Musikverein
Khatia Buniatishvili begeisterte mit Beethoven-Sonaten und anschließendem Komponisten-Hopping.
IMAGO/Bernd Feil/M.i.S.

Eine neue, tonangebende Stimme ist ins Leben von Khatia Buniatishvili getreten: Die georgische Pianistin hat im Juni ihr erstes Kind zur Welt gebracht und ist sichtlich bemüht, ihre Prioritäten zu sortieren. Drei Auftritte in diesem Sommer hat sie der jungen Erdenbürgerin kurzerhand geopfert, den Oktober-Termin im Wiener Musikverein in letzter Sekunde gründlich umgemodelt: Raus mit Strawinskis Petruschka aus dem virtuosen Aufgebot, rein dafür mit einem Gutteil von Buniatishvilis Vorjahresprogramm – einem bunten Mix aus Chopin, Couperin, Bach und Liszt. Zugegeben: Dass diesem Komponisten-Hopping am Montag im Goldenen Saal eine erste Konzerthälfte mit ausschließlich Beethoven-Sonaten vorangestellt wurde, ergab keine stringente Dramaturgie. Aber lieber Äpfel, Birnen und die Faust aufs Aug’, als die herzerwärmende Buniatishvili gar nicht hören.

Merkwürdig, wie still das berüchtigte Energiebündel unter den Klavier-Stars die Sturm-Sonateop. 31/2 anlegt: Unter ihrem Zugriff mildern sich Beethovens elementargewaltige Ausbrüche zu mittelstarken Böen. Die Wahlpariserin setzt eher auf aquarellierte Klangbilder als auf Transparenz und dynamische Kanten, verleiht ihrer Wiedergabe aber durch Tempokontraste Leben. Berückend, wenn im Kopfsatz hie und da die Zeit einzufrieren scheint und weiträumige Akkorde wie Geheimnisträger wirken. Tückisch allerdings, wenn Buniatishvili – dann doch wieder Temperamentbündel – in der finalen Appassionata-Coda so stark aufs Gas steigt, dass sie ihr Eiltempo selbst nur mit Ach und Krach halten kann. Trotz magischer Momente: In diesem Beethoven-Block hätte sich einiges bedachter gestalten lassen.

Ein anrührendes Bild unmittelbar nach der Pause: Herbeigeklatscht von einem bereits wartenden Publikum, entschuldigt sich die heraneilende Jungmutter mit einer Geste aus ihrem neuen Leben (Wiegebewegung). Anrührend dann auch eine Konzerthälfte, in der sich immer wieder eine hingebungsvolle Zartheit aussingt – sei es in Francois Couperins Les Barricades mistérieuses, von Buniatishvili zu einer sublimen Flüsterpoesie geadelt, in einer lustvoll romantischen Wiedergabe von Bachs Präludium und Fuge a-Moll BWV 543 oder in Liszts Soufflé-zarter Consolation Nr. 3. Nach einer artistischen Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 als Zugabe noch Serge Gainsbourgs La Javanaise in einer Klavierfassung von Buniatishvili mit unverhofftem "Gesang": Wer in den vorderen Reihen saß, vernahm ganz eindeutig ein sehnsüchtiges Babygeschrei aus dem Backstage-Bereich. (irrge, 4.10.2023)