Musks Prozess gegen Twitter im vergangenen Jahr, als er versuchte, sich vom vereinbarten Kauf von Twitter zurückzuziehen, brachten interessante SMS-Nachrichten ans Licht. Insbesondere drei vom 4. April 2022, in denen der bis heute nicht bekannte Absender Musk anflehte, das mittlerweile in X umgetaufte Netzwerk zu übernehmen, als "Kriegserklärung an das globalistische amerikanische Imperium".

Vier Schritte wurden darin grob beschrieben, als Anleitung und Vorhersage für die Zeit nach der etwaigen Übernahme. Erstens: "Die Plattform für ihre Nutzer beschuldigen." Zweitens: "Eine koordinierte Kampagne". Drittens: "Exodus der Bluechecks". Viertens: "Deplatforming".

Diese Punkte, berichtet NBC, decken sich mit den Zwischentiteln des Artikels "Der Kampf des Jahrhunderts: Was passiert, wenn Elon Musk Twitter kauft", der Anfang April 2022 auf der Seite "Revolver News" veröffentlicht wurde. Ein Autor ist nicht aufgelistet. Betrieben wird der Rechts-außen-Blog aber von Darren Beattie, und es gibt gute Gründe zur Annahme, dass er auch der Verfasser des Textes und möglicherweise auch der SMS ist.

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DER STANDARD

"Kriegserklärung ans Regime"

In den Wochen nach der Publizierung des Artikels machte sich Beattie in mehreren öffentlichen Auftritten – darunter im "War Room" von Trumps ehemaligem Chefstrategen Steve Bannon und in der damals noch auf Fox News laufenden Show von Tucker Carlson – für den darin geschilderten Plan stark. "Ich hoffe, Elon wird es tun und dass er nicht nur irgendein reicher Typ ist, sondern jemand, der es anstrebt, ein großer Mann zu sein", sagte er dort am 12. April. Der Kauf von Twitter wäre "eine Kriegserklärung an das Regime".

Am 25. April schließlich verpflichtete Musk sich zur Übernahme. Und nachdem diese nach vielem Hin und Her in trockenen Tüchern war, erfüllten sich die Voraussagen aus "Revolver News" Schritt für Schritt.

X-Besitzer Elon Musk
Musk sieht insbesondere die Anti-Defamation League als seinen Feind und sieht sie verantwortlich dafür, dass zahlreiche Firmen keine oder deutlich weniger Werbung auf X (vormals Twitter) schalten.
AP/Michel Euler

Doch wer ist Darren Beattie? Mit Musk teilt er eine tiefe Abneigung gegenüber der Anti-Defamation League, einer jüdisch-amerikanischen Organisation, die sich gegen Antisemitismus und generell gegen Hassrede einsetzt. Ebenso ist er der Ansicht, dass Twitter vor der Übernahme umfassende Zensur ausgeübt habe. Beattie stellt sogar in den Raum, dass die von ihm insinuierte Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Netz einen Wahlsieg von Trump vor drei Jahren verhindert hätte. "Wäre das Internet 2020 so frei gewesen (wie 2016, Anm.), dann wäre Trump zur Wiederwahl gesegelt", heißt es auch einleitend im "Revolver News"-Artikel.

Auf der Seite finden sich auch allerlei Verschwörungstheorien. Propagiert wird etwa die völlig unbewiesene Erzählung, dass der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 eigentlich von unter die Demonstranten geschleusten FBI-Mitarbeitern zu verantworten sei, die die eigentlich friedlichen Teilnehmer dazu angestachelt hätten, gewaltsam in das Regierungsgebäude einzubrechen.

Schweigen

"Revolver News" betrieb Beattie auch weiter, während er unter Trump für das Weiße Haus tätig war. Dort verlor er 2018 seinen Posten als Redenschreiber, nachdem er auf einem Panel neben dem White Nationalist Peter Brimelow aufgetreten war. 2019 schrieb er Reden für den republikanischen Rechts-außen-Abgeordneten Matt Gaetz, 2020 steckte ihn das Weiße Haus in eine Kommission für die Erhaltung von Holocaust-Memorials im Ausland, was zu einem Aufschrei seitens der ADL führte. 2022 entließ ihn die Biden-Regierung von diesem Posten.

