Ein neues Urteil zum Lagezuschlag in Wien, ein neuer Puzzlestein zum Verständnis der neuen Lagezuschlags-Weltordnung, die der Oberste Gerichtshof (OGH) mit zwei Entscheidungen 2017 und 2018 begründete. Der Grundkostenanteil allein sei nicht ausschlaggebend dafür, ob eine Lage als überdurchschnittlich einzustufen ist, hieß es. Vielmehr müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Lage einer Liegenschaft besser als durchschnittlich zu bewerten ist, und dafür sei die Lage des Hauses mit anderen Lagen (Wohnumgebungen) zu vergleichen – und zwar nicht mit dem gesamten Stadtgebiet, sondern mit jenen Gebieten, "die einander in ihrer Bebauung gleichen und ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet darstellen".

Zwei gründerzeitliche Häuser am Rochusmarkt in Wien-Landstraße.
Der Rochusmarkt, wo sich diese beiden Häuser befinden, gilt zweifellos als überdurchschnittliche Lage. Von der Adresse, um die es in dem Verfahren ging, war der aber zu weit weg.
Putschögl

Bezirksgericht hielt Lagezuschlag für gerechtfertigt

Im jüngsten Fall ging es um eine Wohnung in einem sanierten Gründerzeithaus an der Ecke Paracelsusgasse / Untere Weißgerberstraße in Wien-Landstraße. 2019 zogen neue Mieter ein, der monatliche Nettomietzins für die 72,04 Quadratmeter große Altbauwohnung lag bei 792,44 Euro. Darin enthalten: ein Lagezuschlag in der Höhe von 5,45 Euro je Quadratmeter und Monat. Die Mieter ließen das überprüfen.

Wie oft in solchen Fällen hielt das Bezirksgericht die Miethöhe noch für in Ordnung. Festgestellt wurde auch mithilfe eines Gutachtens: Die Straßenbahnlinie 1 sei 180 Meter, die Buslinie 4A rund 270 Meter von der Liegenschaft entfernt. Bis zur U-Bahn-Station Rochusgasse mit dem Rochusmarkt geht man 750 Meter, bis Wien Mitte, wo es auch ein Einkaufszentrum gibt, fast einen Kilometer. Der nächste Supermarkt ist rund 300 Meter entfernt, bis zum Grünen Prater sind es 600 Meter, kleine Parkanlagen sind näher, Schulen und Kindergärten fußläufig erreichbar. Mit dem Auto sei man von dort rasch auf den Autobahnen A4 und A23.

Ein Haus außerhalb eines Gründerzeitviertels also, das verkehrsgünstig, zentrumsnah und ruhig gelegen sei, schlussfolgerte der Gutachter. Das Erstgericht folgte ihm.

Landesgericht: "Keine überdurchschnittliche Lage"

Doch am Landesgericht für Zivilrechtssachen klang die Sache dann wieder ganz anders. Distanzen wie die oben erwähnten zu öffentlichen Verkehrsmitteln dürften "im dicht verbauten Stadtgebiet erwartet werden". Die tatsächlich überdurchschnittlichen Lagen des dritten Bezirks, darunter der Rochusmarkt, seien schon zu weit entfernt, ebenso wie das Zentrum Wien Mitte. Zum Prater müsse die stark befahrene Weißgerber Lände überquert werden, und wegen der Nähe zu dieser Straße könne hier auch nicht von einer "ruhigen Lage" gesprochen werden, urteilte das Rekursgericht. In der Wiener Lärmkarte 2017 sei "eine überdurchschnittliche Lärmbeeinträchtigung" für die betreffende Liegenschaft ausgewiesen.

Und vergleiche man die Lagecharakteristika der betreffenden Liegenschaft mit jenen aus der erwähnten OGH-Entscheidung von 2017, dann sei hier "kein Grund ersichtlich, warum im vorliegenden Fall eine Überdurchschnittlichkeit der Lage anzunehmen wäre". Die Miete wurde also auf 491,31 Euro netto pro Monat reduziert, mehr als 16.000 Euro mussten refundiert werden, "samt vier Prozent Zinsen", wie Christian Bartok von der Mieterhilfe mitteilt.

"Beurteilung hat der Richter zu treffen"

Interessant ist auch eine weitere Passage in dem Urteil. Das Gutachten, in dem die Lage als überdurchschnittlich bewertet wurde, stehe der Ansicht des Berufungsgerichts nämlich grundsätzlich "nicht entgegen". Denn: "Die Beurteilung des zulässigen Mietzinses und damit auch der Berechtigung eines Lagezuschlags ist nämlich eine Rechtsfrage, die vom Richter und nicht vom Sachverständigen zu lösen ist", heißt es. Die Meinung des Gutachters sei also schön und gut, aber die Entscheidung hätten die Gerichte zu treffen. Der Oberste Gerichtshof hat den außerordentlichen Revisionsrekurs zurückgewiesen und den Spruch des Landesgerichts für Zivilrechtssachen damit vollinhaltlich bestätigt, das Urteil ist rechtskräftig. (Martin Putschögl, 14.10.2023)