Gestern wurde die deutsche Politologin Ulrike Guérot mit dem "Goldenen Brett vor dem Kopf" ausgezeichnet. Das ist der Schmähpreis der Wissenschaftscommunity, der für die Verbreitung wissenschaftlichen Unfugs vergeben wird. Und bei tatsächlichen oder gefühlten Unfreundlichkeiten kann die Psychosomatik der Politologin verrücktspielen. Vor kurzem beklagte Guérot im Youtube-Kanal "Führich-Talks", dass sie ein Jahr zuvor nach einer Diskussion im ZDF bei Markus Lanz ob männlicher Dominanz "mit Scheidenherpes" aus dem Studio gegangen sei. In dem Talk ging es um den Krieg in der Ukraine – und was Guérot nicht wissen kann: Unzähligen Medienkonsumenten rollt es die Zehennägel schmerzhaft auf, wenn sie sich über den Krieg in der Ukraine äußert. Und keiner davon darf im Studio bei der "charmanten und erfolgreichen Unternehmerin Führich" vom diesem Ungemach berichten.

Guérot ist davon überzeugt, dass der Krieg in der Ukraine lange vorbereitet wurde – allerdings nicht von Putin, sondern vom Westen. In Ihrem aktuellen Buch "Endspiel Europa" verbreitet Guérot exakt jenen Spin, der der neuen Rechten, den Europahassern, den Ukrainefeinden und den Putinverehrern hierzulande runtergeht wie Öl: Die Ukraine führe stellvertretend für den Westen einen Krieg gegen Russland.

Ganser kennt keine Berührungsängste

Daniele Ganser wurde gestern mit dem "Goldenen Brett" für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der Schweizer saß vor neun Jahren mit Karl Heinz Hoffmann an einem Tisch, dem Begründer der faschistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann", und mit Jürgen Elsässer, einem deutschen Rechtsextremisten mit Wurzeln im antiimperialistischen Linksextremismus. Heute gibt Elsässer das Magazin "Compact" heraus – ein rechtsextremes Kampfblatt mit viel Verständnis für Verschwörungsplaudereien, die AfD und die neue Rechte und für Putin.

Daniele Ganser
Daniele Ganser wurde gestern mit dem "Goldenen Brett" für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
IMAGO/Panama Pictures/Christoph Hardt

Wir wollen Ganser aus diesem bizarren Dreierziegel keinen Strick drehen. Ganser saß mit Hoffmann und Elsässer nur in seiner Rolle als "Friedensforscher" am Tisch, um die Verstrickung von Nato und deren Geheimarmeen in diverse False-Flag-Operationen unter die Lupe zu nehmen. Die ortet Ganser vielerorts, beim Anschlag vom 9. September, beim islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und vor allem bei der Revolution gegen das Janukowytsch-Regime in Kiew im Jahr 2014. Jo Biden und Barack Obama hätten in der Ukraine "den Putsch gemacht", betont Ganser in seinen Vorträgen. Hört man Ganser zu, hat man den Eindruck, seinem Auditorium Putin nicht madig machen zu wollen. Aber er ist gerissen genug, seinem Publikum auch demokratische Politiker wie Olaf Scholz, Wolodymyr Selenskyj und Bill Clinton als ebensolche Halunken zu servieren. Despotie und Demokratie auf Augenhöhe, das propagiert Ganser.

Bitterer Werdegang

Akademisch mussten sowohl Ganser als auch Guérot schwere Rückschläge in ihrer akademischen Karriere hinnehmen. Ganser blitzte mit seiner Habilitation ab. 2017 verlor er den letzten Lehrauftrag an einer Schweizer Uni. Sogar sein Doktorvater distanzierte sich von ihm. Guérot verlor ob Plagiatsvorwürfen ihre Professur an der Universität Bonn, das Verfahren läuft aber noch. Ernst zu nehmende wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Osteuropa oder der Ukraine gibt es von keinem der beiden.

Ulrike Guérot
Ulrike Guérot ist die zweite diesjährige Preisträgerin.
imago images/teutopress

Der Werdegang der beiden ist bitter. Gansers früherer Fokus auf finstere Machenschaften militärischer Blöcke hatte Berechtigung. Das wurde auch in der gestrigen Laudatio erwähnt. Guérot hat sich vor zehn Jahren gemeinsam mit dem Schriftsteller Robert Menasse für eine europäische Republik ohne Nationalstaaten starkgemacht. Ganser füllt mittlerweile Säle, die größer sind als das Audimax jeder Universität, und anstelle lästiger Studenten, die alles hinterfragen, sitzen im Saal Leute, die 40 Euro für einen Vortrag ausgeben, um das zu hören, was sie hören wollen.

