Zivilisten in Panik.
Angriffe aus dem Gazastreifen versetzen Zivilisten im Süden Israels in Panik.
AP/Tsafrir Abayov

Am 6. Oktober 1973, zu Yom Kippur, überfielen arabische Armeen Israel, das damals militärisch ernsthaft in Bedrängnis geriet, bevor es die Lage revidieren konnte. 50 Jahre und einen Tag später starten die radikalen islamistischen Gruppen im Gazastreifen nicht nur einen Raketenkrieg, sondern schicken auch organisierte Horden von Terroristen, die in Israel Tod, Angst und Gewalt gegen Zivilisten und Zivilistinnen verbreiten.

Die Berichte und Bilder, die aus Israel kommen, sind schockierend. Die Bedrohungslage für den Staat Israel ist mit jener vor einem halben Jahrhundert gewiss nicht zu vergleichen, er ist militärisch klar der Stärkere. Aber ganz ähnlich erscheint zumindest im ersten Moment ein entsetzliches Defizit an Aufklärung, Geheimdienstarbeit und Einschätzung vonseiten Israels Regierung und Sicherheitsapparat.

Dass es im Gazastreifen kocht, war in den vergangenen Wochen offenbar, es häuften sich die aggressiven Aufmärsche entlang des Sicherheitszauns zu Israel. Die israelische und wohl auch internationale Fehlinterpretation bestand darin, dass man meinte, die regierende Hamas versuche, wie sie es oft tut, Druck aufzubauen, um die eigene miese Lage zu verbessern: Seit längerem ist eine Aufstockung der Hilfe des – deshalb vielgeschmähten – Emirats Katar für den Gazastreifen im Gespräch, was durchaus im Sinne Israels war, das keine Störung des Normalisierungskurses mit Saudi-Arabien brauchen kann. Deshalb wurden in Israel laut Medienberichten sogar Überlegungen angestellt, die Quote an Palästinensern zu erhöhen, die aus dem dichtbesiedelten Streifen ausreisen und in Israel einer Arbeit nachgehen können.

Kalkulationsfehler?

Die Motivation von Hamas und Islamischem Jihad und anderen Radikalen scheint auf der Hand zu liegen: zu zeigen, dass sich die Israelis 50 Jahre nach dem Yom-Kippur-Krieg und 75 Jahre nach der Staatsgründung noch immer nicht sicher fühlen können. Wenn auch die Kalkulation dahintersteckt, dass sich Israel trotz dieser allerschwersten Aggression gegen sein Territorium und gegen seine Bürger und Bürgerinnen nicht zu einem neuen, diesmal wahrscheinlich vernichtenden Krieg gegen den Gazastreifen hinreißen lässt – um die Gespräche mit Saudi-Arabien nicht zu gefährden –, dann könnte sich das jedoch als schwerer Fehler der Hamas erweisen. Noch schwerer als das eklatante Geheimdienstversagen in Israel vor dieser Eskalation. (Gudrun Harrer, 7.10.2023)