Wolfgang Denzel Sportwagen Protoyp SS 1 mit Besitzer Wolfgang Humer in Restaurierwerkstatt. Den mustergültig instand gesetzten Fahrersitz hat er soeben vom Sattler geholt.
Foto: Stockinger

"Hat eh nur eineinhalb Jahre gedauert." Wolfgang Humer hält gerade den vom Sattler originalgetreu instandgesetzten Fahrersitz in Händen, eine erstaunlich komplizierte Konstruktion, wie vieles bei Fahrzeugen made by Wolfgang Denzel, als wir uns zum Lokalaugenschein in der Werkstatt seines Restaurators südlich von Wien treffen. Der Kommentar ist nicht als Kritik gemeint, eher zur Orientierung hinsichtlich des betriebenen und nun deshalb wieder zu treibenden Aufwands. Das Auto? Sieht noch nach reichlich viel Arbeit aus, aber Humer, 2011 bis Ende 2022 Leiter der Abteilung klassische Fahrzeuge im Dorotheum und einer der profundesten Kenner im Lande, winkt auf die Frage, ob das Auto heuer noch fertig werde, gelassen ab: "Ganz sicher." Fahren wird er auch noch damit, "natürlich. Ist schließlich ein Fahrzeug und kein Stehzeug."

Der Wagen verkörpert, wie sich im Zuge penibler Recherchen herausstellte, davon gleich mehr, eine der wichtigsten Etappen im Kapitel der Sportwagen des Rennfahrers, Konstrukteurs und Unternehmers Wolfgang Denzel (1908 bis 1990), und unter den vielen prominenten Jubiläen des Jahres ist dieses wohl das stillste: Vor 75 Jahren entstanden die ersten Denzel-Sportwagen. Das verbindet das Jubiläum mit Porsche, ein anderer Konnex ist mit "Sportwagen" schon erwähnt, und Porsche und Denzel hatten sich während des Krieges sogar persönlich kennengelernt.

Der Entwurf für jenes Fahrzeug, aus dem später der BMW 700 wurde, stammte ebenfalls von Wolfgang Denzel. Im Bild: Alexander Freiherr von Falkenhausen bei einem Bergpreisrennen, 1961.
Foto: BMW

Jedenfalls, dieses Abschlusskapitel des traditionsreichen österreichischen Automobilbaus endet letztlich 1960, und dass es BMW heute noch gibt, verdankt sich auch einer Initiative Denzels: Knapp vor der geplanten Übernahme der Weiß-Blauen durch Daimler präsentierte er 1958 den Prototyp eines kleinen Pkws, aus dem dann der Rettungsanker BMW 700 wurde, eine markante, gleichwohl von München her unbedankte Duftnote. Zum Trost vielleicht: Albrecht Graf von Goertz ging es mit seinem atemberaubenden Design für den Datsun 240 Z nicht viel besser, Nissan verhielt sich da nicht gerade nach den japanischen Anstandsregeln.

Denzel-Logo – schlicht und einfach.
Foto: Stockinger

Begonnen hatte die Geschichte der Autos mit dem kreisrunden WD-Logo gleich nach dem Krieg, eben vor 75 Jahren. Wie Porsche, nächste Parallele, erhielt auch Denzel von den Alliierten einen Bergeschein – die Erlaubnis also, alles liegen gebliebene, derangierte Wehrmachtsgerät aufzusammeln. Aus diesem Fundus an Kübel- und Schwimmwagen entstand schon 1948 ein Denzel-Sportwagen, mit (tiefer gelegtem) VW-Fahrgestell und -Technik (leicht getunter 1100er-Motor) und Kunststoffkarosserie ("Wekavia-Jute"). Das erste Auto wurde im Herbst 1948 zugelassen, wegen der Lackierung der "blaue Blitz" genannt. Von insgesamt höchstwahrscheinlich sechs Autos ist da die Rede, gebaut wurden die Karosserien von der Bootsfirma Kittelberger in Bregenz, womöglich erklärt sich die gegenseitige Bekanntschaft aus dem Segelsport.

