Grabkomplex in der Wüste
Der Grabkomplex der Königin Meret-Neith in Abydos. Die königliche Grabkammer im Zentrum ist umgeben von den Nebengräbern der Höflinge und Diener.
EC Köhler

Sie dürfte die mächtigste Frau ihrer Zeit gewesen sein und war womöglich auch die erste Pharaonin des alten Ägypten. Königin Meret-Neith lebte vor circa 5.000 Jahren und war Herrscherin der sogenannten 1. Dynastie. "Sie war die einzige Frau, die ihr eigenes monumentales Grab auf Ägyptens erstem königlichem Friedhof in Abydos hatte", sagt die Wiener Archäologin Christina Köhler.

Köhler leitet ein deutsch-österreichisches Team, das das Grab von Königin Meret-Neith erforscht. Aktuelle Ausgrabungen und Untersuchungen im Grabkomplex in der Wüste von Abydos haben eine gewaltige Menge an Grabbeigaben zutage gebracht – und zeigen, dass Opferungen von Dienern und Höflingen nach einem Königstod ins Reich der Mythen und Gerüchte gehören.

Beeindruckender Komplex

"Da draußen in der Wüste muss dieser riesige Komplex inmitten der anderen, ähnlich aussehenden Königsgräber sehr beeindruckend gewesen sein", sagt Köhler, die am Institut für Ägyptologie der Universität Wien tätig ist. Im Zentrum des Komplexes steht das Hauptgrab, also jenes von Meret-Neith. Es war einst von einem Hügel aus Sand und Geröll bedeckt. Ringsum befinden sich Nebengräber von 41 Dienern und Höflingen, darüber befanden sich kleine rechteckige Oberbauten aus Lehmziegeln. Die Anlage ist im Grundriss ungefähr 37 mal 26 Meter groß und hauptsächlich unterirdisch angelegt, also im Wüstensand eingegraben.

Weinkrüge in Grabkammer
5.000 Jahre alte Weinkrüge, die zum Teil noch versiegelt sind, wurden bei den Ausgrabungen im Grab der Königin gefunden.
EC Köhler

"Wir fanden Beweise für eine gewaltige Menge an Grabbeigaben, darunter Hunderte von großen Krügen", berichtet das Archäologieteam. Einige waren sehr gut erhalten und sogar noch original versiegelt. Sie enthielten Überreste 5.000 Jahre alten Weins und hervorragend erhaltene Traubenkerne.

Historische Bedeutung

"Außerdem bezeugen Inschriften, dass Königin Meret-Neith für zentrale Regierungsämter wie das Schatzhaus verantwortlich war". Dies würde ihre besondere historische Bedeutung unterstreichen und gebe Anlass zu Vermutungen, dass sie noch vor der späteren Königin Hatschepsut aus der 18. Dynastie die erste Pharaonin im alten Ägypten gewesen sein könnte.

5.000 Jahre alte Traubenkerne
Sogar hervorragend erhaltene Traubenkerne wurden in den versiegelten Krügen im Grab der Königin gefunden.
EC Köhler

Frühere Forscher hatten "die Idee entwickelt", dass es in der ersten Dynastie Menschenopfer anlässlich der Königstode gab, so Köhler. "Obwohl sie nie stichhaltig bewiesen werden konnte, geistert diese immer noch herum und hält sich hartnäckig." Zum Beispiel in der Online-Enzyklopädie Wikipedia: "Bis zum Ende der 1. Dynastie war es Tradition, dass die engste Verwandtschaft sowie hochrangige Bedienstete dem König in den Tod folgen mussten. Sie wurden in kleinen, fast quadratischen Nebengräbern direkt am Königsgrab beigesetzt", steht dort.

"Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Gräbern zeigt aber keinerlei Spuren von Trauma (körperliche Verwundung durch Unfall- oder Gewalteinwirkung, Anm.) oder einer gleichzeitigen Bestattung der Höflinge", stellt Köhler klar: "Wo genug Überreste erhalten waren, konnten wir nachweisen, dass die Gräber zu unterschiedlichen Zeiten verschlossen wurden." Die Untersuchungen ergaben zudem, dass sich der Bau des Komplexes über einen recht langen Zeitraum zog. "Das spricht alles gegen rituelle Menschenopfer für das Begräbnis der Königin", sagte die Archäologin. (red, APA, 10.10.2023)