Yoni Asher schaut auf sein Smartphone
Yoni Asher sah Videos seiner Töchter, Ehefrau und Schwiegermutter im Netz, umrundet von Terroristen der Hamas.
REUTERS/STRINGER

Das World Wide Web ist Fluch und Segen zugleich: Das zeigt sich besonders stark in Krisensituation, wie auch im aktuellen Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas. So nutzen westliche Politikerinnen und Politiker vor allem schnelllebige Plattformen wie den vormals als Twitter bekannten Kurznachrichtendienst X, um auf die Ereignisse zu reagieren – auf der anderen Seite jedoch werden Plattformen wie diese für Propaganda und Desinformation genutzt. Ein Beispiel dafür lieferte nicht zuletzt der Eigentümer von X, Elon Musk, am Wochenende selbst.

Elon Musk empfahl Fake-News-Plattformen

So heißt es in einem Bericht der "Washington Post", dass Musk selbst zwei Accounts empfohlen habe, die für das Verbreiten von Falschinformationen und antisemitischen Inhalten bekannt sind. "Um den Krieg in Echtzeit zu verfolgen, sind @WarMonitors und @sentdefender gut geeignet", schrieb Musk am Sonntagmorgen seinen 150 Millionen Followern in einem Posting, das er später löschte.

Das Medium zitiert Emerson T. Brooking, einen Forscher am Atlantic Council Digital Forensics Research Lab, laut dem @sentdefender ein "absolut giftiger Account" sei, welcher regelmäßig falsche und unverifizierte Inhalte veröffentliche, um die Zahl der zahlendenden Abonnenten in die Höhe zu treiben. War Monitor wiederum hatte vor rund einem Jahr gepostet, dass "eine überwiegende Mehrheit der Menschen in Medien und Banken Zionisten" seien.

Erst im September hatte Musk einer jüdischen Organisation, der Anti-Defamation League, mit einer Klage gedroht. Die Organisation hatte ermittelt, dass die Zahl antisemitischer Postings auf X deutlich gestiegen sei, seit Musk das Unternehmen Ende 2022 übernommen hatte. Musk bezeichnet diese Behauptungen als geschäftsschädigend.

Fake News auf X

Musk hatte kurz nach der Übernahme einen großen Teil des Moderationsteams entlassen. Beobachter sehen den aktuellen Konflikt nun als einen Test, wie sich X unter der neuen Führung in Zeiten einer Konflikt- oder Krisensituation entwickelt. Und es sieht nicht gut aus.

Das liegt auch daran, dass Musk das System verifizierter Accounts radikal geändert hat, wodurch sich nun etwa ein Account als der offizielle Auftritt der "Jerusalem Post" ausgeben und behaupten konnte, der israelische Premierminister befinde sich im Krankenhaus. Das Posting erreichte 700.000 Menschen, bevor der Account gesperrt wurde. Ähnlich verhält es sich übrigens mit einem anderen internationalen Konflikt: Laut einer Studie der Europäischen Kommission erreichte russische Propaganda über den Krieg in der Ukraine in diesem Jahr mehr Menschen als im Jahr zuvor.

In Bezug auf den aktuellen Konflikt hat Eva Wackenreuther, Ressortleiterin von AFP Faktencheck bei der Nachrichtenagentur AFP, in einem X-Thread die aktuell am meisten verbreiteten Fake News und Fake Videos zusammengefasst und falsifiziert.

Auf das X klicken, um den gesamten Thread zu öffnen.

So sind vielfach Videos zu sehen, die angeblich militärische Handlungen im aktuellen Konflikt zeigen, tatsächlich aber schon einige Jahre alt sind beziehungsweise teilweise in Mexiko anstatt im Nahen Osten gefilmt wurden. Auch wird ein vermeintlicher Abschuss eines israelischen Militärhubschraubers durch die Hamas gezeigt, tatsächlich handelt es sich aber – wie auch in früheren Fällen bei anderen Konflikten – um einen Ausschnitt aus dem Videospiel "Arma 3".

Fake ist auch ein Bild, auf dem angeblich der Fernsehturm in Kairo mit der palästinensischen Flagge beleuchtet wird. Das Originalbild aus dem Jahr 2010 zeige keine Flagge, so Wackenreuther: "Diese scheint später hinzugefügt worden zu sein."

Krieg im Netz

Geradezu wie Actionfilme inszeniert sind jedoch auch jene Videos, welche die Hamas selbst laut einem Bericht von t-online.de verbreitet. Die Aufnahmen sind in hoher Qualität produziert und verfolgen das Ziel, die Terroristen heroisch darzustellen. Dass sich die Szenen tatsächlich so abgespielt haben, ist nicht verifiziert. Bekannt sind derartige Darstellungen aber auch von Terrororganisationen wie dem IS, welcher zu seiner Hochzeit ein regelrechtes Propagandanetzwerk aus professionell produzierten Videos, Magazinen und sogar Lern-Apps für Kinder aufgebaut hatte.

Und nicht nur die terroristischen Gruppierungen, auch die Staaten haben längst erkannt, dass sie das Netz nutzen können, um Menschen für ihre Ideologie zu begeistern. Das zeigt sich nicht nur durch die X-Accounts, welche von Regierungen und Armeen der Konfliktparteien betrieben werden – das israelische Militär betreibt zum Beispiel auch einen Tiktok-Kanal mit über 200.000 Followern. Schon vor zehn Jahren berichteten Medien, dass Israel Studierende dafür bezahle, Werbung für die Anliegen des Staates zu machen. In einem Bericht von Reuters aus dem Jahr 2018 hieß es wiederum, dass der Iran 70 Fake-Websites betreibe, mit denen Propaganda in 15 unterschiedliche Länder verbreitet werde.

Suche nach Vermissten

Zurück in die Gegenwart: Im aktuellen Konflikt sind viele Menschen ratlos und verzweifelt. Sie haben Kontakt zu ihren Angehörigen und wissen nicht, ob diese bereits verstorben sind oder zu den entführten Geiseln gehören, wie es in einem Bericht der "Times of Israel" heißt. Von den offiziellen Stellen fühlen sie sich im Stich gelassen, weshalb sie sich auf der Suche nach Lebenszeichen selbst durch Videos klicken – und dort mit den verstörenden Inhalten konfrontiert werden.

Genannt wird hier auch das Beispiel der deutsch-israelischen Frau, die in einem Video zu sehen ist, wie sie mit dem Gesicht nach unten auf der Ladefläche eines Trucks liegt, umringt von den Attentätern. Die Mutter der Betroffenen bittet nun in einem Video um Hilfe – oder auch um jegliche Nachrichten bezüglich der Situation ihrer Tochter. (red, 9.10.2023)