Aus Kriegsrelikten wie dem VW Kübelwagen im Hintergrund stammten die ersten Technikkomponenten des Sportwagens. Denzels Büro und Werkstätten waren in der Wiener Gumpendorfer Straße zunächst in behelfsmäßigen Baracken untergebracht.
Foto: Vienna Volkswagen Collection

Mit dem nächsten Schritt sind wir beim Hauptprotagonisten dieser Geschichte, zu der ich Humer diesmal auf einen Kaffee im Engländer treffe. "1950 erfolgten zwei Schritte. Einmal weg vom Kunststoff zur Stahlkarosserie, der zweite Schritt war, ein eigenes Fahrgestell zu entwickeln. 40 cm kürzer, völlig andere Konstruktion, Monocoque. Leichtes, selbsttragendes Rohrahmenfahrgestell. Eigentlich revolutionär zu dem Zeitpunkt, weiter als Porsche damals.

Stolz posiert der 1906 geborene Karosseriebauer Rudolf Ramisch (im Bild links), der in deutschen und tschechischen Edelschmieden gelernt hat, vor einem soeben fertiggestellten Denzel Super Sport.
Foto: Vienna Volkswagen Collection

Simpel, ultraleicht. Die Autos hatten keinen Blechboden, nur Hartfaserplatten waren eingepasst. Alles im Sinne der Gewichtsersparnis – man muss sich überlegen, wie aufwendig es war, das zu produzieren." Auf die Stahlkarosserie (mit Alu-Deckeln) folgte Alu, und schon 1951 begann Denzel weiterzuentwickeln, es folgte der Sprung vom 1100er zum 1300er-Motor, zuletzt gab es einen 1500er.

Garantiert keine Massenware

So ehrgeizig die Konstruktion – technischer Mastermind war Denzels Intimus Hubert Stroinigg –, so überschaubar die Stückzahlen, erklärbar auch aus dem pekuniären Hintergrund. Derweil Porsche in Gmünd bis zum Anlaufen der Produktion in Stuttgart über 50 Autos baut, sind es bei Denzel gerade einmal zehn, und alles in allem, bis zum Ende, "werden es insgesamt um die 70 gewesen sein".

Wolfgang Denzel bei der Internationalen Österreichischen Alpenfahrt am Großglockner (24. Juni 1950) mit dem Prototyp seiner SS-Serie (Supersport) – er ging als Favorit in das Rennen und schied aus.
Foto: Technisches Museum Wien / Artur Fenzlau

Woher er schlussfolgere, sein Auto sei der Prototyp SS 1 (SS = Super Sport), mit dem Denzel 1950 zur Internationalen Österreichischen Alpenfahrt angetreten ist? Denn das eigentlich ist der frappierende aktuelle Wissensstand. Hier kommt Alexander Fritz ins Spiel, ein – auch detektivisch talentierter – Experte, der sich beim Gespräch zu uns gesellt. Er hat heuer das 60 Jahre verschollene originale Produktionsbuch wiederentdeckt, und so konnte die Geschichte dieses Autos akribisch rekonstruiert werden.

"Das Buch fand sich im Nachlass eines Journalisten (des 1999 verstorbenen STANDARD-Redakteurs Gerhard Hertenberger, Anm.), der früher dort Mitarbeiter war und beteiligt an den Produktionsskizzen. Bei Denzel wurde das alles 1960 weggeworfen, er hat die wertvollen Unterlagen gerettet."

Im erst heuer erschienenen opulenten Doppelband The Amazing Denzel Sports Car der US-Autoren James S. Perrin und Mark R. Brinker fand die Wiederentdeckung des Produktionsbuchs und des Prototyps SS 1 leider keinen Niederschlag.

So sieht das Fahrzeug momentan aus, mit allen Spuren, die die Jahrzehnte hinterlassen haben, im Zustand der 1970er-Jahre.
Foto: Stockinger

Nummer eins lebt: Vor drei Jahren kam Humer in den Besitz des Fahrzeugs. Der gegenwärtige Zustand aus den 1970ern ist Flickwerk, wie es überhaupt für viele Denzels typisch scheint – "Erstaunlich, wie viel Improvisieren das damals war. Jedes Auto ist anders" –, und erzählt Geschichten in der Geschichte. Statt der einstigen Winker finden sich Blinker, das Fahrgestell trägt die Nummer acht, der 1100er-Motor stammt aus einem Kunststoffvorgänger ...

"Mit meinem Eintauchen in die Geschichte kristallisierte sich heraus: Das ist der Prototyp der Denzels mit eigenem Fahrgestell, SS 1 – trotz Fahrgestellnummer acht. Die vielen Fotos und zuletzt die Liste zum Produktionsbuch lieferten die Indizienkette. Das hier ist das Auto, mit dem Wolfgang Denzel 1950 die Alpenfahrt fuhr. Also. Wir wissen die ganz frühe Geschichte, dann gibt es eine kleine Lücke, und ab Mitte der 60er-Jahre ist wieder alles da."

