Pari – Ein Kind watet durch das kniehohe Wasser, sein Spielzeug hat es fest umklammert. Es soll nicht nass werden, und diese Gefahr ist groß im kleinen Pari. Gerade einmal vier Kilometer misst die Insel nahe der indonesischen Hauptstadt Jakarta, nur wenige Hundert Meter ist sie breit. Früher gab es großflächige Überschwemmungen nur einmal pro Jahrzehnt, durch den Klimawandel passiert dies immer öfter. Die Bewohner wollen ihr Schicksal nicht einfach hinnehmen, vor einem Jahr reichten sie Klage gegen den Schweizer Zementriesen Holcim ein.

Um große Geldsummen geht es bei der zivilrechtlichen Klage nicht. Die vier Klagenden fordern nur jeweils 3.600 Euro. Vielmehr geht es darum, ein Zeichen zu setzen. Eines für Klimagerechtigkeit, im Namen all jener, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind.

Zwei Menschen halten ein Schild, auf dem steht
Zwei der Kläger vor der Holcim-Fabrik im schweizerischen Waadt.
APA/AFP/FABRICE COFFRINI

Vier Jobs, ein Ziel

Die Kläger, das sind vier der rund 1.000 Bewohner der Insel. Ein Mechaniker, eine Ladenbesitzerin, ein Fischer und ein Gästehausbesitzer. Vier unterschiedliche Berufe, ein gemeinsames Ziel, das sie vereint: ihre Lebensgrundlage zu schützen. Denn das Geschäft auf der Insel dreht sich vor allem um den Tourismus und die Fischerei. Derzeit warten sie auf die Entscheidung zur Verfahrenshilfe, da sie den Prozess selbst nicht finanzieren können.

Der Beklagte: das Schweizer Zementunternehmen Holcim. Der Milliardenkonzern zählt zu den größten Treibhausgas-Emittenten der Welt, den sogenannten Carbon Majors. "Die Zementindustrie trägt acht Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Das größte Unternehmen ist Holcim", erklärt Parid Ridwanuddin von der Umweltorganisation WALHI (Friends of the Earth Indonesia), die die vier Kläger gemeinsam mit dem Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) sowie der Menschenrechtsorganisation ECCHR unterstützt.

Yvan Maillard-Ardenti, Berater für Klimagerechtigkeit bei HEKS, beziffert auf Basis einer Studie des Climate Accountability Institute die CO2-Emissionen des Konzerns auf 7,3 Milliarden Tonnen seit 1950. Der Entschluss, ausgerechnet Holcim zu klagen, wurde allerdings nicht nur deswegen gefasst. "Als entwicklungspolitisch tätiges Hilfswerk mit Sitz in der Schweiz und einer langjährigen Partnerschaft mit dem indonesischen Umweltnetzwerk Walhi haben wir entschieden, die Klage der Inselbewohnerinnen gegen den größten Schweizer CO2-Verursacher mitzutragen."

Klagen erlaubt

Das Schweizer Recht erlaube derartige Klagen nach dem Zivilgesetzbuch, konkret der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. In anderen Ländern wäre man mit einer derartigen Klage wohl abgeblitzt.

Wo es noch funktioniert hat: in den Niederlanden. Dort klagten Umweltorganisationen um Milieudefensie und Greenpeace Royal Dutch Shell, den sechstgrößten CO2-Emittenten der Welt. Das zuständige Bezirksgericht in Den Haag verurteilte den Öl- und Gaskonzern im Mai 2021 dazu, seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. Unumstritten war diese Rechtsprechung nicht.

Befürworter bezeichneten den Entscheid als revolutionär, kritische Stimmen beurteilten die Vorgaben als unzureichend fundiert und sahen Rechtsstaat und Rechtssicherheit multinationaler Konzerne in Gefahr. Rechtssicherheit könnte jedenfalls künftig das sogenannte EU-Lieferkettengesetz schaffen.

EU-Richtlinie bietet Chance

Darin sollen unternehmerische Sorgfaltspflichten verankert werden, die für große Konzerne gelten sollen. Derzeit wird die Richtlinie im Trilog zwischen Kommission, Parlament und Ministerrat verhandelt. Für Anna Leitner von Global 2000 eine Chance, neben menschen- und arbeitsrechtlichen MindestStandards auch Klimaziele zu verankern. "Wir müssen die freiwilligen Verpflichtungen durch zwingende ersetzen." Bislang fehlten zwingende Maßnahmen im größeren Kontext, was auch Klimaklagen erschwere. Eine derartige Verpflichtung ist allerdings nur im Entwurf des Parlaments vorgesehen, nicht aber in jenen der Verhandlungspartner.

Holcim selbst will das laufende Verfahren jedenfalls nicht kommentieren, betont aber, Klimaschutz habe "höchste Priorität". (dwo, 6.10.2023)