Kindheit ist nicht nur nostalgisch-schön. Sie kann von Einsamkeit, Armut, abwesenden Eltern oder zu hohen Erwartungen geprägt sein. Einer, der diese Gefühlswelt verstand, war Kinderbuchautor Erich Kästner. Zwar mögen seine Romane zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sein, die Probleme, die sie behandeln, sind zeitlos: so sehr, dass unter der Regie von Carolina Hellsgård mit Das fliegende Klassenzimmer die vierte Adaption des gleichnamigen Romans entstanden ist. Während die Erstverfilmung sich noch sklavisch an die Vorlage hielt, beugten sich die folgenden Filme dem Zeitgeist. Das bedeutet für 2023, dass die Zusammensetzung und Abenteuer einer Gruppe Internatsschüler diverser werden mussten.

Aus dem armen Martin Thaller wird Martina (Leni Deschner), aus dem ruhigen Johnny die energetische Person of Color Jo (Lovena Börschmann Ziegler). Weiters wird toxische Männlichkeit anhand des schüchternen Uli (Wanja Valentin Kube) verhandelt, der sich als "echter Mann" beweisen muss, Matze (Morten Völlger) muss mit den Erwartungen seines Vaters brechen und bekommt sogar einen Kinnhaken von einem Mädchen. Der Nichtraucher (Trystan Pütter) ist ein Rocker mit Eyeliner, Hauslehrer Justus Bökh (Tom Schilling) wird zur coolen Socke. Gemeinsam gilt es ein Theaterstück aufzuführen und endlich Frieden zwischen Internatsbewohnern und Dorfkindern zu stiften.

Auf Hochglanz poliert

Hellsgård hat sich filmisch oft Menschen angenommen, die ausgegrenzt sind und sich zugehörig fühlen möchten. Doch ihr Lehrstück der Selbstakzeptanz versinkt wie viele neue deutsche Filme im zuckersüßen Wohlgefühl ohne Tiefe, in dem Probleme auf Hochglanz poliert werden und die Ästhetik eher ans Fernsehen erinnert als an Kino. Da helfen auch keine atemberaubenden Südtiroler Alpen als Hintergrundkulisse. Das fliegende Klassenzimmer hebt nicht ab. (Susanne Gottlieb, 12.10.2023)