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Voll unkühl? Manche fürchten den Sprachzerfall, andere sehen in Anglizismen eine normale Entwicklung.
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In den USA ist ein Sprachphänomen zu beobachten, das in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Wer etwas auf sich hält, lässt gerne chinesische Ausdrücke einfließen. Obwohl fast niemand wirklich Mandarin beherrscht, greifen viele zu irgendwelchen mehr oder weniger korrekten Bruchstücken aus der fremden Sprache. Natürlich ist das nur ein Gedankenspiel, in Wirklichkeit gibt es dieses Phänomen nicht – zumindest nicht in den USA.

In den deutschsprachigen Ländern herrscht dagegen eine fast grenzenlose Bereitschaft, englische Floskeln unübersetzt in die eigene Sprache zu übernehmen. "Wer Prestige demonstrieren will, nimmt eher das Englische, das für viele mehr wert zu sein scheint", sagt Helga Kotthoff, Professorin für Germanistische Linguistik an der Universität Freiburg. Wenn selbst gängige Fremdwörter nach dem Motto "Ich hab heute einfach keine Energy!", anglisiert werden, habe das "fast schon Komik", findet sie.

Marketingsprech

Dass sich das neue Wiener Museum über den Walzerkönig House of Strauss nennt, könnte ja theoretisch eine Erleichterung für sprachlich hilflose internationale Besucher sein. Aber warum wirbt die Stadt Salzburg auch auf ihrer deutschsprachigen Tourismus-Internetseite für fotogene Routen um die Stadt unter dem Schlagwort Instagrammable Salzburg? Weshalb müssen alle einen Railjet nehmen, beim Autofahren auf Section Controls achten, und warum bieten die ÖBB zur Wahl des Verkehrsmittels eine App namens Shared Mobility an?

Okay, in manchen Fällen gibt es keine deutschen Entsprechungen, oder sie klingen voll unkühl. Deshalb würzen wir mit Oregano statt mit Dost, verwenden Rucola statt Rauke, und ein Crumble schmeckt uns viel besser als ein Streuselkuchen. Wer früher eine schäbige Kommode mit abblätterndem Lack an die Straße stellen musste, kann jetzt ein Unikat als Vintage mit Shabby Chic zum Kauf anbieten.

Fragwürdiger Sprachpatriotismus

Abseits einer breiteren Öffentlichkeit dient der englisch-deutsche Mischmasch im Slang von Werbebranche, Management und Finanzwelt seit Jahrzehnten dazu, Professionalität und Weltläufigkeit zu demonstrieren. Als Tiefpunkt dieser Sprache kann ein Interview des FAZ-Magazins mit der Modemacherin Jil Sander gelten, in dem sie sich 1996 unter anderem so äußerte: "Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. (…) Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander."

Mit diesen Formulierungen qualifizierte sich Sander für den 1997 erstmals vergebenen Negativpreis des damals neugegründeten Vereins Deutsche Sprache (VDS), der Anglizismen als gravierendes Problem betrachtet. In Aufsätzen aus dem Umfeld der etablierten, fachwissenschaftlichen Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS), in der die Mehrheit der deutschen Sprachwissenschafter vertreten ist, wird dagegen gern mit demonstrativer Gelassenheit auf das Phänomen reagiert.

Wer sich über die leichtfertige Verwendung teils schwer verständlicher englischer Ausdrücke beklagt, wird allgemein schnell in eine nationalistisch-altertümelnde Schublade gesteckt wie vor einiger Zeit in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung, dessen Autor heutige Anglizismuskritiker in eine Reihe stellte mit jenen Sprachpatrioten, die schon im 17. Jahrhundert Fremdwörter durch Neuprägungen ersetzen wollten, etwa die Pistole durch den "Meuchelpuffer".

Erleichterte Kommunikation

Als internationale Sprache der Wissenschaft sorgt das Englische für eine Erleichterung der Kommunikation. Werden Fachausdrücke aber umstandslos und unübersetzt in die Allgemeinsprache übernommen, wie das bei vielen Corona-Vokabeln der Fall war, kann das die Information der Normalbevölkerung erschweren.

In Frankreich, wo es einen selbstbewussteren Umgang mit Fremdwörtern gibt und eher marche nordique als Nordic Walking praktiziert wird, gab es auch bei Covid eigene, oder wenigstens französierte Ausdrücke wie confinement statt Lockdown oder distanciation sociale. Im "Deutschen" blieb es einfach bei Home-Schooling und Click and Collect. "Wir hätten das Vokabular dazu, aber oft bemüht man sich gar nicht mehr, neue Begriffe zu finden", sagt Helga Kotthoff.

Die häufige Rede vom "Lockern des Lockdowns" zeigt, dass der merkwürdige Sprachmischmasch vielen gar nicht mehr aufzufallen scheint. Ein englischer Begriff schaffe auch Distanz zu einem Phänomen, weil ihm die emotionalen Nebenbedeutungen muttersprachlicher Ausdrücke fehlten, betont Kotthoff und nennt das Beispiel einer Radiodiskussion, bei der die anwesenden Experten ständig von Littering redeten, während die betroffenen Anrufer das Thema als Vermüllung ansprachen.

