PiS-Chef Jarosław Kaczyński bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Jarosław Kaczyński ist Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Im Kabinett ist er zwar nur Vizepremier, trotzdem gilt er als der eigentliche starke Mann Polens.
IMAGO/Aleksander Kalka

Die Spannung in Polen steigt. Wer wird am Sonntag die Parlamentswahlen gewinnen? Wieder die regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit Parteichef Jarosław Kaczyński an der Spitze? Das wäre dann deren dritte Amtszeit in Folge – und womöglich das Ende von Polens Mitgliedschaft in der EU. Oder die demokratische Opposition mit der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO) von Ex-Premier Donald Tusk? Ohne zwei weitere Parteien – nämlich die Neue Linke und den konservativ-zentristischen Dritten Weg – wird die KO allerdings wohl keine Regierung bilden können.

Zurzeit liefern sich die PiS und die KO ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils 28 bis 35 Prozent Zustimmung der Wahlberechtigten. Doch obwohl die PiS dabei immer die Nase vorn hat, wird auch sie einen Koalitionspartner brauchen. Infrage kommt eigentlich nur die rechtsextreme Konfederacja (Konföderation). Sie ist allerdings in den letzten Wochen vom dritten auf den fünften Platz abgerutscht und als Königsmacherin weniger attraktiv geworden.

Umstrittenes Referendum

In den Wahllokalen können am Sonntag rund 29 Millionen Wahlberechtigte ihre Kreuzchen machen. Neu zu besetzen sind 460 Plätze im Sejm, dem Abgeordnetenhaus, und 100 Plätze im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, die vor allem eine Kontrollfunktion hat. Doch die Wahlberechtigten bekommen diesmal nicht nur zwei großformatige Wahlzettel ausgehändigt, sondern auch noch einen dritten Bogen mit einer Volksbefragung.

Zu entscheiden gibt es allerdings nicht viel. In speziellen Radio- und Fernsehspots mit "Informationen" zum Referendum empfiehlt die PiS-Regierung, viermal mit Nein zu antworten. Dies würden allerdings bei den suggestiv gestellten Fragen die meisten wohl ohnehin tun. So lautet die erste Frage: "Bist du für den Ausverkauf des polnischen Staatsvermögens?" Die zweite lautet: "Bist du dafür, das Renteneintrittsalter hochzusetzen?", wobei der Zusatz "wenn dadurch deine monatliche Rente um 500 bis 1000 Złoty (110 bis 220 Euro, Anm.) steigen würde" fehlt.

Die dritte Frage soll die Wähler gegen die EU aufstacheln: "Bist du für die Aufnahme tausender illegaler Immigranten aus dem Nahen Osten und aus Afrika, so wie es der Zwangsmechanismus der Umverteilung vorsieht, den uns die EU-Bürokratie aufzwingen will?" Die Frage ist besonders perfide, da Polen als Erstaufnahmeland für Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vom EU-Asylkompromiss gar nicht betroffen ist. Mit einem einfachen Brief an die EU-Kommission könnte Polen eine Klausel in Kraft setzen, die das Land von der Solidaritätspflicht ausnehmen würde, Asylwerber, die über Italien oder Griechenland gekommen sind, aufzunehmen oder für jeden nicht aufgenommenen Geflüchteten eine Ausgleichszahlung von 22.000 Euro zu leisten. Das aber sagt die PiS den Menschen in Polen nicht.

Auch die vierte Frage würden die meisten Polen im Sinne der PiS mit Nein beantworten: "Bist du dafür, die Grenzanlage zwischen Polen und Belarus zu liquidieren?" Der fünfeinhalb Meter hohe Stahlzaun hält zwar kaum Migranten davon ab, den Weg nach Westen zu suchen, doch will ihn zurzeit – schon allein wegen der Kriegsgefahr aus Russland und Belarus – niemand abreißen.

Machtwechsel möglich

Ein Machtwechsel scheint möglich. Zwar würde die PiS letzten Umfragen zufolge mit 33,5 Prozent der Stimmen wieder stärkste Partei werden, doch selbst in einer Koalition mit der Konfederacja (9,2 Prozent) würde sie keine Mehrheit erreichen. Anders die Bürgerkoalition mit 28 Prozent, die in einer Koalition mit dem Dritten Weg (10,9 Prozent) und der Neuen Linken (10,1 Prozent) gute Chancen hätte, die künftige Regierung zu stellen. Allerdings ist nicht gesagt, dass der Dritte Weg die für Parteienbündnisse vorgesehene Achtprozenthürde überspringt.

Zudem hat die PiS in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze erlassen, um ihren Machterhalt selbst bei verlorenen Wahlen zu garantieren. In den vergangenen Tagen haben Politologen verschiedene Szenarien durchgespielt – vom Verfassungsbruch bis hin zum Ausnahmezustand zur "Aufrechterhaltung der Ordnung". Doch das sind zurzeit nur Spekulationen. (Gabriele Lesser aus Warschau, 12.10.2023)