Geschichten in der Geschichte

Strategie zur Instandsetzung? "Meine Herangehensweise war so: Dadurch, dass das Auto in einem sehr originalen Zustand vorhanden ist, wollte ich das auch so erhalten. Nur das unbedingt Nötige machen. Am Rahmen war ein bisschen was zu tun, da hatten sich die Mäuse eingenistet, ihr Urin hatte ganze Arbeit geleistet und das Blech weggefressen. Aber ansonsten: nur minimalistische Eingriffe."

Ein Blick in den Motorraum: Alles noch im Originalzustand, vom 1100er-Motor bis zum Getriebe. Humer: "Ich habe sogar die alte Marshall-Zündspule erhalten können." Kofferraum und Motordeckel sind aus Alu, Karosserie ist aus Stahl.
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Zum Motor eine dieser "Geschichten in der Geschichte", wie schon angerissen. Im Zuge der Provenienzforschung hatte der jetzige Besitzer "einen Aha-Moment. Es gibt noch Papiere von einem Kunststoff-Denzel, die in den 60ern enden, da wurde der verschrottet. Als ich so über den Papieren brüte, denke ich mir: hoppla. Die Motornummer kommt mir bekannt vor. War das doch glatt die meines Autos."

Schlussfolgerung: Da müssen irgendwann einmal zwei Denzels zusammengekommen sein. Humer nahm mit dem Zulassungsbesitzer zu den Papieren Kontakt auf. "Der hatte als Student eine Wohnung in der Heiligenstädter Straße und besagten Kunststoff-Denzel." Irgendwann sei der ihm auseinandergebrochen, das Material war damals noch nicht so haltbar. Dann stand das gestrandete Auto vor dem Haus. "Kurze Zeit darauf kam einer vorbei und sagte: ,Ich habe auch so ein Auto, aber bei mir ist der Motor hin.‘ Das Auto sei Rennen gefahren, mit einem jetzt halt kaputten Porsche-Motor. Dieses Auto kaufte er ihm ab, baute den funktionstüchtigen (1100er mit einem Vergaser) aus seinem Kunststoff-Denzel raus und in mein Auto rein. So haben die Papiere des alten Autos überlebt."

"Kampfspuren" und Patina erhalten

Und heute? Setzt Humer auf die vorhandenen Teile. "Ich habe ein Alugehäuse genommen, das war damals beim Rennfahren State of the Art. Sprich, wir bauen den Motor so auf wie damals üblich. Ganz klassisch, zwei Vergaser, links, rechts. Ich habe sogar die alte Marshall-Zündspule erhalten können. Und so wird also das Auto aussehen, wie es Anfang der 1970er ausgesehen hat, mit allen Kampfspuren, aller Patina und mechanisch top."

Nochmals Stichwort Patchwork: Die Bremsen – gerippte Alutrommeln – stammen von Fiat, hängen aber auf VW-Achsen, "in meinem Fall sogar noch auf einer Schwimmwagenachse", die Pedalerie ist Denzel-Eigenbau.

Um die Geschichte der Denzel-Sportwagen zu schließen: Das Geschäft mit den wenigen Autos dürfte einträglich gewesen sein, in den USA kostete ein Denzel so viel wie ein Jaguar XK, in Österreich waren 100.000 Schilling fällig – ein Käfer kostete 30.000.

Hier noch rasch der aktuelle Zustand des Denzel DK 156, der sich im Besitz von Alexander Fritz befindet. Ganz spätes Auto.
Foto: Alexander Fritz

Wolfgang Denzels Selbstbewusstsein muss jedenfalls enorm gewesen sein, Alexander Fritz, selbst Besitzer und Wiederaufbauer eines sehr späten, verunfallten Denzels (DK156), weiß von folgender Anekdote: "Da schreibt er nach Amerika in etwa: 'Das kann nicht sein, dass Sie unseren Denzel mit dem Porsche Speedster vergleichen – das ist ja ein Dreck: keine Alu-Felgen, kein Alu-Tank, keine Alu-Karosserie. Das Auto kann nichts.'" Tatsächlich lag bei den Road and Track-Vergleichstests der Denzel 1500 gleichauf mit dem Jaguar XK 120 und hängte den Porsche Speedster ab. Wer von beiden letztlich das Rennen machte, ist aber auch bekannt. (Andreas Stockinger, 14.10.2023)