Wien – Das Veranstaltungszentrum Aktivpark im oberösterreichischen St. Georgen an der Gusen ist an diesem Abend gut gefüllt. Doch weder stehen Kultur- noch Sportgenuss auf dem Plan. Vielmehr haben sich die Bürger der kleinen Gemeinde rund um große Tische positioniert – und im Fokus steht eine detailreiche Planzeichnung. Oder präziser: der Masterplan.

Erfolgreiche Bürgerbeteiligung

Dieser ist das Ergebnis eines rund zweijährigen Projekts, dessen Triebfeder es war, Gedenken neu zu denken. Die Basis für die Neugestaltung einer Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZ Gusen war ein großangelegter Bürgerbeteiligungsprozess.

Geschuldet war dies wohl zu einem großen Teil auch der Situation vor Ort. Anders als die Gedenkstätte Mauthausen, die weit abseits des eigentlichen Ortes liegt, ist auf dem blutgetränkten Boden in St. Georgen und Langenstein eben neues Leben gewachsen. Die Gusen-Überreste werden heute zu einem großen Teil von gewachsenen Siedlungs- und Gewerbestrukturen überlagert. Einige Wege und Kanalführungen folgen heute noch dem historischen Verlauf der Wege im Lager. Wo einst Gefangene ermordet wurden, leben heute Menschen und gehen ihrem Alltag nach.

Neues Gedenken auf dem ehemaligen Appellplatz.
APA/Bernhard Mühleder

Unter Federführung der beauftragten Arbeitsgemeinschaft Art:Phalanx Kultur & Urbanität und Heri & Salli Architekten bat man Vertreter aller relevanten Gruppen – Bürger, Opferverbände, Wissenschafter – an den Besprechungstisch. Mittels Stakeholder-Interviews, Infoveranstaltungen und Workshops wurden relevante Details zusammengetragen und letztlich gebündelt.

Der nun vorgelegte Masterplan – das ehemalige KZ-Areal umfasst 68.000 Quadratmeter – sieht künftig drei zentrale Bereiche vor: Für das Areal "Appellplatz" ist ein zentraler Ankunftsbereich angedacht. Dafür wird ein neues Gebäude im Bereich des ehemaligen "Ziergartens" vorgeschlagen, für die ehemaligen und noch bestehenden SS-Baracken werden orts- und themenspezifische Vermittlungsangebote empfohlen, es solle aber auch "Platz für Leere" bleiben. Beim sogenannten Schotterbrecher gibt es die Überlegung, Teile im Erdgeschoß und im Keller zugänglich zu machen. Auf dem Gelände unmittelbar vor dem "Schotterbrecher" sieht der Masterplan einen "Raum der Stille" als Neubau vor.

Öffnung der Stollenanlage geplant

Das bereits bestehende Memorial soll eine neue Zugangssituation bekommen, die Ausstellung neu kuratiert werden. Zudem soll der bestehende Parkplatz verlegt werden und die Wiese vor der Gedenkstätte künftig als Begegnungszone fungieren.

Ein dritter Bereich ist die ehemalige Stollenanlage "Bergkristall". Der einstige unterirdische NS-Rüstungsbetrieb ist heute nur zu speziellen Anlässe, etwa an den Gedenktagen, für ein breites Publikum geöffnet. Geschaffen werden soll hier ein neues Eingangsportal und die Möglichkeit einer dauerhaften Begehung zumindest eines Teils der Anlage.

Die Mitsprache am neuen Konzept war ausdrücklich erwünscht.
KZ-Gedenkstätte Mauthausen/markushechenberger.net/Holly Kellner

Eine planerische Herausforderung dürfte es jedenfalls werden, den Gedenkbogen über das gesamte weitläufige Areal zu spannen. Neben einer rein verkehrstechnischen Lösung braucht es wohl für Besucher einen roten Faden auf dem Weg durch das ehemalige KZ-Gelände. Konkret gibt es Überlegungen, die Trasse der Schleppbahn, die zwischen Lager und Stollen verkehrte, durch eine Ausstellung oder Intervention sichtbar zu machen – und so eine Verbindung zwischen den Gedenkarealen zu schaffen.

Das Gedenken konzentrierte sich nach dem Krieg auf das ehemaligen Hauptlager Mauthausen. Gusen geriet zunehmend in Vergessenheit. Doch speziell in den letzten Jahren wurde die Kritik an diesem zentrierten Gedenken immer lauter. Vor allem Polen – Heimat vieler Opfer – machte Druck für ein würdigeres Gedenken.

Im Mai 2021 entschied die Republik dann, den Eingangsbereich zum Stollensystem Bergkristall in St. Georgen, zwei SS-Verwaltungsbaracken, den Steinbrecher und Teile des Appellplatzes in Langenstein zu kaufen. Ab 2024 sollen diese Bereiche offiziell in die Zuständigkeit der Gedenkstätte Mauthausen übergehen, erläutert deren Leiterin Barbara Glück. Ab 2026 sollen dann die landschaftsgestalterischen und baulichen Maßnahmen auf Basis eines Gestaltungswettbewerbs erfolgen.

Glück rechnet damit, dass die Umsetzung acht Jahre dauern wird, allerdings sollen Teilbereiche bereits vorher fertig sein. Als wichtigster Punkt habe sich in dem Beteiligungsprozess herauskristallisiert, dass man "ein gutes Miteinander zwischen der Bevölkerung und den Gedenkstättenbesuchern" sicherstellen müsse, erklärten die Verantwortlichen bei der Präsentation. Man wolle bewusst kein "Mauthausen II" schaffen: Gusen solle zu einem internationalen Gedenkort werden und als Ergänzung zur Gedenkstätte Mauthausen gesehen werden. Der künftige Gedenkort solle alle Opfergruppen gleichwertig repräsentieren. Vor allem junge Menschen sehe man als wichtige Zielgruppe. "Wir sind noch lange nicht am Ende des Weges, jetzt geht es erst richtig los. Wir gehen in die Umsetzung. Aber es ist wohl eines der größten gedenkpolitischen Projekte in Österreich", ist Gedenkstätten-Leiterin Glück überzeugt.

Der vergessene Mauthausen-Zwilling

Das KZ Gusen wurde ab Dezember 1939 von Häftlingen des KZ Mauthausen errichtet. Ab Mai 1940 existierte es als Zweiglager. Bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 wurden dort 71.000 Gefangene aus fast 30 Nationen inhaftiert. Mehr als die Hälfte überlebten die Haft nicht. Unter enormem Blutzoll mussten Häftlinge im KZ Gusen II in St. Georgen eine unterirdische Stollenanlage errichten, in der die Nazis unter dem Decknamen "Bergkristall" eine geheime Rüstungsproduktion betrieben.

Gusen war neben Mauthausen das einzige Lager im Großdeutschen Reich der "Lagerstufe III". Für die Häftlinge bedeutete das "Vernichtung durch Arbeit" in den Steinbrüchen und in den unterirdischen Stollenanlagen. (Markus Rohrhofer, 12.10.2023)