Kevin McCarthy an seinem letzten Arbeitstag als Speaker des US-Repräsentantenhauses.
Kevin McCarthy an seinem letzten Arbeitstag als Speaker des US-Repräsentantenhauses nach nur neun Monaten im Amt.
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Es dauerte keine Stunde, bis sich die ultrarechten Republikaner im Kongress vor ihrem großen Idol verneigten. "Ich schlage Donald Trump als neuen Sprecher des Repräsentantenhauses vor", postete der texanische Abgeordnete Troy Nehls am Dienstagabend auf der Plattform X, ehemals Twitter. Die Fantasie der Radikalen war beflügelt. "Donald J. Trump ist der einzige Kandidat für das Amt des Speakers, den ich gegenwärtig unterstütze", schwärmte auch die Parlamentarierin Marjorie Taylor Greene.

Abgesehen davon, dass der gehuldigte Ex-Präsident zu dieser Zeit gerade einen Gerichtssaal in Manhattan verlassen hatte, wo er sich wegen der betrügerischen Aufblähung seines Vermögens verantworten muss: Es gibt wohl niemanden, der ungeeigneter wäre, eine Fraktion zu führen und Mehrheiten zu schmieden, als Trump. Der 77-Jährige liest keine Akten, verachtet parlamentarische Prozesse, führt autokratisch nach dem "Hire and Fire"-Prinzip und hat einst den Mob angestachelt, das Kapitol zu verwüsten.

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Dieser Mann könnte der nächste Sprecher des Repräsentantenhauses werden? Noch sind die Vorstöße nicht mehr als das übliche Spektakel zynischer Politdarsteller, die den Kult um ihren Anführer aus persönlichem Karrierekalkül befeuern. Auch wenn die Verfassung theoretisch die Wahl eines Nicht-Kongressmitgliedes erlaubt, wirkt der Gedanke abwegig. Aber was heißt das schon in diesen Chaostagen im Kapitol?

Drohender Shutdown

Erstmals in 234 Jahren haben republikanische Hardliner den von ihrer Partei gestellten Sprecher des Repräsentantenhauses aus dem Amt gejagt. Nur neun Monate konnte sich Kevin McCarthy auf dem Posten halten. Nun herrscht Stillstand im Parlament. Ohne einen Speaker können dort keine Gesetze beschlossen werden. Die US-Legislative ist paralysiert – rund 40 Tage vor einem drohenden Shutdown und mitten im Ukraine-Krieg.

Wie es nun weitergeht, scheint niemand zu wissen. Schon gar nicht Donald Trump: "Sichert die Grenze!", forderte er in der Nacht auf seiner Propagandaplattform Truth Social. Dabei haben seine Anhänger mit dem Putsch gerade verhindert, dass geplante zusätzliche Mittel für die Grenzsicherung auf den Weg gebracht werden können. Dramatischer ist, dass das auch für die Ukraine-Hilfe gilt. Nichts geht ohne einen neuen Speaker, der das Repräsentantenhaus leitet und Vorlagen zur Abstimmung einbringt. Der kommissarische Sprecher Patrick McHenry hat die Abgeordneten für den kommenden Dienstag zur nächsten Sitzung eingeladen. Am Mittwoch, so der Plan, könnte über die Personalie abgestimmt werden. Dass es wirklich so kommt, ist aber fraglich. Bislang nämlich gibt es keine Kandidaten, die die Mehrheit auf sich vereinen könnten.

Ohne Unterstützung der oppositionellen Demokraten können sich die Konservativen nur vier Abweichler erlauben. Acht Hardliner unter Führung des halbseidenen Rechtspopulisten Matt Gaetz, der mit der Aktion auch Spenden für eine mögliche Gouverneurskandidatur in Florida generieren wollte, hatten McCarthy gestürzt. Offiziell werfen die Putschisten dem Ex-Speaker vor, dass er gemeinsam mit den Demokraten einen Übergangshaushalt ohne die von ihnen geforderten brutalen Sozialkürzungen beschlossen hatte. Tatsächlich dürfte es den meisten Aufständlern vor allem darum gehen, sich für ihre radikalisierte Basis als kompromisslose Kämpfer gegen den "Washingtoner Sumpf" zu inszenieren.

An dieser Gemengelage hat sich nichts geändert. Jeder neue Sprecher muss damit rechnen, innerhalb kürzester Zeit von den rechten Fundis zur Vertrauensfrage gezwungen und aus dem Amt gejagt zu werden. Attraktiv erscheint das kaum. Als mögliche Nachfolger werden nun unter anderem McCarthys früherer Stellvertreter Steve Scalise und der im Dauerattacken-Modus operierende Trump-Verbündete Jim Jordan genannt.

Gegen Ukraine-Hilfen

Doch bei den innerrepublikanischen Machtkämpfen steht viel mehr auf dem Spiel. Der Trumpisten-Flügel lehnt nämlich weitere Ukraine-Hilfen ab. Und es ist unklar, ob der neue Sprecher des Repräsentantenhauses den Willen und den Mut hat, sich wegen des Themas gleich mit der radikalen Minderheit in seinen Reihen anzulegen.

Eilig versuchte Biden am Dienstag in einer Schaltkonferenz, die Verbündeten zu beruhigen. "Die Zeit ist nicht auf unserer Seite", gestand allerdings John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats. Noch können bereits genehmigte Mittel abfließen. Aber in wenigen Monaten, gestand Kirby ein, dürfte das US-Geld verbraucht sein. (Karl Doemens aus Washington, 4.10.2023)