Der Hunger nach Rohstoffen nimmt so stark zu, dass die Suche danach in einen Lebensraum verfrachtet werden soll, der von uns Menschen bisher weitgehend verschont geblieben ist: die Tiefsee.

Es sind schwarze, kartoffelgroße Manganknollen, die zuhauf am Meeresboden liegen und die Versorgung mit seltenen Metallen grundlegend verändern könnten. Geerntet werden diese Knollen in einer Gegend des Planeten, die weniger erforscht ist als der Mond. Tiefseebergbau ist mit vielen offenen Fragen, Risiken und Problemstellungen verbunden. DER STANDARD hat sich die wichtigsten angesehen.

Eine schwarz-goldene Kugel liegt auf einem Tisch. Sie enthält wertvolle Metalle
Um diese umstrittenen Knollen geht es. Sie könnten begehrte Rohstoffe liefern. Doch Umweltbedenken kollidieren mit dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit bei der Versorgung mit Metallen wie Kobalt, Nickel oder Kupfer.
REUTERS

Ökonomisch umstritten

Damit die Energiewende einigermaßen realistisch umgesetzt werden kann, braucht es Metalle wie Kobalt, Nickel oder Kupfer. Ohne sie läuft kein Smartphone und fährt kein E-Auto. Auch für Batterien, Solarzellen, Windräder und mittlerweile auch wieder Rüstung, sind die Rohstoffe begehrt. Manganknollen enthalten diese Metalle üblicherweise, manchmal auch noch seltene Erden.

Weil es um ein potenzielles Milliardengeschäft geht, hat sich das geopolitische Gezerre um die Knollen deutlich verschärft. Die Lage ist kompliziert. Umweltbedenken kollidieren mit dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit von Staaten wie China oder Russland bei der Versorgung mit seltenen Metallen. Zudem hoffen Entwicklungsländer auf eine dringend benötigte Einnahmequelle.

Umweltfreundlich - den Umständen entsprechend

Dass die Manganknollenernte funktioniert, hat das kanadische Unternehmen The Metals Company vor einem Jahr unter Beweis gestellt. Zwar gibt es bereits mehrere Firmen, die Interesse am Tiefseebergbau haben, der Name der Kanadier fällt in dem Zusammenhang aber am öftesten. Sie behaupten, den Abbau den Umständen entsprechend umweltfreundlich zu gestalten. Kämen die Rohstoffe nicht vom Meeresboden, würden sie woanders abgebaut mit vielleicht noch dramatischeren Folgen, heißt es beim Unternehmen. Als Beispiel wird der Nickelbergbau in Indonesien angeführt, wo riesige Urwaldflächen zerstört werden und die CO2-Emissionen massiv zunehmen.

In der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik wird der Abbau von Manganknollen geprobt.

Doch die Umweltbedenken wiegen schwer – Konzerne wie Google, VW und Microsoft, die grundsätzlich großes Interesse an solchen Metallen haben, haben angekündigt, auf Rohstoffe aus Tiefseebergbau zu verzichten, solange die ökologischen Auswirkungen nicht geklärt sind. Eine weitere Frage stellt sich, nämlich jene nach der Rentabilität. Aktuell ist Tiefseebergbau extrem teuer, und auch technische Methoden, um im großen Stil aus Tiefsee-Erzen verwertbare Rohstoffe zu machen, fehlen noch.

Ökologisch umstritten

Am Meeresboden lagern in einer Tiefe von 2000 bis 6000 Metern die begehrten Manganknollen. Da das Leben in der Tiefsee aufgrund der kargen Bedingungen in Zeitlupe passiert, dauert auch die Entstehung dieser potenziellen Rohstofflieferanten enorm lange. Die Knollen sind Millionen Jahre alt, als hartes Substrat am schlammigen Boden bilden sie den einzigen Untergrund für das Wachstum von Schwämmen und Korallen.