Schichtensprache

Auch in der Vergangenheit gab es starke Einflüsse anderer Sprachen auf das Deutsche. Wie bei den italienischen Ausdrücken im kaufmännischen Bereich (Giro, Porto) und in der Musik (fortissimo) blieben diese Fremdwörter aber immer auf einzelne Gruppen und Themenfelder begrenzt, wie der Wissenschaftsjournalist Dieter E. Zimmer schon vor 25 Jahren betonte: "Auch das fremdwortreichste Deutsch, das je gesprochen wurde, das französierende Deutsch der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, blieb eine Schichtensprache, die des Adels und der bürgerlichen Oberschicht."

Heute wird jeder und jede bei der Auswahl eines Telefontarifs oder dem Kauf einer Bahnkarte mit mehr oder weniger verständlichen englischen Schlagwörtern konfrontiert. "Teile der Bevölkerung kommen bei dieser anglizismendurchsetzten Sprache nicht mehr mit", klagt Helga Kotthoff. In jedem Discounter-Prospekt finden sich pseudoenglische Produktbezeichnungen. Es gibt Bars und Nuggets von irgendwas, und Waschmittel sind auch in Form von Discs, Pods oder Tabs zu haben. "Wenn solche "denglischen" Ausdrücke gehäuft vorkommen, schmunzele ich ein bisschen", sagt die US-amerikanische Sprachwissenschafterin Kate Stollmann, die an der Universität Bremen unterrichtet.

Fehlende Reflexion

Als Stollmann vor einundzwanzig Jahren nach Deutschland kam, war sie etwas irritiert von dem, was Deutsche für Englisch halten. "Ich hab Handy dann irgendwann einfach als deutsches Wort akzeptiert", sagt sie. Auch die relaxteren Sprachwissenschafter verweisen bei Mischwörtern oder Vokabeln wie Showmaster oder Handy, die im Englischen ganz andere Bedeutungen haben, darauf, dass solche Ausdrücke inzwischen zur deutschen Sprache gehörten. Dass sogar der Coach zu einem Lehnwort geworden ist, merken wir spätestens, wenn von Coachinnen die Rede ist.

Kate Stollmann hält es für eine "natürliche Entwicklung unserer Zeit", dass sich die Internationalisierung der Welt auch in der Sprache niederschlägt. Ihr fehle nur an vielen Stellen die Reflexion. "Es könnte sein, dass durch englische Ausdrücke im Bereich der Werbung viel mehr Menschen ausgeschlossen werden, als behauptet wird", sagt Stollmann und plädiert für "Barrierefreiheit in der Sprache". Daran mangelt es etwa bei Slogans, die nur funktionieren, wenn das englische Wortspiel dahinter verstanden wird.

Und auch für eine Leserin, die kein Problem mit den fremdsprachigen Vokabeln hat, kann die Manie, alles zusätzlich auf Englisch zu benennen, lästig werden. Wer sich im Netz über eine Anrichte informieren will, sucht besser auch nach Sideboard und Highboard. Recherchiert der Buchhändler nach einem Ratgeber, könnte es auch ein Guide oder Tutorial sein, Tipp-Sammlungen firmieren mitunter als Life-Hacks. Wenn es ums Gärtnern geht, sollte er das Stichwort Gardening nicht vergessen. Die "ing"-Form klingt gleich viel moderner und wird deshalb wie beim Schluchting auch hemmungslos an deutsche Wörter geklebt.

Globalesisch

Natürlich wirkt auch im Sport alles dynamischer, wenn es Englisch klingt. Der Ausdauerlauf auf den fast 3000 Meter hohen Hochkönig kann daher nur ein Trailrunning mit Price Money um den Titel des "Hochkönigman" sein. Wer einen Weitwanderweg bevorzugt, könnte sich den Styrian Iron Trail anschauen, dem nicht mehr so einfach anzumerken ist, dass er in der Steiermark verläuft. Jede Landessprache sei auch an der Atmosphäre beteiligt, betont Helga Kotthoff.

Einheimische Spezialitäten – wie den Black Forest Cake in manchen süddeutschen Bäckereien – nicht unter ihrer berühmten muttersprachlichen Bezeichnung anzubieten sei in Frankreich oder Italien undenkbar. "Dieses Globalesisch schafft überall eine Art von ewig gleicher Flughafenatmosphäre", konstatiert Kotthoff, die nicht überzeugt ist, dass die Selbstheilungskräfte des Deutschen schon dafür sorgen werden, dass die Sprache keinen größeren Schaden nimmt.

In der Vergangenheit wurden faszinierende Wortimporte oft integriert, abgestoßen – oder überzeugend ersetzt. Dieselben Sprachpuristen um den Dichter Philipp Zesen, die seit den 1640er-Jahren mit vielen grotesken Verdeutschungsvorschlägen grandios scheiterten, prägten erfolgreich Neubildungen wie "Bücherei" für Bibliothek oder "Briefwechsel" für Korrespondenz. Seither sagen wir "Tagebuch" oder "Versicherung" und nicht Journal und Assekuranz wie im 17. Jahrhundert. Das gilt auch für "Lebenslauf" statt Curriculum Vitae – zumindest, wenn keine Bewerbung in englischer Sprache erwartet wird. In der Popmusik traute sich Udo Lindenberg schon vor einem halben Jahrhundert, selbstbewusst auf Deutsch zu singen. In der Alltagssprache scheinen die muttersprachlichen Minderwertigkeitskomplexe eher wieder zuzunehmen – so langsam wäre es mal wieder originell, neue Phänomene kreativ auf Deutsch zu benennen: Das wär wirklich eine Challenge! (Christoph Weymann, 8.10.2023)