tief geschnitten, das Top zu knapp und der Rock zu kurz, man würde sich schließlich um die Gesundheit der Trägerin sorgen. Ist diese Sorge berechtigt?

"Medizinisch kann man das klar mit Nein beantworten", sagt Florian Berndl von der Universitätsklinik für Urologie der Med-Uni Wien. Es gibt jedenfalls keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, in keiner Leitlinie ist knappe Bekleidung als Risikofaktor angegeben, und auch in der Praxis habe Berndl noch nichts dergleichen beobachtet. Eine skandinavische Studie hat 1992 zwar in einer kleinen Untersuchung gezeigt, dass kalte Füße Blasenentzündungen begünstigen können, das Sample war jedoch viel zu klein und wissenschaftlich daher nicht verwertbar.

Frauen häufiger betroffen

Die Gründe für das typische Brennen beim Harnlassen sind ganz andere. "Bei Frauen ist der eindeutige Risikofaktor Nummer eins der Geschlechtsverkehr", weiß Berndl. Das liegt daran, dass die allermeisten Harnwegsinfekte bakteriellen Ursprung haben. Im Zentrum stehen dabei meist die E. coli Bakterien, die aus dem Darm kommen. "Beim Sex können die Bakterien in den Harnwegstrakt eingeschleppt werden", erklärt der Experte.

Die Folge: Der Harndrang ist verstärkt, es zieht und brennt beim Toilettengang, und Betroffene haben ständig das Gefühl, aufs Klo zu müssen, obwohl die Blase leer ist. Die meisten Frauen kennen dieses unangenehme Gefühl gut. Zwischen 50 und 70 Prozent haben im Laufe ihres Lebens einen Harnwegsinfekt, für jede Vierte ist eine Blasenentzündung nichts Einmaliges.

Das sind deutlich höhere Zahlen als bei Männern. Das hat allerdings nichts mit bauchfreier Mode zu tun, sondern hat anatomische Gründe: Blaseneingang und After liegen bei Frauen näher beieinander, und die Harnröhre ist viel kürzer als beim Mann. "Die Keime müssen irgendwie in die Blase gelangen, das passiert durch die kürzere Harnröhre bei der Frau, vor allem bei einer jungen Frau, viel leichter", sagt Berndl. Mit der gewählten Kleidung hat es also nichts zu tun. Da gibt es nur eine Sache, die man falsch machen kann: Wenn man etwa feuchte Badekleidung nicht wechselt. Denn nasse Bekleidung im Intimbereich ist auf Dauer ein guter Nährboden für Bakterien.

Möglicherweise könnte auch die Wahl des Verhütungsmittels mit Blasenentzündungen zusammenhängen. "Die Studienlage ist sehr dünn, aber man sieht eine Häufung an Infekten bei Frauen, die mit Spermiziden oder Spirale verhüten", berichtet Berndl. Wie genau die Spirale mit Harnwegsinfekten zusammenhängt, weiß man nicht wirklich. Sie könnte etwa das Milieu im Vaginalbereich verändern, und das wiederum könnte eine Auswirkung auf das Mikrobiom haben. Auch übertriebene Hygiene im Intimbereich hat sich als nachteilig gezeigt, da sie negative Effekte auf die Vaginalflora hat. "Über das Mikrobiom wissen wir noch zu wenig. Es könnte der Schlüssel für die Therapie der Zukunft sein, aber bis dato haben wir es noch nicht gut genug entschlüsselt, um gezielt zu therapieren", erklärt er.

Und es gibt eine genetische Disposition: Wenn die Mutter viele Harnwegsinfekte hatte, neigen auch die Töchter eher dazu.

Immunsystem im Herbst angreifbarer

Trotz all dieser Erkenntnisse hält sich das Gerücht mit der zu knappen Bekleidung bei kühlen Temperaturen als Auslöser hartnäckig. Das scheint auch dadurch begründet, dass Harnwegsinfektionen im Herbst häufiger auftreten als sonst. Das liege aber schlicht daran, dass das Immunsystem in dieser Jahreszeit tendenziell von mehreren Seiten gefordert ist, weil auf so vielen Ebenen Infektionspotenzial besteht. Dann haben die Bakterien leichteres Spiel haben. "Und das ist der einzige Grund", sagt Berndl. "Der Körper kann sich dann nicht so gut gegen die Bakterien beziehungsweise gegen die überhandnehmenden Bakterien wehren."

