Polizei bei der Demo
Die Pro-Palästina-Demo wurde am Mittwoch kurz vor Beginn untersagt.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Obwohl eine für Mittwochabend angemeldete Pro-Palästina-Demonstration in der Wiener Innenstadt nur Stunden zuvor von der Polizei untersagt wurde, hatten sich mehrere Hundert Demonstranten auf dem Stephansplatz versammelt, die Stimmung war aufgeheizt. Die Polizei hatte die Versammlung nicht aufgelöst, sondern die Teilnehmer eingekesselt. Es gab mehr als 300 Anzeigen, der Großteil wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, lautete die Bilanz der Polizei am Donnerstag. Festnahmen gab es keine.

Video von der Pro-Palästina-Demo und der jüdischen Gedenkundgebung in Wien: "Warum zeigen die Medien nicht unsere Leute, die gestorben sind?"
DER STANDARD/Titze

Insgesamt 304 Identitäten wurden laut Exekutive festgestellt. Eine Person wurde nach dem Strafgesetzbuch, 292 nach dem Versammlungsgesetz und elf wegen anderer verwaltungsrechtlicher Delikte, beispielsweise wegen aggressiven Verhaltens, angezeigt.

Die Polizei hatte die verbotene Kundgebung aus "einsatztaktischen Gründen" nicht physisch aufgelöst. Weil die Demonstranten der Aufforderung, die nicht rechtmäßige Kundgebung zu verlassen, nicht nachkamen, wurden sie eingekesselt. Damit sei ein "geordnetes Abströmen in die Wege" geleitet und Identitätsfeststellungen sichergestellt worden. Außerdem sei es gelungen, "die illegale Versammlung stationär zu halten und eine Verlagerung Richtung Ballhausplatz zu verhindern", bilanzierte die Polizei.

Auf dem Ballhausplatz hatte eine friedliche und ruhige Gedenkveranstaltung für die Opfer und Vermissten in Israel stattgefunden. Initiiert hatte diese die Israelitische Kultusgemeinde. Eine Störung der Gedenkzeremonie und damit zusammenhängende Ausschreitungen zu verhindern sei das "oberste Ziel des polizeilichen Einsatzes" gewesen.

Der Wiener Polizei sei es durch die in der Einsatzplanung festgelegten Maßnahmen und das besonnene Einschreiten der Einsatzkräfte während des gesamten Einsatzes gelungen, eine Eskalation zu verhindern. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit konnte umfassend gewährleistet werden, lobte sich die Polizei in ihrer Presseaussendung am Donnerstag.

Weitere Pro-Palästina-Demo erwartet

Mittwochnachmittag war die für den Abend angemeldete Kundgebung kurzfristig untersagt worden. Der Schritt sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit "zulässig und geboten", hatte Polizeipräsident Gerhard Pürstl erklärt. Bei einem kurzfristig einberufenen Pressetermin hatte Pürstl das Verbot mit den Worten begründet, man habe verhindern müssen, "dass der gewalttätige Konflikt im Nahen Osten auf die Straßen Wiens getragen wird". Pürstl berief sich auf jüngste nachrichtendienstliche Erkenntnisse, denen zufolge die ursprünglich als "Mahnwache in Solidarität mit Palästina" angemeldete Veranstaltung in "eindeutige Gewaltaufrufe" in Richtung des Staates Israel hätte münden können.

Mittwochvormittag hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) noch keinen Grund gesehen, die Demonstration zu untersagen. Das Versammlungsrecht sei "in einer wehrhaften, freien Demokratie eines der höchsten Güter", argumentierte Karner. Die Einschätzung der Lage dürfte sich nach im weiteren Verlauf des Tages gewonnenen Erkenntnissen der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) geändert haben, zu denen Polizeipräsident Pürstl keine Details bekanntgeben wollte.

Karner stellt sich hinter Polizei

Karner sagte am Donnerstag, er sei mit der Vorgangsweise der Wiener Polizei "ausdrücklich zufrieden". Beim Einsatz am Mittwoch sei sensibel, aber konsequent vorgegangen worden, verwies Karner auf die Einkesselung der Demonstranten. So sei es auch gelungen, dass die Solidaritätskundgebung nicht gestört worden sei. Zudem habe es bei keiner der Veranstaltungen Verletzungen gegeben. Scharfe Kritik an Karner übte der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp. Karner habe die Kontrolle über die Sicherheitslage in Wien und ganz Österreich verloren, meinte er in einer Aussendung.

Es wird nicht die letzte Pro-Palästina-Demo gewesen sein, am Samstag wird eine weitere größere Kundgebung erwartet, sagte Polizeisprecher Markus Dittrich der APA. Diese wird noch geprüft. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) übte am Donnerstag Kritik an den Kundgebungen – weil dort antisemitische Äußerungen gefallen und im Vorfeld entsprechende Plakate verbreitet worden sind. "Das ist zu verurteilen", sagte er am Rande einer Pressekonferenz. Für ein generelles Verbot trete er aber nicht ein. Die Prüfung solcher Demonstrationen sei Sache der Exekutive.

"Ich habe größtes Vertrauen in die Arbeit der Polizei", sagte der Bürgermeister. Auch das Verbot der Kundgebung am Mittwoch sei nicht leichtfertig getroffen worden. Am Abend sei die Polizei dann mit "Augenmaß" vorgegangen. Ludwig hatte am selben an der Gedenkkundgebung für die Opfer auf dem Ballhausplatz teilgenommen. Er habe auch dort betont, dass jede Form von Antisemitismus abzulehnen sei. Das würden auch alle Religionsgemeinschaften in Wien so sehen, versicherte er. "Es ist alles zu unternehmen, dass Israel-Fahnen natürlich offen getragen werden können, so wie auch die Kippa, so wie auch das Kopftuch."

Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsfreiheit ist in Österreich ein verfassungsrechtlich garantiertes Menschenrecht. Versammlungen müssen spätestens 48 Stunden vorher bei der Polizei bzw. Bezirkshauptmannschaft angekündigt werden. Das "Vergessen" einer Anmeldung allein rechtfertigt aber nicht, dass die Polizei später die Versammlung auflöst. Dafür müssen Hinweise darauf vorliegen, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet wäre oder es bei der Demo zu Straftaten kommt. Wurde die Versammlung schon im Vorfeld untersagt, wird sie in der Regel kurz nach Beginn aufgelöst. Verstöße gegen das Versammlungsgesetz werden mit bis zu 720 Euro bestraft. Wer an Demos vermummt oder bewaffnet teilnimmt, muss mit bis zu sechs Monaten Haft rechnen.(APA, simo, red, 12.10.2023)