Ob er wisse, wer den Text verfasst oder die SMS versandt hatte, wollte Beattie nicht beantworten. "Ich glaube, ich kenne sie, aber ich kann dazu nicht mehr sagen", kommentierte er die Textbotschaften gegenüber NBC. Zum Artikel wollte er sich nicht äußern und empfahl dem Medium, sich mit der ADL zu beschäftigen.

Auch Musk und die neue X/Twitter-Chefin Linda Yaccarino gaben keine Auskunft. Musks Anwalt Alex Spiro wollten nicht verraten, ob Musk weiter wie angekündigt vorhabe, die ADL zu verklagen.

Selbsterfüllende Prophezeihungen

Schritt 1 im "Revolver News"-Text wurde zur selbsterfüllenden Prophezeihung. Bald nachdem der Twitter-Deal unter Dach und Fach war, schaltete Musk eine Reihe gesperrter Konten – darunter den Neonazi Andrew Anglin sowie Donald Trump – wieder frei. Das sorgte, wie vorausgesagt, für Kritik. Schritt 2 sagte "koordinierten Druck" seitens Aktivisten voraus, die auch in der Tat gegen diese und andere Entscheidungen mobil machten. Musk hatte auch die Teams, die sich mit Hassrede und Desinformation auseinandersetzen, personell zusammengestutzt.

Den "Exodus der Bluechecks", also des ursprünglichen Verifizierungsmechanismus, um die Authentizität bestimmter Nutzer zu gewährleisten, initiierte Musk direkt. Er schaffte den bisherigen Prüfprozess weitgehend ab und knüpfte den namensgebenden blauen Haken stattdessen an ein Bezahlabo. Diese niedrige Hürde sorgte unter anderem für das Aufkommen von "verifizierten" Fake Accounts, etwa im Namen von Unternehmen. Der vorausgesagte Backlash blieb nicht aus. Die ADL stellte ein erhöhtes Aufkommen von feindseligen Postings auf der Plattform fest. Außerdem begannen Werbekunden, X reihenweise den Rücken zu kehren.

Darren Beattie, ehemaliger Redenschreiber für Trump und Betreiber von "Revolver News".
Surprise/Gage Skidmore via Wikimedia Commons

In Schritt 4, "Deplatforming", mutmaßt der "Revolver"-Text, dass Twitter ein Schicksal drohen werde wie einst der Plattform Parler. Aufgrund ihrer Nutzung zur Koordinierung im Vorfeld des Kapitolsturms und zahlreicher Postings, die Gewalt und kriminelle Handlungen befürworteten oder der Desinformation dienten, war Parler von Apple und Google aus deren App-Stores entfernt worden. Es folgte ein massiver Nutzereinbruch.

Lieblingsfeind ADL

Auch die ADL kommt mehrfach im Text vor. Sie wird als "Gefahr" für Trumps Twitter-Ambitionen und eine von "mehreren mächtigen linken Gruppen" beschrieben, deren CEO sich die Plattform mit der Drohung, sie mit Nazis gleichzusetzen, gefügig gemacht hätte. Ein Narrativ, das Musk später wiederholte, als er kritische Berichte der ADL über zunehmende Hassrede auf Twitter für den starken Rückgang der Werbeeinnahmen verantwortlich machte und der Organisation vorwarf, Antisemitismus auf Twitter unfreiwillig zu verstärken. In weiterer Folge ließ er der ADL eine Klagsdrohung zustellen.

Auch abseits des Textes schien sich Musk an Beattie zu orientieren. Nachdem er im Oktober 2022 das Ruder bei Twitter übernommen hatte, regte Beattie bei einem weiteren Auftritt bei Steve Bannon an, er solle doch interne E-Mails des alten Managements offenlegen. Das geschah schließlich zum ersten Mal im Monat darauf unter dem Namen "Twitter Files". (red, 4.10.2023)