Denn grundsätzlich sind die Bakterien immer da, allerdings in geringeren Mengen. Sie befinden sich auch im Harn – obwohl man lange Zeit davon ausging, dass der Harn steril sei. Heute weiß man, das stimmt nicht. "Die Bakterien sind immer da. Das ist auch gut und wichtig, aber wenn das Immunsystem nicht so gut arbeiten kann, nehmen sie überhand, und es entsteht eine Infektion", erklärt der Urologe. Harnwegsinfekte seien also nicht nur auf Bakterien von außen zurückzuführen, sondern auch auf solche, die ohnehin schon im Körper sind.

Viele Behandlungsansätze, schlechte Studienlage

Kommt es zu einer Infektion, sollte man die möglichst zeitnah behandeln. Denn breiten sich die Bakterien aus, droht eine Nierenbeckenentzündung, die äußert schmerzhaft verlaufen kann. In den meisten Fällen seien körperliche Schonung und symptomatische Schmerztherapie ausreichend für ein Ausheilen, sagt Berndl. Bei schweren Symptomen sollte man aber kurzfristig auch Antibiotika einnehmen. Das habe den Vorteil, dass der Infekt schneller abklingt. Das Allerwichtigste, betont Berndl, sie: "Viel trinken! Dann kann man die Bakterien über die Harnröhre ausspülen."

Genau aus diesem Grund – um eingedrungene Bakterien rasch wieder auszuscheiden – gehen viele Frauen direkt nach dem Geschlechtsverkehr auf die Toilette. Ob das tatsächlich was bringt, ist zwar wissenschaftlich noch nicht eindeutig erforscht, aber "das heißt nicht, dass es nicht funktioniert. Es gibt bisher nur keine Daten dazu. Viele Frauen berichten aber, dass es bei ihnen funktioniert."

Muss man eine Blasenentzündung medikamentös behandeln, gibt es mehrere Antibiotika zur Auswahl. Viele Frauen wollen darauf allerdings so lange wie möglich verzichten. Ärztinnen und Ärzte verschreiben deshalb auch oft pflanzliche Arzneimittel. Ein Beispiel ist Canephron, das sind Dragees auf Rosmarinbasis, sie sollen laut Studien ähnlich gut wirken wie Antibiotika. Ein anderes Beispiel ist D-Mannose, ein Zuckermolekül, das die Bakterien ummantelt und sie so neutralisiert. "Beide Therapieansätze sind noch nicht in den österreichischen Leitlinie zur Behandlung von Blasenentzündungen enthalten, aber das kann man durchaus probieren", findet Berndl.

Cranberrys wirken – theoretisch

Bei Produkten auf Cranberry-Basis kann man sich in der Forschung zwar grundsätzlich erklären, wie sie wirken – die Inhaltsstoffe von Cranberrys docken an den Verbindungsteilen der Bakterien an und verhindern dadurch, dass sich die Bakterien an der Blasenwand festsetzen können –, aber in Studien konnte der Vorteil von Cranberrys bei Harnwegsinfektionen noch nicht nachgewiesen werden.

Grundsätzlich sollte man bei wiederkehrenden Blasenentzündungen auf einen Therapieansatz mit Verhaltensänderungen, natürlichen Wirkstoffen und Immunprophylaxe setzen, weiß Berndl. Erst wenn das nicht hilft, sollte eine antibiotische Therapie verordnet werden.

Die Studienlage zu den vielen unterschiedlichen Ansätzen ist beim Thema Harnwegsinfekte laut Berndl "nicht besonders gut" – wie das so oft der Fall ist bei Themen, die hauptsächlich Frauen betreffen. Und das führe in weiterer Folge dazu, dass auch unter medizinischen Fachleuten viel Unwissen über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten herrscht und Frauen oft mit ihren Beschwerden alleingelassen oder falsch therapiert werden. (Magdalena Pötsch, 12.10.2023)