In dieser Illustration ist eine Frau mit einem Smartphone vor einem Amazon-Logo zu sehen.
"Project Nessie" soll zum Nachteil von Kundinnen und Kunden Marktpreise bestimmt haben.
REUTERS

Amazon steht wieder einmal im Rampenlicht. Genauer gesagt steht sein strategischer Algorithmus zur Preisfindung im Mittelpunkt, der unter dem Titel "Project Nessie" geführt wird. Die US-Handelsbehörde FTC hat die Angelegenheit im Kartellverfahren gegen den Internetriesen aufgegriffen und wirft ihm vor, dass der Einsatz nicht nur die Gewinnspannen Amazons erhöht, sondern auch Auswirkungen auf den gesamten Onlinehandel hat.

Im Kern geht es um Amazons Experimente mit Preisanpassungen. Die Prämisse des Unternehmens scheint dabei einfach: Preise anpassen und sehen, ob die Konkurrenz nachzieht. Dies ist keine ungewöhnliche Strategie im Einzelhandel, aber angesichts des beträchtlichen Marktanteils und Einflusses von Amazon sind die Auswirkungen weitaus größer. Wenn Amazon den Preis für ein Produkt erhöht und die Wettbewerber nachziehen, steigt der Gesamtmarktpreis für dieses Produkt. Ähnlich verhält es sich, wenn Amazon einen Preis als Reaktion auf das Angebot eines Konkurrenten senkt und diesen Preis auch nach dem Ende des Angebots beibehält, sodass sich andere Einzelhändler gezwungen sehen könnten, dasselbe zu tun.

Wenig überraschend beschönigt Amazon die Darstellung der Situation. Amazon hat in einer Erklärung darauf hingewiesen, dass die FTC die Arbeitsweise ihres Tools nicht richtig verstanden habe. Das Unternehmen erklärte, dass das "Projekt Nessie" ins Leben gerufen wurde, um zu vermeiden, dass die Preisvergleichsfunktion zu extrem niedrigen und nicht nachhaltigen Preisen führt. Dieses Projekt wurde für eine bestimmte Produktgruppe über mehrere Jahre hinweg getestet, hat jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht. Deshalb wurde es vor einiger Zeit eingestellt, so ein Unternehmenssprecher.

Hohe Marktdominanz

Die Argumentation der Handelsbehörde im Streit mit Amazon bezieht sich aber nicht nur auf den Algorithmus, sondern unter anderem auch auf Amazons Beziehungen zu Drittverkäufern. Diese Verkäufer, so die FTC, fühlten sich aufgrund der enormen Reichweite und der logistischen Überlegenheit von Amazon geradezu gezwungen, sich auf die Plattform des Unternehmens zu verlassen. Amazon verbietet zudem seinen Verkäufern, ihre Produkte anderswo zu einem niedrigeren Preis anzubieten. Das bedeutet, dass ein Verkäufer, der die Kosten für die Nutzung der Amazon-Plattform decken will, seine Produktpreise nicht nur auf Amazon, sondern auch anderswo erhöhen muss.

Für viele Verkäufer ist Amazon daher bekanntermaßen Segen und Fluch zugleich. Die riesige Nutzerbasis bietet einen unvergleichlichen Zugang zu Kunden, gleichzeitig besteht auch das Risiko, dass sich die Richtlinien der Plattform ständig ändern. Sobald Amazon einen Algorithmus optimiert oder seine Gebühren ändert, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Einnahmen der Verkäufer haben. Und nicht immer profitieren alle Beteiligten davon, wie es scheint. (red, 4.10.2023)

Update, 9.10.: Amazon hat dem STANDARD ein Statement zukommen lassen:

"The FTC’s allegations grossly mischaracterize this tool. Project Nessie was a project with a simple purpose—to try to stop our price matching from resulting in unusual outcomes where prices became so low that they were unsustainable. The project ran for a few years on a subset of products, but didn’t work as intended, so we scrapped it several years ago."