Drake hat ein neues Album veröffentlicht. Ein weiteres (Mach-)Werk zum Thema Reichtum und Langeweile. Wie lange geht das noch gut?
AFP/CHRIS DELMAS

Eine Begleiterscheinung des Erfolgs ist die Selbstüberschätzung. Diesbezüglich hat es einige erwischt, einer davon ist der Rapper Drake. Wobei: Da geht die Diskussion schon los. Zwar ist der kanadische Musiker mit dem gemeißelten Antlitz immens erfolgreich, doch nicht allen gilt er als Rapper, bloß weil er sprechsingt. Zwar wird ihm angerechnet, Gesang in den Hip-Hop gebracht zu haben – in Form eines oft wehleidig klingenden Singsangs. Doch braucht das der Hip-Hop überhaupt? Und haben das nicht schon Dutzende andere vor ihm ebenfalls getan, eventuell mit mehr Charisma?

Ungeachtet dessen wurde er damit und mit Beats, die wie von einer hüftsteifen KI erdacht wirken, ein Superstar der Generation Smartphone. Warum jemand Alben veröffentlicht, wo doch die Kundschaft am Handy hauptgemeldet ist, fragen sich selbst wohlgesonnene Chronisten. Dass die Werke meist noch Überlänge haben, vollendet das Rätsel. Das nun erschienene For All the Dogs erstreckt sich über 23 Tracks und dauert fast eineinhalb Stunden. Das ist für die Aufmerksamkeitsspanne seines Publikums wie Ben Hur, alle Star Wars-Filme und 33 Jahre Lindenstraße in einem.

Stets in Schale

For All the Dogs ist natürlich ein Titel, der in die Irre führt, denn wichtig ist Drake vor allem Drake. Der 33-Jährige, an Mutters Tisch Aubrey Drake Graham gerufen, gilt als so sensibel wie eitel. Wenn er vor die Tür geht, ist er stets wie für die Oscarverleihung geschalt. Für seinen Schläfenflaum beschäftigt er zehn englische Gärtner, kein Haar steht bei ihm gegen den Strich, er fährt Rolls-Royce, nein, er lässt fahren.

Seinen Sohn zeugte er stilsicher mit einer Pornodarstellerin, getauft wurde dieser auf den Allerweltsnamen Adonis.

Drake gilt als einer der Protagonisten der kanadischen Invasion. Zu der zählen neben ihm der Hohepriester der Schablonen-Emotionen Justin Bieber sowie der Michael-Jackson-Leichenfledderer The Weeknd – oder wie er sich gerade nennt.

Das Onlinemagazin The Source gilt als Sprachrohr des Hip-Hop und begleitet das Fach seit 35 Jahren. Dort fiel auf, dass anlässlich des diesjährigen 50-jährigen Jubiläums des Hip-Hop aktuelle Stars wie Drake weitgehend links liegengelassen wurden. Vornehmlich Acts aus der Pionierzeit und der kreativen Blüte der 1990er standen im Mittelpunkt, sie füllten die Stadien.

Drake - 8am in Charlotte
DrakeVEVO

Vertreter aus den 2010er-Jahren waren kaum zugegen, zu austauschbar, lautete eine Diagnose von The Source, zu wenig Tiefe im Werk, eine andere. Daraufhin entbrannte eine Diskussion in den sozialen Medien. Ein Vorwurf an Stars wie Drake war, sie wären geschichtslose Popstars, würden Hip-Hop nur als Form benützen, ohne eigentliches Interesse für dessen Kultur. Anderswo würde die Auswahl der Samples Rückschlüsse auf den Geschmack und das Wesen der Produzenten zulassen, würde Biografisches offenliegen, spiegelte die Dedication, die Hingabe, zur afroamerikanischen Musik. Oder eben nicht.

Tyler, der sich The Creator, der Schöpfer, nennt und in dem Kontext zu den Novizen zählt, kritisierte wiederum die im Hip-Hop und in allen anderen Genres üblichen Best-of- und Goat-Listen. Goat steht für Greatest of All Time. Er verstünde nicht, dass Kids heute sagen würden, sie fänden etwa den Wu-Tang Clan super, dafür seien sie viel zu jung, der Clan zu alt. Der Gegenwind im Netz kam sofort.

Tyler sei bloß neidisch, weil vom Glanz der wirklich Großen wenig bis nichts auf seinesgleichen falle – was so nicht stimmte. Immerhin wurde er ja um seine Meinung gebeten. Tyler konterte mit verklärter Nostalgie – was bei einem Jubiläum als Argument nur eingeschränkt taugt. Und eine Werkprüfung führt deutlich vor, dass Tylers Beats vergleichsweise rachitisch klingen. Vielleicht liegt es einfach daran, und womöglich bröckelt da eine größere Front.

Lonely at the top

In Europa war jemand wie Drake ohnehin nie besonders angesagt, da gab es kaum Auftritte von ihm, nun verliert der Bling-Bling-Hopper auch zu Hause an Glanz. Von der New York Times bis zur Plattform Pitchfork winden sich Rezensenten. Von Langeweile ist da über das neue Album zu lesen, von Flachwurzlertexten über die Einsamkeit at the top.

In Streaminghausen ist davon wenig zu spüren – wohl aus Gewohnheit des Publikums, denn die neue Drake-Musik klingt wie alte Drake-Musik. Also autotunisch, onkelhaft, kühl, selbstbezogen – ein bisserl fad. Ständig dieselben Geschichten über Reichtum und Langeweile, und das auf Überlänge. Vielleicht wird diese Spielart nun von der Agonie eingeholt, nach der sie schon so lange klingt. (Karl Fluch, 17.10.2023)