Eine Boden-Luft-Rakete wird gestartet.
Eine Iron-Dome-Einheit feuert eine Tamir-Rakete ab.
REUTERS / Amir Cohen

Die israelische Luftverteidigung gilt als weltweit führend. Ein Herzstück ist der Iron Dome, ein angeblich undurchdringlicher Schutzschirm, der feindliche Raketen schon im Anflug erkennt, ihre Flugbahn berechnet und sie bei Gefahr abwehrt, und das vollautomatisch. Großangriffe der Terroristen der Hamas konnten bisher nur wenige Lücken in der Verteidigung finden.

Schnell, billig, ungewöhnlich

Die israelische Verteidigung stützt sich auf die übliche Strategie der gestaffelten Luftverteidigung, man kann sie durchaus mit einer Zwiebelschale vergleichen. David's Sling und Arrow übernehmen dabei die eher traditionellen Rollen. Letzteres System könnte sogar in Österreich zum Einsatz kommen, ist das israelisch-amerikanische Arrow-System doch ein möglicher Bestandteil von Sky Shield.

Doch Iron Dome ist anders, es soll gezielt einige der eklatantesten Schwächen der aktuellen bodengestützten Luftverteidigung ausmerzen: die eklatanten Kosten. Die Rechnung ist spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine bekannt. Soll man wirklich ein Drohne um wenige Tausend Euro mit einer drei Millionen Dollar teuren Arrow-Rakete abwehren? Der Verteidiger ist aufgrund dieser Tatsache immer im Nachteil: Der Angreifer kann den Himmel mit billigem Fluggerät quasi überschwemmen, während der Verteidiger langsam finanziell ausblutet und noch dazu mit der Abwehr völlig überfordert wird. Denn: Selbst mit einer Trefferquote von 90 Prozent finden bei einem solchen Massenangriff immer noch hunderte Drohnen oder improvisierte Raketen ihr Ziel.

Die Hamas-Terroristen haben diese Taktik bereits mehrfach angewandt, indem sie extrem billig herzustellende Kassam-Raketen in Richtung Israel abfeuerten. Diese verfügten anfangs über kein Steuersystem und wurden nahezu blind auf Israel abgefeuert. Das stellte die Israelis erneut vor ein Problem: Sie brauchten ein System, das Massenangriffe abwehren kann und gleichzeitig Raketen ignoriert, die ohnehin in unbewohntem Gebiet einschlagen oder maximal ein Schlagloch im Asphalt einer kaum befahrenen Landstraße verursachen. Gleichzeitig sollte das neue System ein möglichst großes Gebiet abdecken können.

Genau das ist das Konzept hinter dem Iron Dome. Er ist in der Anschaffung teuer, aber im Betrieb billig, funktioniert auch noch, wenn Werfer und Radarstation sich nicht in unmittelbarer Nähe befinden, und eine Einheit kann in der Theorie bis zu 80 anfliegende Ziele gleichzeitig bekämpfen.

Nicht schnell, aber effektiv

Die Raketen des Iron Dome sind dabei mit einer Höchstgeschwindigkeit von Mach 2 im Vergleich zu den großen Varianten der Systeme David's Sling und Arrow bestenfalls halb so schnell. Aber: Ihre Stückkosten sind vergleichsweise winzig. Während eine Rakete von David's Sling rund eine Million Dollar kostet, sind es bei Arrow drei Millionen. Eine Abfangrakete aus dem Iron Dome kostet nur 50.000 Dollar. Da aber üblicherweise zwei Raketen auf ein Ziel abgeschossen werden, werden die Stückkosten meist mit 100.000 Dollar angegeben, was immer noch nur ein Zehntel der Kosten vergleichbarer Systeme ausmacht.

Zum Einsatz kommt eine modifizierte Boden-Luft-Variante der Derby-Rakete mit dem Namen Tamir. Diese ist drei Meter lang und wiegt 90 Kilogramm. Sie ist mit elektrooptischen Sensoren ausgestattet und hat Lenkflossen, die ihr besondere Manövrierfähigkeit verleihen sollen. Der Gefechtskopf ist mit einem Annäherungszünder versehen und besteht aus einer elf Kilo schweren Splitterladung. Die Werfer werden über eine sichere drahtlose Verbindung ferngesteuert.

Eine Tamir hat ihr Ziel gefunden.
REUTERS/AMIR COHEN

Der Aufbau einer Iron-Dome-Einheit ähnelt jenem anderer Systeme: Eine Radarstation und ein Leitstand steuern bis zu vier Werferbatterien, die je 20 Abfangraketen beherbergen. Diese einzelnen Bestandteile der Einheit sollen laut Angaben des Herstellers Rafael über größere Distanzen als bei anderen Fliegerabwehrsystemen miteinander kommunizieren können. Wie groß die Distanz zwischen Leitstand, Radar und Werfer sein kann, ist geheim. Aber: Eine Iron-Dome-Einheit kann ein Gebiet von rund 155 Quadratkilometern verteidigen. Dieses Prinzip der verteilten Elemente hat gleichzeitig den Vorteil, dass Iron Dome auch in unübersichtlichem Gelände oder in Städten leichter eingesetzt werden kann – Letzteres ist der primäre Einsatzzweck: Wohngebiete, Siedlungen und Städte zu verteidigen.

Selbst wenn eine Iron-Dome-Einheit theoretisch 80 Raketen startklar halten kann, ist das immer noch kein Vergleich zu den hunderten Kassam-Raketen der Hamas-Terroristen. Es wäre immer noch ein Leichtes, den Iron Dome mit einem sogenannten Sättigungsangriff zu überwinden. Damit genau das nicht passiert, kann das Radar (EL/M-2084) die Flugbahn feindlicher Raketen berechnen.

Ungefährliche Raketen werden ignoriert

Im Kontrollzentrum werden anschließend die Einschlagspunkte bestimmt. Schlägt eine Rakete in unbewohntem Gebiet ein, gefährdet sie keine Menschenleben und verursacht nur minimale Sachschäden, lässt die "Eiserne Kuppel" sie passieren. Abgefangen werden nur Raketen, die eine tatsächliche Gefahr darstellen. Dabei arbeitet das System vollautomatisch: Kommt eine feindliche Rakete in einen zuvor definierten Bereich in den Luftraum, wird sie abgefangen.

Das Radar kann laut Herstellerangaben sogar Artilleriegeschosse im 155-Millimeter-Kaliber abwehren und soll sogar Schutz gegen Mörsergranaten bieten. Der Iron Dome ist laut Hersteller bei jedem Wetter einsetzbar und kann mehrere Bedrohungen gleichzeitig neutralisieren. Eine Einheit kostet rund 50 Millionen Dollar, in Israel sind aktuell zehn Stück im Einsatz, wobei diese Zahl auf 15 erhöht werden soll.

Doch wie gut der Iron Dome tatsächlich funktioniert, ist umstritten. Eine kritische Studie aus dem Jahr 2014 bescheinigte der "Eisernen Kuppel", eigentlich ein Sieb zu sein. Aber die die "Jerusalem Post" gab im Jahr 2012 die Genauigkeit mit 90 Prozent an abgefangenen feindlichen Raketen an.

Von der israelischen Armee kommen aktuell deutlich bessere Zahlen, wie die US-Rundfunkgruppe "NPR" berichtet. So soll es Iron Dome gelungen sein, im Einsatzgebiet bis zu 97 Prozent aller Raketen abzuwehren. (Peter Zellinger, 10.10.2023)