Ganser und Guérot bedienen ein Soziotop

Nennen wir doch die Dinge beim Namen. Ganser und Guérot bedienen ein Soziotop, das wie der Phönix aus der Asche der Corona-Krise und des russischen Überfalls auf die Ukraine stieg und seitdem durch die Straßen und die sozialen Medien pöbelt. Es ist ein Milieu, das sinnvolle Maßnahmen gegen eine Pandemie ablehnt, Impfungen verteufelt, hinter allem eine clandestine und sinistre Elite vermutet und den Westen, die Nato, die WHO und die EU verachtet, die Mainstreammedien und vor allem den ORF, weil Armin Wolf immer so gemein fragt und weil Ganser und Guérot dort nicht stundenlang referieren dürfen. In den "alternativen Medien", die von rechtsextremen Influencern geschaffen wurden, dürfen sie das übrigens. Dort stellt keiner kritische Zwischenfragen.

Es ist ein Soziotop, das von der Komplexität der Gegenwart überfordert ist und sich nach der erlösenden Simplizität sehnt, die "ein starker Mann" verspricht. Diese Rolle erfüllt Putin metaphorisch. Und deswegen nehmen Ganser und Guérot ihn mehr oder weniger offensiv aus der Schusslinie. Als Watschenmann präsentieren Ganser und Guérot just jenen bösen Westen, der ihnen die Freiheit gewährt, auch unappetitlichen Unsinn zu erzählen.

Antisemitische Anspielungen gehören dazu

Nachdem Städte wie Nürnberg, Dortmund, Innsbruck und Steyr Auftritte Gansers in kommunalen Hallen unterbunden hatten, verglich sich Ganser ungeniert mit der vom NS hingerichteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl: "Auch wenn du die Wahrheit auf deiner Seite hast, kann es sein, dass du getötet wirst." Ganser kennt sein Publikum und die Chiffren, auf die es anspringt. In der Impfgegnerschmonzette "Pandemned" thematisiert Ganser den Holocaust eher salopp. Früher gab es in Europa lokal den Kampf zwischen Katholiken und Protestanten, oder im Dritten Reich: Juden und Nazis. Das wäre aber alles "lokal" gewesen. Eber erst jetzt, in der Pandemie, gebe es "den Wahnsinn weltweit zwischen Ungeimpft und Geimpft".

Guérot gegen "Funktionseliten"

Etwas unbeholfener als der smarte Herr Ganser stolperte Guérot durch die Events der Maßnahmengegner. Bei einer eher schütter besuchten Demo in Berlin unter dem Namen "Friedlich zusammen" macht Guérot Stimmung gegen "Funktionseliten" und präsentiert abenteuerliche Zahlen: Das Verhältnis von "mit und an Corona Verstorbenen" und Impffolgen betrage etwa eins zu eins. Bei der Veranstaltung tritt auch ein Redner auf, der bei einer "Krise nach der anderen" immer dieselben Akteure ortet und der mit dem "Obskurantismus einer Elite zu tun habe, die nach totaler Macht dürstet".

Esoteriker und Rechte schwören auf Putin

Wer auch immer mit düsterer Macht gemeint ist, der russische Machthaber Putin ist es in den Augen Gansers und Guérots wohl nicht. Das rechtsextreme Magazin "Info-Direkt" titelt im Jahr 2015 bei seiner ersten Ausgabe: "Wir wollen einen wie Putin!" Das Cover zeigte ein Porträt Putins in James-Bond-Pose. "Info-Direkt" ist ein Magazin an der Schnittmenge von Identitären und dem rechten Flügel der FPÖ. Der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner gilt dort schnell einmal als FPÖ-Linksabweichler. Das ist das Milieu von Ganser und Guérot.

Das "Goldene Brett" hat schon lustigere Preisverleihungen erlebt. Der eine oder andere Homöopath wurde auf die Schaufel genommen, die Wasserbeleber aus Tirol, der Plauderdoktor Rüdiger Dahlke, zuletzt der Schutzringmonteur Christoph Fasching im Jahr 2019. Die Preise waren unpolitisch, solange man ausklammern konnte, dass es kaum etwas Politischeres als die Dummheit gibt.

Die Preisträger Guérot und Ganser drehen den Spieß um. Der Preis für die beiden zeigt, wer Diskurs und Demokratie attackiert: der völkisch-esoterische Komplex. (Christian Kreil, 6.10.2023)