Ein Laternenfisch schwimmt am Meeresboden und beleuchtet die Umgebung.
Lediglich drei Prozent des Meeresbodens sind erforscht, von der Wassersäule darüber ist noch weniger bekannt. Einen Hinweis auf die Vielfalt marinier Spezies gibt die Bestandserhebung Census of Marine Life: Von 2000 bis 2010 wurden dabei 122.000 neue Tierarten beschrieben.
AFP/ National Oceanography Centr

Die Extraktion der Knollen zerstört den größten Teil der Fauna im direkten Umfeld des Abbaus. Die Regeneration dieses einzigartigen Ökosystems kann bis zu hunderttausend Jahre dauern. Viele in der Tiefsee ablaufende Prozesse sind bis heute nicht verstanden, weshalb sich die Folgen des submarinen Bergbaus kaum abschätzen lassen. Fest steht, dass dessen Auswirkungen nicht lokal begrenzt sind. Manche Studien schätzen, dass der Abbau ein Gebiet von der zwei- bis fünffachen Größe der eigentlichen Abbaufläche beeinträchtigt.

Mähdrescher am Meeresboden

Der Abbau findet mithilfe von Sammelsystemen statt, die Mähdreschern ähneln. Beim Sammeln der Knollen wirbeln sie den Meeresboden auf, was für die feinporigen Filterorgane der Korallen und Schwämme problematisch ist. Legt sich auf ihnen Sediment ab, verhungern die Organismen. Auch beim Transport der Knollen an die Oberfläche gelangt Sediment ins Wasser. Auf den Schiffen selbst werden die Manganknollen nochmals von Sediment gereinigt, das in den Ozean gespült wird. So wabern Partikelwolken durch verschiedene Meerestiefen.

"In der Wassersäule gibt es viele grazile, fragile Lebewesen, die in solchen Schlammwolken absterben werden", fürchtet Gerhard Herndl von der Uni Wien. Mit gegenwärtigen Methoden sei kaum Schadensbegrenzung möglich, sagt der Meeresbiologe zum STANDARD. "Was man tun kann, ist, die Regionen des Abbaus lokal zu begrenzen."

Politisch umstritten

Das Tauziehen um die begehrten Ressourcen spielt sich politisch auf zwei Ebenen ab. Lagern Manganknollen in nationalen Gewässern, obliegt die Entscheidung um ihren Abbau der jeweiligen Landesregierung. In internationalen Gewässern – also über 200 nautische Meilen von der Küste entfernt – liegt die Zuständigkeit bei der Internationalen Seebodenbehörde (ISA). 167 Staaten, darunter auch Österreich, sind in diesem UN-Gremium vertreten, das derzeit die Gesetzgebung und Regularien für den Tiefseebergbau verhandelt.

Zwei Aktivisten sitzen in Kanus und protestieren mit einem Schild gegen Tiefseebergbau
Politisch ist das Thema des Tiefseebergbaus schwer umstritten. Umweltschutzorganisationen schlagen naturgemäß Alarm.
REUTERS

Die Dimension dieser Verhandlungen fasst Sabine Gollner, Mitglied der niederländischen Delegation der ISA, für den STANDARD zusammen: "Es geht um riesige Gebiete und immense Zeitskalen, wenn in ein Jahrmillionen altes Ökosystem eingegriffen wird, daher fließen große Anstrengungen in die Ausarbeitung des Gesetzes." Dieses wird für den Tiefseeboden internationaler Gewässer der ganzen Welt gelten – und damit für die Hälfte der Erdoberfläche. Seit mehr als zehn Jahren ist die legislative Basis in Entwicklung. Der Inselstaat Nauru votierte bereits 2019 für eine Entscheidung im Jahr 2023. Diese Frist verstrich im heurigen Juni und wurde um weitere zwei Jahre verlängert. Verschiedene Nationen – darunter Deutschland und die Niederlande – plädieren für mehr Forschung.

Datenmangel

Als größte Schwierigkeit sieht Gollner, Forscherin am Royal Netherlands Institute for Sea Research, den eklatanten Datenmangel. Für klare Aussagen über die Artenvielfalt in und auf den Tiefseeböden sowie in der Wassersäule und die Folgewirkungen des Tiefseebergbaus fehle die wissenschaftliche Basis. Ungeklärt ist auch die Frage der Kontrolle. "Wie soll man in der Tiefsee kontrollieren, was man mit bloßem Auge nicht sieht?", resümiert Gollner. In den Tiefen des Meeres funktioniere Monitoring nicht einmal mithilfe von Satelliten. Daher müsse auf andere Weise überprüfbar sein, ob Unternehmen am Ozeanboden das machen, was sie sagen. "Technisch und finanziell ist die Kontrolle eine große Herausforderung", sagt die Forscherin. (Andreas Danzer, Marlene Erhart, 9.10.2023)