Es ist neben fragwürdigen WM-Vergaben und Korruptionsermittlungen das traditionellste Ritual des Fußball-Weltverbands: Alle vier Jahre freut sich der Fifa-Präsident über die "beste WM aller Zeiten". Kritiker mögen da ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln bekommen, doch aus Gianni Infantinos Sicht stimmte es. Der Schweizer hat sich noch stärker als Anti-Europa-Präsident etabliert und seine Wiederwahl dank der stimmenstarken Blöcke aus Afrika und Asien längst gesichert.

Für das Organisationsduett Fifa/Katar war die WM ein Erfolg. Die Menschenrechtsverletzungen waren nur in Europa und Nordamerika Thema, und sogar hier gab es vielerorts TV-Rekordquoten. In Moralfragen wie bei LGBTQI-Rechten joggte der Westen halbherzig ins offene Messer. Gleichberechtigung hat global keine Mehrheit. Einen Eklat wollte kein Verband riskieren, nur die Deutschen wagten mit der Hand vor dem Mund eine Minimalgeste.

Für Katar war die WM ein außenpolitisches Projekt – und das ist gelungen.
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Ja, in Teilen Europas hat die WM Katar geschadet – aber die dortige Bevölkerungsmeinung kann dem Emir herzlich egal sein, solange sich Premierministerinnen und Bundeskanzler brav um Flüssiggas anstellen. Die Ermittlungen im Korruptionsskandal des EU-Parlaments sind da schon kritischer.

Außenpolitisches Projekt

Dass Katars Nationalmannschaft der wohl schwächste WM-Teilnehmer dieses Jahrtausends war – geschenkt. Die WM war ein außenpolitisches Projekt des Emirats, und das ist gelungen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman wurde schon beim Eröffnungsspiel vorstellig, Abu Dhabis starker Mann Mohammed bin Zayed nannte Katars WM bei seinem Besuch Anfang Dezember einen "Erfolg und eine Ehre für alle Golfstaaten". Die Machthaber jener Staaten, die Katar 2017 mit einer Blockade in die Schranken weisen wollten, machten dem großen Gastgeber die Aufwartung.

Marokkos Erfolg kam wie gerufen, die ganze arabische Welt schien sich auf das Sensationsteam zu einigen. Da wurde plötzlich sogar das sonst geringgeschätzte Darija-Arabisch gefeiert. Motto: Hauptsache, einer von uns reüssiert. Dass Marokko nicht nur arabisch ist und in Nordafrika aufgrund der Amazigh-Herkunft vieler Spieler durchaus komplexe Identitätsfragen hochkochten, war für die PR-Maschinerie egal; Katars Emir ließ sich freudig mit Marokko-Flagge fotografieren. Nein, auch vier Wochen Bussi-Bussi-Fußball werden die tiefe konfessionell-politische Spaltung der muslimischen Welt nicht reparieren, aber die Außenwirkung als Intendant des arabischen Triumphs wird Katar nicht schaden.

Auch außerhalb der Region hat Katar etwas für sein Image getan. Viele Fans waren begeistert von der Freundlichkeit der Menschen. Das war auch 2018 so – und 2014 und 2010 und, und, und. Breaking News: Menschen sind generell nett, vielleicht noch ein bisschen netter, wenn ihr Land im Schaufenster steht. Einige Details wirkten freilich sehr gekünstelt, etwa wenn eine Frau und ihre Kinder an der Strandpromenade von Al Wakrah Süßigkeiten und Sonnenbrillen verteilten – der aufgedruckte QR-Code führte zu einer Regierungswebsite samt E-Book "Islam verstehen". Aber genug Fans, die zwei Wochen privilegierter Pseudorealität genossen haben, werden zu Hause schwärmen. Katars Investitionen haben sich gelohnt, womit wir wieder am Anfang wären: bei fragwürdigen WM-Vergaben und Korruptionsvorwürfen. (Martin Schauhuber, 18.12.2022)