Jubelnde Fans Saudi-Arabiens mit Flaggen bei einem WM-Spiel 2022.
Saudi-Arabiens Fans dürfen sich schon auf eine Heim-WM freuen.
IMAGO/Moritz Müller

Hoffentlich hat Gianni Infantino Marco Rose nicht gehört. "Irgendwann spielen wir auf dem Mount Everest", witzelte der Leipzig-Trainer, und das könnte den Präsidenten des Fußball-Weltverbands Fifa noch auf Ideen bringen. Dessen neuester Streich ist die Vergabe der WM 2030: Anstatt es auf ein Duell des Gebots von Marokko, Portugal und Spanien mit den südamerikanischen Kandidaten Uruguay, Argentinien, Chile und Paraguay ankommen zu lassen, wird nun hauptsächlich auf der iberischen Halbinsel sowie in Marokko gekickt – dazu dürfen Argentinien, Paraguay und Uruguay je eine Partie austragen. In Uruguays Hauptstadt Montevideo fand immerhin 100 Jahre zuvor die erste WM statt.

Die Südamerikaner, die seit vielen Jahren auf "ihre" Centenario-WM hingeplant hatten, werden mit Brotkrumen abgespeist. Zu wenig Spiele, um wirklich relevant zu sein, aber genug, um alles zu verkomplizieren. Sechs der 48 Mannschaften werden vier oder fünf Stunden Zeitverschiebung zwischen ihrem ersten, winterlichen Auswärtsspiel in Südamerika und der zweiten Partie der Gruppenphase haben, während sich ihr Gegner entspannt in Europa vorbereiten kann. Immerhin fällt angesichts der dann 48 Teilnehmer kaum mehr ins Gewicht, dass sich so gleich sechs Mannschaften die Qualifikation sparen. "In einer gespaltenen Welt verbinden die Fifa und der Fußball", ließ Infantino verlauten. Der Fifa-Kongress soll die – dann alternativlosen – Pläne kommendes Jahr abnicken.

Blick in die Zukunft

Wer mit den Dynamiken im Weltfußball vertraut ist, weiß schon, worum es bei der Verschmelzung der Gebote für 2030 in Wahrheit geht: Bei Weltmeisterschaften gibt es ein Rotationsprinzip zwischen den Kontinentalverbänden. Nordamerika ist 2026 dran, 2030 werden Afrika, Europa und Südamerika in einem Aufwisch abgehakt. Sogleich lud die Fifa die asiatischen und ozeanischen Verbände ein, sich um die WM 2034 zu bemühen.

Auftritt Saudi-Arabien. Dass das Wüstenkönigreich auf eine WM spitzt, war längst kein Geheimnis mehr. Eine Bewerbung aus Australien ist nicht auszuschließen, wäre aber wohl verschwendete Liebesmüh'. Australien ist Mitglied des asiatischen Verbands AFC, dessen Chef Salman bin Ibrahim Al Khalifa aus dem bahrainischen Königshaus stammt, einem der engsten Verbündeten Saudi-Arabiens. Wenig überraschend stellte der AFC flott klar, sich geschlossen hinter die saudische Bewerbung zu stellen. Dass außerhalb Asiens mit fußballerischer "Entwicklungszusammenarbeit" genug Stimmen zu sammeln sind, hat Katar längst bewiesen. Mag sein, dass sich die Aussies die Teilnahme an der Scharade also gleich sparen.

Elegant gelöst von Infantino: Wenn nicht abgestimmt wird, ist der Skandal kleiner. Die jetzige Bekanntgabe wurde unangekündigt ein Jahr vorverlegt und kam gleich ohne Pressekonferenz aus, Rede und Antwort wollen die Strippenzieher nicht mehr stehen. Auch ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer, bei WM-Vergaben stimmberechtigt, wurde von der Vergabe überrascht. "Ich würde gerne die Beweggründe der Fifa im Detail erfahren", sagt er dem STANDARD. "Ich habe als Fußballverband eine soziale und gesellschaftspolitische Verantwortung und eine Vorbildfunktion im Bezug auf Aspekte wie Nachhaltigkeit und Fanfreundlichkeit. Da muss man das schon sehr kritisch beobachten und hinterfragen."

Wertekatalog?

Mitterdorfer erinnert daran, dass sich der ÖFB der UN-Initiative "Football for the Goals" angeschlossen hat, diese soll in ihren Einflussbereichen die 17 UN-Entwicklungsziele fördern. "Wenn ich mir das zu Herzen nehme, habe ich neben der Euphorie und Länderverbindung schon diese Verantwortung für diese Themen, die für die Menschen wichtig sind." Im Hinblick auf eine mögliche WM in Saudi-Arabien sagt der ÖFB-Präsident: "Grundsätzlich braucht es vorab einen Wertekatalog als entscheidendes Vergabekriterium. Da muss man sich vorher gemeinsam committen."

Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien gilt als noch verheerender als beim letzten WM-Ausrichter Katar, insbesondere vom Bausektor hörte man von im Land beschäftigten Personen Schauergeschichten. Saudi-Arabien hat bereits eine stärkere Infrastruktur als Katar zum Zeitpunkt der WM-Vergabe, wird aber trotzdem gewaltige Bauvorhaben starten. Ähnliche Vorkommnisse wie beim kleinen Nachbarn – tote Bauarbeiter sonder Zahl, noch mehr ausgebeutete migrantische Arbeitskräfte, nicht ausgezahlte Gehälter – sind zu befürchten. Selbstredend würde die WM im Winter stattfinden.

Aus Sicht des Weltverbands ist anzunehmen, dass nun noch mehr Geld aus dem Ölstaat in den Weltfußball fließt, was wiederum Infantinos Position stärkt. Bei der saudischen Königsfamilie, immerhin Infantinos wichtigster Verbündeter in den Bestrebungen, der Uefa und ihrer Champions League mit einer aufgemotzten Klub-WM den Rang abzulaufen, hat er nun einen ganz dicken Stein im Brett. Wie schon im Falle Katars wird die WM auch bei Saudi-Arabien das Kronjuwel im großen Sportswashing-Projekt – mit dem Unterschied, dass sich diesmal auch die lokale Bevölkerung für Fußball interessiert. Dass der größte Etappensieg auf dem Weg zur WM-Ausrichtung zwei Tage nach dem fünften Todestag des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi, der von Regierungsagenten im Konsulat in Istanbul ermordet wurde, passierte, ist nur eine traurige Randnotiz. (Martin Schauhuber, 5.10.2023)